Ortstermin Kambodscha, Angkor Wat
„Daten, Daten, Daten“: Eine Arbeitsgruppe am IWR will die größte Tempelanlage der Welt virtuell entstehen lassen
Wenn Wissenschaftler Hand anlegen: Vor dem Programmieren muss man sich ums Rohmaterial kümmern.
Foto: Hollmann |
Das ehrgeizige Ziel der Arbeitsgruppe um Professor Hans Georg Bock, Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Wissenschaftliches Rechnen (IWR): die größte Tempelanlage der Welt virtuell entstehen zu lassen. Dafür scannen die Studenten in Kambodscha alle Baupläne, die sie auftreiben können: teils im Nationalmuseum in der kambodschanischen Hauptstadt, wo die Heidelberger mit Architekturstudenten der Königlichen Universität der Schönen Künste Phnom Penh zusammenarbeiten, teils bei der École Française d’Extrême-Orient in Siem Reap nahe Angkor. Später werden die Pläne am Computer zusammengesetzt. „Unser Traum ist es, alle im gleichen Format zur Verfügung zu stellen“, sagt der Physikstudent Holger Rapp.
Der zweite Teil der Exkursion führt in die Tempel selbst, Zeugen einer untergegangenen Hochkultur aus der Zeit vom 9. bis 14. Jahrhundert und Nationalstolz der Khmer. Dort fotografieren die Studenten Details (zum Beispiel Statuen) und Oberflächen für die Texturen der Computergrafiken. Dass eine Teilnahme an der Projektgruppe „Angkor“ mit einschließt, bei 35 Grad im Schatten auf alten Steinen herumzukraxeln, war für die Studenten allerdings nicht der Grund, sich ihr anzuschließen. „Ich habe mitgemacht, weil mich Visualisierung interessiert“, sagt Jens Schöbel. Der Mathematikstudent will in Kürze seine Diplomarbeit im Bereich Optimierung von 3D-Computergrafik schreiben. Jetzt arbeitet er an der Echtzeit-Visualisierung des Weltkulturerbes Angkor. Holger Rapp erklärt die Motivation für seine Teilnahme so: „Ich interessiere mich seit langem für die physikalisch korrekte Visualisierung von Lichtmodellen.“ Und das Spezialgebiet seines Kommilitonen Philipp Struck ist die Fotogrammetrie, ein Verfahren, mit dem aus Fotos dreidimensionale Darstellungen erstellt werden können. Doch vor dem Programmieren und Visualisieren heißt es zunächst, Rohmaterial zu beschaffen. „Wir brauchen Daten, Daten, Daten“, beschreibt Dr. Stefan Körkel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IWR und Leiter der Kambodscha-Exkursion, das Hauptziel der Fernreise. Weitere Ziele sind, Ideen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen, zum Beispiel mit den Studenten vom German Apsara Conservation Project der Fachhochschule Köln, die den Heidelbergern zeigen, wie sie die Reliefs am Angkor-Wat-Tempel konservieren.
Auf dem Phnom Bakheng, dem ältesten Tempel in dem 232 Quadratkilometer großen Gebiet von Angkor, treffen die Besucher aus Deutschland lediglich einige Arbeiter, die ein Gerüst aus Bambus aufbauen. Touristen kommen fast nur zum Sonnenuntergang – dann aber in Scharen. Denn von hier aus („Phnom“ ist das kambodschanische Wort für „Berg“) hat man eine herrliche Sicht über den Urwald und auf viele andere Tempel. Durch den täglichen Ansturm sieht der World Monument Fund, eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation, die in Angkor in der Erhaltung der historischen Kunst und Architektur aktiv ist, Berg und Tempel in Gefahr. Eine Restaurierung ist geplant, dafür müssen jedoch große Teile abgesperrt werden. Als kleine Entschädigung will die Organisation für die Touristen ein Computer-Terminal einrichten. Und hier soll die Heidelberger Projektgruppe ins Spiel kommen: „Der World Monument Fund will unsere grafischen Rekonstruktionen für seine Arbeit benutzen“, erzählt Dr. Stefan Körkel. „Am Computer könnten die verschiedenen Stadien des Tempelbaus und der Restaurierung anhand unserer Programme dargestellt werden.“
Ein Mitglied der Projektgruppe, Pheakdey Nguonphan, hat eine derartige virtuelle Darstellung bereits erstellt: Die berühmte Bibliothek von Angkor Wat kann dank seiner Programmierung virtuell durchschritten werden. Der Kambodschaner verbrachte einen Teil seiner Jugend in Deutschland, studierte in Phnom Penh Architektur und promoviert zurzeit in Heidelberg. Thema ist der Einsatz mathematischer Methoden der Bildverarbeitung bei der Modellierung der Angkor-Tempel. Pheakdey Nguonphan hatte schon vor einiger Zeit Kopien der Pläne von Angkor Wat mit nach Deutschland gebracht – und damit einen Anstoß für das Projekt von Professor Bock gegeben.
Vermutlich wird er nicht der letzte Kambodschaner an der Ruperto Carola sein. Denn während die Heidelberger Studenten jetzt daran arbeiten, die Tempel, Pläne und Fragmente am Computer zu modellieren, bereitet Hans Georg Bock einen Besuch in umgekehrter Richtung vor: In einem zwei- bis dreimonatigen Kursprogramm sollen Studenten aus Phnom Penh moderne Computermethoden, Computergrafik und Datenbanksysteme lernen. Und das soll nur einer der nächsten Schritte der Kooperation „Angkor“ sein: „Es gibt viele Ansätze für anspruchsvolle Projekte, für die die vielen Daten, die wir mitgebracht haben, genutzt werden können“, sagt Stefan Körkel mit Blick auf die Zukunft.