Foucault lesen
Ein deutsch-französischer Lektürekurs in Montpellier
Was machte für den französischen Philosophen Michel Foucault das wissenschaftliche Arbeiten und das kritische Denken aus? Es waren die Irritation, der Widerspruch – der Reiz, alles in Frage zu stellen und die Blickrichtung zu wechseln.
Ein außergewöhnlicher Perspektivenwechsel war dem Lektürekurs "Michel Foucault für HistorikerInnen" von Prof. Dr. Thomas Maissen und Dr. Isabelle Deflers am Historischen Seminar der Universität Heidelberg möglich: Nach der Lektüre ausgewählter Texte Foucaults reiste die Gruppe von 12 Studierenden unterschiedlicher Semester für vier Tage an die Université Paul Valéry in Montpellier, um ihre im Kurs gewonnenen Erkenntnisse mit denen der französischen Studenten des Mediävisten und Foucaultkenners Prof. Dr. Patrick Gilli im Rahmen eines zweitägigen Workshops zu konfrontieren.
Das deutsch-französische Kolloquium in Montpellier bildete den Abschluss zweier parallel laufender Kurse: Sowohl in Montpellier als auch in Heidelberg hatten sich im Vorfeld des Workshops Geschichtsstudenten mit einer Auswahl von Foucaults Vorlesungen am Collège de France (1977-1988) auseinandergesetzt – im französischen Original. Der Austausch über die jeweiligen Lektüreerlebnisse und die unterschiedlichen Herangehensweisen erwies sich als außerordentlich fruchtbar.
Während sich die französischen Studenten stärker auf eventuelle Anwendungsmöglichkeiten von Foucaults Überlegungen für historische Quellenanalysen konzentriert hatten, lag bei den Heidelbergern der Schwerpunkt auf der theoretisch-philosophischen Auseinandersetzung mit einigen Grundkonzepten Foucaults. So erstreckte sich die Diskussion von der Entwicklung der Polizei Montpelliers im Sinne der "Policeywissenschaft" der Frühen Neuzeit über die Gouvernementalität im italienischen Mittelalter bis hin zu grundsätzlichen Fragen über Sinn und Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Historie.
Der deutsch-französische Austausch ging indessen über den wissenschaftlichen Bereich hinaus: Die Heidelberger wurden herzlich aufgenommen und genossen die großzügige mediterrane Gastfreundschaft in vollen Zügen. Dabei entwickelten sich auch persönliche Kontakte und Ideen für neue Projekte. Das Treffen hat gezeigt, dass Wissensdurst und Interesse keine Sprach- und Landesgrenzen kennen. Selbst die unterschiedlichen universitären Systeme waren für den Austausch eher anregend als hinderlich. Während sich die deutschen Teilnehmer von den fundierten historischen Analysen der Franzosen beeindruckt zeigten, waren die französischen Studenten und Dozenten begeistert von den sprachlichen Fähigkeiten und der intellektuellen Lebendigkeit der Heidelberger. Beiden Gruppen wurde dabei deutlich, wie wichtig die persönliche Begegnung über nationale Grenzen hinweg ist, um die eigenen Denkmuster zu hinterfragen und gleichzeitig neue Perspektiven zu eröffnen. Dank der persönlichen Initiative von Prof. Dr. Maissen und Prof. Dr. Gilli kamen vier spannende und anregende Tage in Montpellier zustande. Die Begeisterung war auf beiden Seiten so groß, dass sich alle einig waren: "Vivement la prochaine!"