Chinesisch für Fortgeschrittene
Sprachunterricht am Institut für Sinologie setzt auf unkonventionelle Lehrmethoden, die aus der Theaterpraxis kommen
Foto : Holthausen |
Aber kann man es ihnen verdenken? Nach der Mittagspause ist der Kreislauf im Keller und die Körperfunktionen beschränken sich auf das Nötigste, nämlich auf die Verdauung dessen, was die Mensa zu bieten hatte. Um aus diesem Dämmerzustand wieder zu vollem Bewußtsein zu gelangen, müsste man ein wenig den Körper ertüchtigen und es ist dem einen oder anderen sicher schon der Gedanke gekommen, die müden Kommilitonen erst einmal im Laufschritt um den Häuserblock zu schicken. Dabei aber – bei diesem Gedanken – bleibt es dann.
Nicht so dienstags um 15 Uhr c. t. in Raum 002 des Seminars für Übersetzen und Dolmetschen. Chinesisch steht auf dem Lehrplan, doch schon beim Betreten des Raums wird einem klar, dass diese Veranstaltung nichts gemein hat mit den Kursen des Propädeutikums. Die Tische sind an die Wände geschoben, es warten vier, manchmal fünf Studenten auf die zwei Dozenten – Zeichen der Unlust, die zu Beginn eines Seminars so vielen ins Gesicht geschrieben steht, sucht man hier vergeblich.
Frau Chunping Lin und Frau Xinyu Lin beginnen ihren Unterricht mit einem Warm-up. Es wird ausschließlich chinesisch gesprochen und so entstehen etwa bei einer Art „Reise nach Jerusalem“ die ersten Tumulte, weil nicht jeder die Regeln gleich verstanden hat. Es geht von Anfang an sehr lebhaft zu in diesem Kurs, was ganz im Sinne der beiden Dozenten ist: „Wir möchten, dass die Studenten lernen, in alltäglichen Situationen ihr Chinesisch anzuwenden. Das Chinesischstudium vermittelt in erster Linie die Schriftsprache, die natürliche Umgangssprache kommt meistens zu kurz. Überhaupt wird viel zu wenig chinesisch gesprochen“, sagt Frau Chunping Lin.
Um diesem Missstand abzuhelfen, setzt die Taiwanesin schon seit längerem auf unkonventionelle Lehrmethoden und Unterrichtsformen. Einen chinesischen Schreibkurs und sogar einen chinesischen Debattierclub hat sie schon ins Leben gerufen. Jetzt versucht sie es vor allem mit theaterpraktischen Ansätzen. „Wer im kleinen Kreis die Scheu überwindet, zum Beispiel einen witzigen Werbespot aus dem chinesischen Fernsehen nachzuspielen, tut sich später während eines Chinaaufenthaltes nicht so schwer, mit anderen ins Gespräch zu kommen“, sagt sie. Außerdem würde häufig unterschätzt, wie groß der Anteil der Imitation neben Wortschatz und Grammatik beim Erlernen einer Fremdsprache sei.
Auch ein Stück soll einstudiert und zur Aufführung gebracht werden. Allerdings gestaltet sich die Suche nach einem geeigneten Drama schwierig. Denn nicht nur die sehr begrenzte Anzahl von Darstellern, auch deren recht unterschiedliche Lernniveaus gilt es zu berücksichtigen. Zudem hat keiner der Beteiligten Theatererfahrung. Dennoch werden fleißig Rollen interpretiert und Szenen besprochen – alles auf chinesisch. Auch hier ist der Weg das Ziel: „Im Vordergrund steht die Auseinandersetzung mit einem Stück. Wenn wir auf diesem Weg tatsächlich bis zu einer Aufführung kommen, wäre das schön. Aber es ist nicht unser eigentliches Ziel“, erklärt Frau Lin.
Wenn man die Studenten fragt, was den Kurs von anderen Lehrveranstaltungen unterscheidet, sind sich alle einig: „Spaß!“. Trotz des intensiven Lernens in einer so kleinen Gruppe, bleibt die Atmosphäre entspannt. Das wirft die Frage auf, warum bislang eher wenig Interesse an der Veranstaltung besteht. „Das liegt sicher an dem vollen Lehrplan“, sagt Tobias, „die meisten Studenten haben mit dem Propädeutikum genug zu tun“. Was bedauerlich ist. Denn so gut gelaunt wie diese vier Chinesisch-Studenten sieht man selten jemanden aus einer dreistündigen Lehrveranstaltung kommen. Bleibt nur zu hoffen, dass Frau Chunping Lin und Frau Xinyu Lin auch im nächsten Semester ihren ungewöhnlichen Unterricht anbieten können. Denn zweifellos ist er eine große Bereicherung des Lehrangebots. Und vielleicht haben neben den Germanisten, Anglisten und Übersetzern und Dolmetschern bald auch die Sinologen eine eigene Theatergruppe zu bieten.