Von Heiko P. Wacker
„Tausend Jahre, so ungefähr...“ Die Frage, wann das Mittelalter denn nun begann – und wann es endete – beschäftigt die Historiker seit Jahrhunderten. Der Bezug auf die Jahre 500 und 1500 hat sich dabei inzwischen als Leitlinie durchgesetzt, auch wenn es schwer fällt, eine Epoche mit einer einzigen Jahreszahl fixieren zu wollen.
Zumal selbst einer der wichtigsten Startpunkte nicht genau datierbar ist. Denn ob die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig nun 496, 500 oder gar 508 stattfand, ist offen. Tatsache ist jedoch, dass seine an einem Weihnachtstag erfolgte Hinwendung zum Christengott eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen war – und letztlich bis heute relevant.Stefan Weinfurter vom Historischen Seminar der Universität Heidelberg setzt mit seiner „Kleinen deutschen Geschichte“ denn auch bei Chlodwig an, um seinen Weg durch die Jahrhunderte zu unternehmen, in denen aus dem Frankenreich allmählich ein Deutsches Reich wird, das erst sehr spät seinen etwas sperrigen Namen erhielt: „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“. Am Ende des Mittelalters trat das deutsche Element in den Vordergrund, die Abgrenzung der Nationen war in vollem Gange.
Der renommierte Heidelberger Mediävist orientiert sich bei seinem Gang durch die Geschichte an den wichtigsten historischen Weg- und Wendemarken; und bietet dem Leser so ein eindrucksvolles Bild des Reiches in der Zeit von 500 bis 1500. Dass er dabei auf Fußnoten im klassischen Stil verzichtet, kommt dem Laien entgegen – obgleich man sein Buch keineswegs als oberflächlich bezeichnen darf, wie die zahlreichen Quellenverweise auf verschiedene Urkunden zeigen.
Beginnend bei Chlodwig – der zuvor wahrscheinlich dem traditionellen römischen Polytheismus anhing und an Jupiter, Mars und Saturn glaubte – und der christlichen Ausgestaltung des Reiches unter den Karolingern und Ottonen arbeitet sich Stefan Weinfurter voran. Besonders faszinierend ist der Wandel seit dem 12. Jahrhundert: Das Reich wird nun selbst „heilig“ und erwirbt den Nimbus unantastbarer Größe.
Als weiteren Markstein der Entwicklung beschreibt er, wie sich im 13. Jahrhundert das lateinisch geprägte Reich – auch durch die zunehmende Verwendung der Volkssprache – zum Deutschen Reich wandelt. Als solches muss es zwar im ausgehenden Mittelalter in punkto Kunst und Wissenschaft weit hinter Italien und Frankreich zurückstehen. Doch bot es eine erstaunliche Vielfalt, auf deren Basis in den kommenden Jahrhunderten eine Kulturnation im Herzen Europas entstehen konnte.
Zwar liegt es in der Natur der Sache begründet, dass sich mitunter selbst versierte Leser im Gewirr der Namen und Jahreszahlen verlieren können. Aber der Autor bemüht sich sehr erfolgreich um einen roten Faden, den er von Chlodwig bis zu Kaiser Maximilian I. spannt, der bis 1519 regierte und sowohl eine Figur des Mittelalters wie auch der Neuzeit war. Der Heidelberger Historiker gibt dem Mittelalter somit eine menschliche Klammer durch zwei markante Persönlichkeiten, die nicht nur ihre eigene Zeit zu prägen vermochten sondern auch die Jahrhunderte danach.
Letzten Endes mag das Mittelalter zwar vorbei sein. Seine Wirkung jedoch ist bis heute präsent – auch wenn man das gerne übersieht. Wer also die Gegenwart verstehen möchte, der muss auch die Vergangenheit kennen. Stefan Weinfurter kommt deshalb das Verdienst zu, nicht nur das Mittelalter zu erklären – sondern in gewisser Weise auch noch die Gegenwart.