Die Universitätsbibliothek zeigt die prachtvoll gestaltete Sammlung mittelhochdeutscher Lied- und Spruchdichtung, die aus konservatorischen Gründen nur sehr selten die klimatisierten Tresore der Bibliothek verlassen darf, vom 26. Oktober an in einer Ausstellung mit dem Titel „Der Codex Manesse und die Entdeckung der Liebe“. Sie ist ein zentraler Beitrag zum großen Veranstaltungsprogramm, mit dem sich die Ruperto Carola im Jubiläumsjahr von Oktober 2010 bis Oktober 2011 der Öffentlichkeit präsentiert.
Der Codex Manesse entstand in seinem Grundstock um 1300 in Zürich – vermutlich auf Betreiben von Rüdiger Manesse und seinem Sohn Johann, die mittelhochdeutsche Lieddichtung in ihrer gesamten Gattungs- und Formenvielfalt zusammentragen wollten. Mehrere Nachträge kamen bis etwa 1340 hinzu. Die Handschrift, die auch als „Große Heidelberger Liederhandschrift“ bezeichnet wird, gilt als repräsentative Summe des mittelalterlichen Laienliedes.
Auf 426 beidseitig beschriebenen Pergamentblättern umfasst der Codex Manesse 140 Dichtersammlungen. Die ältesten Texte reichen bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück; viele Dichtungen sind ausschließlich hier überliefert. Die Handschrift ist damit eines der Schlüsselzeugnisse für die Literatur und Kultur der Stauferzeit.
Den Texten sind 138 Miniaturen vorangestellt: Sie zeigen die Dichter in idealisierter Form bei höfischen Aktivitäten und sind ein bedeutendes Dokument oberrheinischer, gotischer Buchmalerei. Die Anordnung der Lieder orientiert sich am Stand der Autoren: Am Beginn thronen, als vornehmste Dichter, die staufischen Herrscher Kaiser Heinrich VI. und König Konradin. Neben Fürsten und „herren“ folgen auch Berufsdichter wie Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide.
„Saget mir ieman, waz ist minne?“ Diese Frage des Dichters Walther von der Vogelweide nach dem Wesen der Liebe beschäftigte seit dem hohen Mittelalter fahrende Sänger, Adlige und Kleriker. Wie in einer Vielzahl von Texten und Bildern immer neu reflektiert wurde, konnte es einem Ritter nicht mehr genügen, die von ihm begehrte Dame zu besitzen – er wollte vielmehr ihr Herz erobern. Die vielstimmige Entdeckung des Themas Minne beeinflusste nicht nur das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Sie veränderte auch das Selbstverständnis des Adels und die Umgangsformen innerhalb der höfischen Gesellschaft. Die Lieder und Bilder im Codex Manesse fangen diesen Wandel exemplarisch ein.
Seit dem frühen 17. Jahrhundert ist der Codex im Besitz der Heidelberger Kurfürsten nachweisbar. Vor der Eroberung Heidelbergs durch Truppen der katholischen Liga im Jahr 1622 wurde er vermutlich von der kurfürstlichen Familie auf der Flucht mitgeführt. Wahrscheinlich hat nach dem Tod von Kurfürst Friedrich V. im Jahr 1632 seine Witwe die Handschrift in finanzieller Notlage verkauft.
Von 1657 an befand sie sich im Besitz der Königlichen Bibliothek in Paris, der heutigen Bibliothèque Nationale de France. 1888 kehrte sie in einem komplizierten französisch-englisch-deutschen Tauschgeschäft nach Heidelberg zurück.
Zum Jubiläum der Universität Heidelberg präsentiert die Universitätsbibliothek mit dem Codex Manesse ihren wertvollsten Schatz im Original. Entstanden ist die Ausstellung in Kooperation des Instituts für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, des Germanistischen Seminars und der UB mit einer Gruppe engagierter Studierender aus dem Historischen Seminar der Ruperto Carola. Sie steht zugleich im Kontext der großen Mittelalterschau „Die Staufer und Italien“, die in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim seit September dieses Jahres bis zum kommenden Februar zu sehen ist.
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http://manesse2010.uni-hd.de
Kontakt:
Dr. Sabine Häußermann
Universitätsbibliothek Heidelberg
Telefon: 0 62 21/54-25 81
E-Mail: haeussermann@ub.uni-heidelberg.de
Siehe auch: Pressemitteilung der Stadt Heidelberg „Codex Manesse und Stauferjahr“ (pdf)
Die Ausstellung „Der Codex Manesse und die Entdeckung der Liebe“ in der Universitätsbibliothek Heidelberg ist von Dienstag, 26. Oktober 2010, bis Sonntag, 20. Februar 2011, täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr; feiertags und am 2. Januar 2011 ist sie geschlossen. Der Eintritt kostet 5 Euro, ermäßigt 3 Euro.