Die Autorin ist Prorektorin für Studium und Lehre an der Ruperto Carola. Als Professorin für Systematische Theologie lehrt und forscht sie am Ökumenischen Institut der Universität.
Von Friederike Nüssel
Was die Entwicklung der Lehre an den Universitäten in Deutschland angeht, so leben wir in aufregenden Zeiten. Die Bologna-Reform hat mit der Einführung der gestuften Studienstruktur und der Modularisierung des Lehrangebots in den letzten Jahren für neue Rahmenbedingungen gesorgt und einen intensiven Dialog über die Weiterentwicklung der Lehre befördert. Zugleich stehen wir in einem umfassenden Bildungsreformprozess, zu dem die Umstellung auf das achtjährige Gymnasium gehört.
Die doppelten Abiturjahrgänge – in diesem Jahr zunächst in Bayern, im nächsten Jahr auch in Baden-Württemberg und den meisten anderen Bundesländern – stellen die Universitäten vor neue Herausforderungen, die durch die Aussetzung der Wehrpflicht noch verstärkt werden. Dies bedeutet bewegte Zeiten nicht nur für die Universitäten sondern auch für die, die sich in den letzten Wochen und Monaten für ein Studium entschieden haben und nun an der Universität immatrikuliert sind.„Was wird mich an der Universität erwarten?“ Diese Frage hat in den letzten Jahren sicher eine andere Qualität und eine neue Brisanz gewonnen. Die Antwort allerdings hat sich im Kern nicht geändert. Sie lautet: „Jetzt, mit dem Studienbeginn, wird es überhaupt erst richtig aufregend.“ Denn das eigentlich Aufregende am Studium liegt nicht in den Rahmenbedingungen sondern in den Studieninhalten, die man an der Universität studieren kann.
Es geht darum, dass sie nicht nur Grund- und Spezialwissen in einem bestimmten Fachgebiet vermitteln sondern die Studierenden in die aktuelle Forschung mit hineinnehmen. Ob es um die ganz großen Fragen der Kosmologie, der Evolution menschlichen Lebens, der Konstitution von Individualität und Persönlichkeit, der Erforschung von Krankheit und Gesundheit, der Entwicklung und Gestaltung sozialer, politischer, rechtlicher und ökonomischer Prozesse oder der Religion geht – in allen Bereichen gibt es ungeheuer viel Spannendes zu lernen und zu entdecken. Es lohnt sich, in diese und andere Fragen einzutauchen, die in den Forschungsfeldern der Universität gestellt werden.
Die Universität ist die Einrichtung, an der zweckfreie Neugier, das schiere Wissenwollen, die Faszination neuer Erkenntnisse ihren Ort haben. Zu ihren Grundaufgaben gehört es entsprechend, die Neugier und Faszination für das Fach zu vertiefen und immer neu anzuregen. Das geschieht durch eine forschungsorientierte Lehre, in der die Wissensgebiete nicht nur auf dem neuesten Stand der Forschung präsentiert werden, sondern in der Studierende aktiv in Forschungsprozesse eingebunden werden – in Gestalt forschenden Lernens. Die Grundidee ist nicht neu: Schon Friedrich Schleiermacher, der entscheidende Impulse für die Humboldt’sche Universitätsreform gab, sah das Ziel universitärer Lehre darin, die Studierenden anzuleiten, „das Vermögen, selbst zu forschen, zu erfinden und darzustellen, allmählich in sich herausarbeiten.“
In allen Studiengängen der Universität Heidelberg nimmt forschendes Lernen einen zentralen Stellenwert ein. Die stete Weiterentwicklung neuer Lehr-Lern-Konzepte, die das forschende Lernen stärken, ist dabei eine wichtige Aufgabe. Sie wird in der Universität nicht nur in den Studienkommissionen, sondern auch in den von Studierenden initiierten Fachräten vorangebracht, die jetzt in den großen Fakultäten mit eingerichtet worden sind. Studentisches Engagement in diesen Kommissionen ist für die Universität sehr wichtig.
Wie in der Forschung die interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Bearbeitung von Querschnittsthemen immer wichtiger wird, so spielt auch für die beruflichen Chancen der Studierenden heute die Fähigkeit zu fächerübergreifendem Denken eine immer größere Rolle. Die verstärkte Verzahnung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen ist darum ein zentrales Anliegen in der Weiterentwicklung der Lehre an der Universität Heidelberg.
Die Marsilius-Studien, die im Wintersemester 2010/11 eingerichtet wurden, leisten hier einen exemplarischen Beitrag, indem hier fächerübergreifend an Fragestellungen gearbeitet wird, die besondere gesellschaftliche Herausforderungen darstellen. Darüber hinaus soll das Angebot an interdisziplinären Veranstaltungen zwischen verschiedenen Disziplinen weiter ausgebaut werden. Hier gibt es viele aktuelle und aufregende Themen und Schnittstellen zu entdecken, sei es im Bereich der Umweltforschung, in der Erforschung der Genese und dem Transfer von Kulturen oder der weltanschaulichen Implikationen neurowissenschaftlicher Forschung, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Die Universität lebt in Forschung und Lehre von neuen Fragen und der Neugier der Lehrenden und Lernenden. Im Sinne ihres Wahlspruchs „semper apertus“ freut sich die Universität Heidelberg auf die Impulse und Fragen und insbesondere die Neugier der Studierenden.
Die Autorin ist Prorektorin für Studium und Lehre an der Ruperto Carola. Als Professorin für Systematische Theologie lehrt und forscht sie am Ökumenischen Institut der Universität.