Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

„Junk-DNA“ trägt zur Evolution bei

Der größte Teil des menschlichen Erbguts besteht aus DNA ohne offensichtliche Funktion, der sogenannten „neutralen“ oder „Junk-DNA“. Dr. Laurence Ettwiller und Michael Eichenlaub vom Centre for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg konnten nun diese „Dunkle Materie“ des Erbguts als Quelle für evolutionäre Neuentwicklungen identifizieren.

Ihre Studie zeigt, dass schon wenige Veränderungen in funktionell inaktiver „Junk-DNA“ ausreichen, um wichtige Steuerelemente der Genregulation, die sogenannten Enhancer, neu entstehen zu lassen. Zum Nachweis der neuen Enhancer dienten Experimente am japanischen Süßwasserfisch Medaka, die sich wohl auch auf den Menschen übertragen lassen. Die Forschungsergebnisse wurden in „PLoS Biology“ veröffentlicht.

Genetische Unterschiede zwischen Menschen werden weniger von Differenzen in den 1,5 Prozent des Erbguts bestimmt, die für Genprodukte kodieren. Vielmehr gehen Experten heute davon aus, dass zur Vielfalt innerhalb der Spezies Homo sapiens vor allem Veränderungen in denjenigen Abschnitten der DNA beitragen, welche die Genregulation, also die Bildung von Genprodukten wie den Proteinen beeinflussen. Ein wesentliches Steuerelement der Genregulation sind „Verstärker“, die Enhancer. Veränderungen in den „Verstärkern“ sind einerseits Ursache zahlreicher Krankheiten und Fehlbildungen, andererseits bergen sie das Innovationspotenzial für evolutionäre Neuentwicklungen.

Michael Eichenlaub und Laurence Ettwiller haben nun gezeigt, dass solche Innovationen durch die „de novo“-Bildung von neuen Enhancern hervorgebracht werden können. Sie konnten belegen, dass nur geringe Veränderungen in der DNA-Sequenz ausreichen, um neue regulatorische Elemente aus nicht-regulatorischer „Junk-DNA“ entstehen zu lassen. Diese Beobachtung steht im Kontrast zur allgemeinen Annahme unter Evolutionsforschern, dass Neuentwicklungen überwiegend auf der Modifikation präexistenter funktioneller Elemente des Genoms basieren.

Mit Hilfe eines grün fluoreszierenden Proteins wurden diejenigen Strukturen im Medaka-Fisch sichtbar gemacht, in denen die identifizierten „de novo“-Enhancer aktiv sind.
Abbildung: Ettwiller/Eichenlaub

Die bisherige Sichtweise hat auch dazu beigetragen, dass Forscher ihr Augenmerk fast ausschließlich auf Veränderungen funktionell aktiver Genomelemente gerichtet haben. Veränderungen innerhalb „neutraler“ oder „Junk-DNA“ – den etwa 97 Prozent der Erbinformation, die auch als die „Dunkle Materie“ des Genoms bezeichnet werden – wurden dagegen vernachlässigt. „Unsere Arbeit wirft ein Licht auf diese vernachlässigten Abschnitte des Genoms, die ein Spielfeld zur Herstellung neuer Enhancer sein dürften“, so Studienleiterin Laurence Ettwiller.

Die Heidelberger Wissenschaftler testeten verwandte Sequenzen verschiedener Spezies des japanischen Süßwasserfischs Medaka auf Enhancer-Aktivität und konnten in mehreren Fällen die Existenz neu entstandener „Verstärker“ aus nicht-funktioneller „Junk-DNA“ nachweisen. Auch wenn die Studie an Fischen vorgenommen wurde, ist davon auszugehen, dass beim Menschen identische Mechanismen zur evolutionären Neuentwicklung vorliegen, betont Laurence Ettwiller.

„Die Studie beweist, dass die winzigen Veränderungen im Erbgut, die sich von Generation zu Generation ansammeln, ausreichen, um neue Funktionen ,aus dem Nichts‘ entstehen zu lassen“, erläutert Michael Eichenlaub. Und Dr. Ettwiller ergänzt: „Unsere Methode könnte dabei helfen, Veränderungen zu verstehen, die zur Entwicklung unserer Spezies geführt haben – und die funktionelle Bedeutung der 1,23 Prozent der Erbinformation zu entschlüsseln, in denen sich das menschliche Genom von dem des Schimpansen unterscheidet.“

Kontakt:

Dr. Laurence Ettwiller
Centre for Organismal Studies Heidelberg
Telefon: 0 62 21/54-64 95
E-Mail: laurence.ettwiller@cos.uni-heidelberg.de

Eichenlaub MP, Ettwiller L: De Novo Genesis of Enhancers in Vertebrates. PLoS Biol 9(11): e1001188, doi:10.1371/journal.pbio.1001188