Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Fast wie am Rio de la Plata

Von Mirjam Mohr

Prof. Kirsten Mahlke (Foto: Fink) vom Romanischen Seminar der Ruperto Carola hat ein Faible für ungewöhnliche Themen. Ihre Habilitation widmete sie den Grenzbeziehungen zwischen physikalischer Quantentheorie und lateinamerikanischer Literatur. Zuvor hatte die Wissenschaftlerin in ihrer Doktorarbeit hugenottische Reiseberichte aus dem Amerika der Frühen Neuzeit untersucht, in denen die katholische Eucharistie mit dem Phänomen Kannibalismus in Bezug gesetzt wird.

Aktuell beschäftigt sich die 38-Jährige mit den Auswirkungen von Terror auf Erzählformen: Noch heute drehen die „(Groß-)Mütter der Plaza de Mayo“ jeden Donnerstag ihre Runden um den berühmten Platz in Buenos Aires, um an ihre verschwundenen Kinder zu erinnern; 28 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur in Argentinien ist der Verbleib von rund 30 000 gewaltsam Ermordeten und als „verschwunden“ deklarierten „Desaparecidos“ nach wie vor größtenteils ungeklärt.

Mahlke IrWie geht ein Land mit einem solchen Erbe um – und wie wirkt es sich auf eine von der Fantastik geprägte Literaturtradition aus, in der es per definitionem um die Konfrontation des Unerklärlichen mit dem Gewohnten geht? Diese Fragen stellt Mahlkes am Romanischen Seminar angesiedeltes Forschungsprojekt „Narrative des Terrors und Verschwindens. Fantastische Dimensionen kollektiver Erinnerungen an die letzte Diktatur in Argentinien (1976–1983)“.

Für das bis 2015 angelegte Forschungsvorhaben hat Mahlke, die von der Universität Konstanz nach Heidelberg kam, einen der renommierten Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) in Höhe von 1,2 Millionen Euro erhalten. Zusammen mit sechs Mitarbeiterinnen und einigen assoziierten Wissenschaftlern beschäftigt sie sich – verbunden mit Forschungsaufenthalten vor Ort – damit, „wie eine Gesellschaft mit dieser Gruppe der weder den Toten noch den Lebenden eindeutig zurechenbaren Menschen umgeht.“

Angesiedelt ist das Projekt, im Zuge dessen Kirsten Mahlke mit der Universität von Buenos Aires und dem Zentrum für Genozidforschung in Argentinien zusammenarbeitet, zwischen Literaturwissenschaft, Soziologie und Geschichte. Ihre Mitarbeiterinnen kommen größtenteils aus Argentinien. „Wir arbeiten also nicht isoliert auf einer einsamen Forschungsinsel in Europa“, betont sie.

Mahlkes Laufbahn als Literaturexpertin begann außerhalb der Universität: Nach ihrem Abitur absolvierte sie zunächst von 1991 bis 1993 eine Lehre als Verlagsbuchhändlerin in Frankfurt. „Das war eine ganz wichtige und spannende Zeit für mich“, sagt sie. „Ich wollte nicht gleich auf die nächste Schulbank wechseln sondern erst mal das Berufsleben kennenlernen.“ Durch die Lehre erlebte sie nicht nur den Weg vom Manuskript bis zum fertigen Buch sondern hatte auch intensiven Kontakt mit Autoren. Dadurch habe sie einen ganz anderen Blick auf Literatur bekommen, erläutert Kirsten Mahlke.

Ihr daran anschließendes Studium der Romanistik, Slavistik und Ethnologie an der Universität Frankfurt (Main) stand unter besonderen Vorzeichen: Im ersten Studienjahr wurde Mahlke Mutter, inzwischen hat sie drei Söhne im Alter von 16, 14 und elf Jahren. Trotz der Doppelbelastung machte sie nach fünf Jahren 1998 ihren Magister, wurde 2002 mit „summa cum laude“ promoviert und habilitierte sich 2008 in Konstanz, wo sie von 2002 bis 2009 lehrte und forschte. Tätig ist Kirsten Mahlke zudem im Editorial Board der Konstanz University Press sowie als Redakteurin und Herausgeberin der Zeitschrift für Kulturwissenschaften, die ihr als Forum für Nachwuchswissenschaftler besonders am Herzen liegt.

Längere Zeit ins Ausland zu gehen wird ihr in nicht allzu ferner Zukunft wieder möglich sein, zumal die Kinder nun größer sind. Während des Studiums hatte Mahlke zwar noch viele Reisen nach Frankreich, Chile, Peru und Argentinien unternommen, aber „ein ganzes Jahr wäre schwierig zu organisieren gewesen“. Inzwischen arbeite sie am Romanischen Seminar mit ihren Mitarbeiterinnen „fast wie am Rio de la Plata“.

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