Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Evolution live im Natur-Labor

Bei Pflanzen entstehen neue Arten sehr häufig dadurch, dass genetisch unterschiedliche Eltern sich kreuzen und auf diese Weise Nachkommen mit neuem, gemischtem Erbmaterial erzeugen. Evolutionsforscher der Universität Heidelberg konnten diese Bildung einer neuen Art nun erstmals mitten im Entstehen bei Verwandten der Ackerschmalwand (Arabidopsis) nachvollziehen.

Mehr als sechs Jahre untersuchte ein Wissenschaftler-Team des Centre for Organismal Studies (COS) unter der Leitung von Prof. Marcus Koch ein mehr als hundert Quadratkilometer großes Gebiet im Ostalpenraum und nördlichen Donautal. Dort konnten sie in einem riesigen, natürlichen Labor die Hybridisierung – sprich: Kreuzung – zweier Arabidopsis-Arten intensiv untersuchen und sowohl genetisch als auch morphologisch charakterisieren. Die Ergebnisse wurden online in der Zeitschrift PNAS veröffentlicht.

Die Wissenschaftler der COS-Abteilung „Biodiversität und Pflanzensystematik“ konnten zeigen, dass sich in den Voralpen die Sandschaumkresse (Arabidopsis arenosa) in die genetisch unterschiedliche Felsenschaumkresse (Arabidopsis lyrata) einkreuzte. Bei den daraus entstandenen Hybriden verdoppelte sich das Erbgut, die sogenannte Polyploidisierung.

Mit dieser Einwanderung genetischen Materials wurde aber auch das Potenzial für neue Eigenschaften und die Anpassung an andere Umweltbedingungen übertragen. So waren die neu entstandenen polyploiden Populationen in der Lage, die nordöstlichen Kalkvoralpen zu verlassen und weit nach Norden in die viel tiefer gelegenen Regionen des Donautals zu wandern. Dort herrschen mit einer größeren Trockenheit und höheren Temperaturen völlig andere klimatische Verhältnisse, außerdem sind Boden und Gestein durch Silikate geprägt.

Eine Arabidopsis arenosa-Population in einem aufgegebenen Weinberggelände in der Wachau.
Foto: Universität Heidelberg

Die beschriebenen Anpassungen der Pflanzen haben sich in den vergangenen 10 000 bis 100 000 Jahren vollzogen, was evolutionsgeschichtlich als Gegenwart anzusehen ist. „Es ist bemerkenswert, dass gerade in der Modellgattung der Pflanzenforschung eine neue Sippe entsteht, die trotz Klimawandel und gegen den generellen Trend von stetig steigenden Aussterbe-Raten mit einer neuen Art vertreten sein könnte“, erklärt Prof. Marcus Koch, Leiter der Forschungsstelle Biodiversität und Direktor des Botanischen Gartens und Herbariums der Ruperto Carola: „Mit dem Modellsystem in den Ostalpen ist es jetzt erstmals möglich, derartige Anpassungsmechanismen direkt im auf die Pflanze wirkenden Lebensraum zu untersuchen – quasi als ein großes Laboratorium in der Natur.“

Arabidopsis lyrata x A. arenosa stellt den dritten, natürlichen Hybriden innerhalb der Gattung Arabidopsis dar. Seine Entdeckung bestätigt, dass Hybridisierung in der Gattung, die die Modellpflanze A. thaliana einschließt, häufig ist.
Repro: Universität Heidelberg

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wird das Projekt im Zuge eines Forschungsschwerpunkt-Programms für mindestens drei weitere Jahre mit zwei Postdoktoranden-Stellen fördern.

Kontakt:

Prof. Dr. Marcus Koch
Centre for Organismal Studies (COS)
Telefon: 0 62 21/54-46 55
E-Mail: marcus.koch@cos.uni-heidelberg.de

Roswitha Schmickl, Marcus A. Koch: Arabidopsis hybrid speciation processes, PNAS online, 8 August 2011, doi: 10.1073/pnas.1104212108