Es ist nicht lange her, da gab es an der Ruperto Carola viel Aufruhr um die und in der Heidelberger Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Jetzt sind sie in ruhigeres Fahrwasser zurückgekehrt und wachsen – was die Zahl der Professorenstellen betrifft – dank der Exzellenzinitiative um mehr als 25 Prozent. Ein Interview mit Prof. Manfred G. Schmidt, dem Dekan der Fakultät:
Herr Prof. Schmidt, was bedeutet der Heidelberger Erfolg in der Exzellenzinitiative für die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften?„Die Exzellenzinitiative ist für uns in quantitativer und qualitativer Hinsicht zentral. Mit ihr erhielt unsere Fakultät fünf zusätzliche Professuren: je zwei in den Wirtschaftswissenschaften und in der Politikwissenschaft, eine in der Soziologie. Damit wächst die Zahl der Professuren an der Fakultät – derzeit sind es 19 – um mehr als 25 Prozent. Nach vielen mageren Jahren kommen also nun fettere Jahre auf uns zu. In qualitativer Hinsicht werden durch die neuen Professuren die Brücken zwischen den Fächern Wirtschaftswissenschaften, Politische Wissenschaft und Soziologie gestärkt. Überdies soll die interdisziplinäre Kooperation mit den Rechtswissenschaften hinzukommen. Das alles passt zur nachdrücklichen Empfehlung des Wissenschaftsrates, die personell unterausgestatteten Heidelberger Wirtschafts- und Sozialwissenschaften auszubauen.“
Die jetzige Fakultät besteht seit 2002. Wie hat sie sich bewährt?
„Die Fakultät hat zu einem konstruktiven Miteinander gefunden. Die Befürchtung, die Wirtschaftswissenschaften würden aufgrund ihrer viel größeren Zahl an Professoren die kleineren Fächer der Fakultät majorisieren, war unbegründet. Zudem wirken die Fächer nun viel stärker als zuvor zusammen, zum Beispiel durch interdisziplinäre Lehrangebote und durch die Institutionenforschung, die in allen drei Fächern praktiziert wird.“
Unruhige Zeiten haben die Wirtschaftswissenschaften hinter sich. Wie stehen sie heute da?
„Sie befinden sich im Umbau – mit großem Potenzial. Der Schwerpunkt liegt nun auf der Volkswirtschaftslehre, die Betriebswirtschaftslehre gibt es in der klassischen Form nicht mehr. Die Zwangsversetzung der entsprechenden Professuren nach Mannheim erfolgte durch eine politische Entscheidung der Landesregierung, die im Sinne der Volluniversität als katastrophale Fehlsteuerung zu werten ist. Jetzt findet eine Transformation der Wirtschaftswissenschaften statt, die zunehmend auf die verhaltenswissenschaftliche Ökonomie – die ,Behavioral Economics’ –, die Institutionenökonomik und die Umweltökonomie ausgerichtet werden. Davon zeugt auch das neue ,Aushängeschild’ der Heidelberger Wirtschaftswissenschaften: ,Politische Ökonomik’.“
Wo liegen Kernkompetenzen des nun seit 50 Jahren bestehenden Instituts für Politische Wissenschaft?
„Das Institut hat traditionell einen Schwerpunkt in der vergleichenden Analyse politischer Systeme. Der ist in jüngerer Zeit ausgebaut und weiterentwickelt worden, insbesondere durch die Analyse von Staatstätigkeit, etwa von Sozial-, Wirtschafts- oder Umweltpolitik im internationalen Vergleich. Ferner hat sich das IPW stets mit der Politik in Deutschland befasst. Wichtig war immer auch die Politische Theorie – schon bei Dolf Sternberger, dann auch bei Klaus von Beyme – und wichtig ist heutzutage insbesondere die Forschung zu Fragen der Theorie und Praxis der Demokratie. Neue Akzente setzen zudem die vergleichende Außenpolitik- und die Terrorismusforschung.“
Wie ist das Institut für Soziologie ausgerichtet?
„Die Heidelberger Soziologie befasst sich stark mit Max Weber. Dazu gehört sowohl die Mitarbeit an der Max-Weber-Gesamtausgabe als auch die am Weber’schen Forschungsprogramm ausgerichtete Institutionenforschung. Hinzu kommen die empirische Makrosoziologie, die Sozialstruktur- und die Organisationsanalyse, nicht zuletzt auch die Analysen des Dritten Sektors, also jener Sphäre zwischen Staat und Gesellschaft, zu der etwa das Stiftungswesen oder die ehrenamtliche Tätigkeit gehören.“
Wie wirken sich Europäisierung und Globalisierung auf die Fakultät aus?
„Beide Vorgänge sind von epochaler Bedeutung und bestimmen unser aller Leben mit. Aber diese Prozesse wirken sich von Land zu Land unterschiedlich aus. Sie durchlaufen in den nationalen Systemen jeweils einen Filter, so dass es zu beachtlich auseinanderdriftenden Reaktionen kommt. Auch das ist für die Sozialwissenschaften in der Fakultät ein aktuelles und ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld.“
Welche Schwerpunktregionen kann man unterscheiden?
„Im Zentrum der Forschung an der Fakultät stehen die westlichen Demokratien in Europa, Nordamerika, Japan und Australien. Aber es gibt auch andere Schwerpunkte. In der Politischen Wissenschaft wird die Ostasienforschung ausgebaut – und damit wird Asien zusätzlich zur seit Langem bestehenden Südasienforschung mit Prof. Subrata Kumar Mitra stärker als zuvor berücksichtigt. Zu den Untersuchungsgegenständen gehören zudem die Länder, die mit den ,Demokratisierungswellen’ seit den 1970er-Jahren vom autoritären Staat zur Demokratie transformiert wurden – sofern sie nicht auf halbem Wege steckenblieben. Von Letzterem handeln Spezialuntersuchungen über sogenannte ,defekte Demokratien’.“
Worum geht es bei diesen Forschungen konkret?
„Die Unterscheidung zwischen leidlich stabilen und defekten Demokratien ist von großer Bedeutung – in der Theorie und in der Praxis. Ein Beispiel: In der defekten Demokratie ist die Gefahr groß, dass die Bürger- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Der Schaden ist auch für Gesellschaft und Wirtschaft groß: Hier wird Vertrauen gefährdet oder zerstört, aber Vertrauensbildung ist ein zentraler Kitt für das gedeihliche Miteinander. Viel besser schneidet der Club der Länder mit funktionierenden Demokratien ab. Allerdings ist er relativ klein – und glücklicherweise ist die Bundesrepublik Deutschland eines seiner Mitglieder.“
Im Jahr 2009 wird Ihre Fakultät in das Gebäude der früheren Krehl-Klinik einziehen.
„Dort wird die räumliche Nähe die wissenschaftliche Kommunikation zwischen den Disziplinen beflügeln. Die Gewinner werden zudem die Nutzer des neuen attraktiven Medienzentrums sein. In ihm werden die Bibliotheken der drei Fächer zusammengeführt und in sehr schönen Räumen mit neuester Technologie präsentiert.“
Können Sie einige repräsentative Wissenschaftler Ihrer Fakultät nennen?
„In der Politischen Wissenschaft gehört sicherlich Klaus von Beyme dazu. In der Soziologie haben wir mit M. Rainer Lepsius und Wolfgang Schluchter zwei Weber-Forscher von vorzüglichem Format; auch Helmut Anheier ist mit seiner Forschung über den Dritten Sektor im internationalen Vergleich an der Spitze. Die Ökonomie steht derzeit mit zahlreichen jungen Wissenschaftlern vor einer viel versprechenden Entwicklung der verhaltenswissenschaftlichen und der institutionentheoretischen Ökonomik sowie der Umweltökonomik. Welches sind die wichtigsten Ahnherren? Die Forschungen Max Webers in der Soziologie und Nationalökonomie sind für unsere Fakultät von überragender Bedeutung. Und sein Bruder Alfred Weber spielte durch wissenschaftspolitische Weichenstellungen eine wichtige Rolle in der Universität. Hinzu kommen die politikwissenschaftlichen Gründerväter Dolf Sternberger und Carl Joachim Friedrich. Vor allem im Hinblick auf die internationale Ausstrahlung war Friedrich wohl der Wirkungsmächtigere von beiden, weil er in Deutschland und in Amerika präsent war und zudem in der Theorie und in der Komparatistik zu Hause war.“
Von Heribert Vogt, Copyright Rhein-Neckar-Zeitung
Siehe auch: „Das Geburtstagskind wächst wieder“
Siehe auch: „Von internationalem Rang“