Von Oliver Fink (Text und Foto)
Als Spezialist für die Liebesdichtung des Mittelalters präsentierte sich Prof. Ludger Lieb in seinem Festvortrag anlässlich der Eröffnung der Codex Manesse-Ausstellung in der Universitätsbibliothek, die am Sonntag, 20. Februar, zu Ende geht. Seit September 2010 in Heidelberg, will der neue Professor für Ältere Deutsche Philologie am Germanistischen Seminar aber nicht nur seine bisherigen Forschungsschwerpunkte ausbauen sondern mit einem internetbasierten Rezensionsorgan für wissenschaftliche Aufsätze auch die Kommunikation unter den Mediävisten beleben.
„Sie dürfen ruhig schreiben, dass ich im Grundstudium mit der Mediävistik noch gar nichts anfangen konnte“, antwortet Ludger Lieb auf die Frage, ob er schon immer ein besonderes Interesse für das Mittelalter hatte. Selbst das Studium der Germanistik habe er eher aus Verlegenheit begonnen.Aber dann machte es doch irgendwann Klick. In seiner 1995 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereichten Dissertation beschäftigte sich der 1967 geborene Wissenschaftler mit deutschen und lateinischen Fabeln des 16. Jahrhunderts – die Arbeit war zeitlich also noch am Rande des Mittelalters angesiedelt. Nach einer Assistenz in Dresden und einem Forschungsjahr in Oxford folgte schließlich im Jahr 2003 die Habilitation mit einer Studie über den ersten deutschen Artusroman. Vor seinem jetzigen Wechsel an die Ruperto Carola bekleidete Lieb von 2008 bis 2010 eine Professur an der Universität Kiel.
„Für mich geht es in meiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem darum, Texte zu erschließen, zugänglich zu machen“, betont Ludger Lieb. So schließe er gerade eine Edition der Fabeln und Erzählungen des Burkard Waldis ab, eines Schriftstellers des 16. Jahrhunderts. Ebenfalls in der Endphase befinde sich ein Handbuch zur Gattung der „Minnereden“. „Vorstellen kann ich mir, dieses Projekt auch auf den Minnesang und – so vielleicht das Fernziel – auf die gesamte Liebesdichtung des Mittelalters, auch die französische und italienische, auszudehnen.“
Texte zu erschließen und zugänglich zu machen ist auch das Ziel eines anderen Projekts, mit dem Ludger Lieb jetzt in Heidelberg starten will. „In unserem Fach wird sehr viel publiziert, gleichzeitig wird immer weniger gelesen“, beklagt er einen Zustand, der wohl nicht nur auf die Mediävistik zutrifft; „das liegt nicht zuletzt daran, dass schlicht die Zeit fehlt.“ Deswegen möchte er gemeinsam mit sieben anderen Professoren ein Online-Portal schaffen, „in dem wissenschaftliche Aufsätze, die wir für relevant und wichtig halten, selektiert und kurz nach Erscheinen in einer Rezension vorgestellt werden.“
Das Besondere dabei: Mithilfe eines angeschlossenen Diskussionsforums werden andere Wissenschaftler zu Beiträgen ermuntert. Ludger Lieb nennt das eine neue Kultur des Feedback-Gebens: „Es geht im Grunde um die Schaffung eines virtuellen Oberseminars, an dem sich auch der Doktorand aus Greifswald oder ein Deutschlehrer aus Bayreuth unmittelbar beteiligen kann.“ Projekte dieser Art gibt es bislang allenfalls in den Naturwissenschaften und der Medizin.
Neuen Ideen und Formen gegenüber aufgeschlossen ist Prof. Lieb. Wichtig ist ihm zugleich, Wissenschaft anschaulich zu vermitteln, auch einem Laienpublikum. Über populäre Mittelalterbegeisterung, die es mit den Fakten und historischen Wahrheiten nicht so genau nimmt, rümpft er keineswegs die Nase. Im Jahr 2007 erschien von ihm der Hörbuch-Reiseführer „ZugBildung“, in dem die kulturellen Denkmäler entlang der Bahnstrecke Eisenach - Erfurt - Weimar - Leipzig - Dresden per Audio-Guide vorgestellt werden. Vorstellen könnte er sich so etwas auch für den Südwesten.
Und was gefällt Ludger Lieb an Heidelberg? „Die schönen, traditionsreichen Institutsgebäude setzen sich so wohltuend von den Zweckbauten ab, in denen ich bislang geforscht und gelehrt habe. Auch die intellektuelle Atmosphäre der Stadt gefällt mir. Ganz angetan bin ich zudem vom Kontakt mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen, der sich in meiner kurzen Zeit hier fast schon wie von selbst ergeben hat.“
Die Nähe zu den wertvollen Mittelalter-Handschriften in Heidelberg dagegen spiele gar keine so große Rolle, bekennt der neue Hochschullehrer. Denn die sind ja inzwischen weitgehend digitalisiert und damit weltweit leicht zugänglich. Die Universitätsbibliothek mit ihren Schätzen und ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber den neuen Medien hat dabei bekanntlich eine Pionierrolle gespielt. Dass in Zukunft auch eine neue Diskussionskultur in der Mediävistik über das Internet mit der Ruperto Carola verknüpft wird, wäre nicht nur für Ludger Lieb ein Glücksfall.