„Ich habe nicht trotz sondern wegen meines Kindes habilitiert“
Von Dr. Eva Maria Wellnitz
Privat-Dozentin Dr. Carolin Brockmann ist eine der jungen Frauen mit Bilderbuchkarriere. Die Ärztin, die in der Abteilung für Neuroradiologie an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) arbeitet, ist mit 34 Jahren die jüngste habilitierte Ärztin ihres Fachgebietes mit Kind in Deutschland – diese doppelte Herausforderung scheint die Mutter einer knapp dreijährigen Tochter regelrecht zu genießen. „Das Arbeiten macht mir noch mehr Spaß, seit Nike da ist. Manche Dinge klappen auch besser, wahrscheinlich weil man nicht mehr nur um berufliche Dinge kreist.“
Was ist das Geheimnis von Carolin Brockmann? Ihre Karriere wirkt gut geplant und stringent durchgezogen. Aber da widerspricht die junge Frau: „Ich habe schon immer sehr wenig geplant – hatte also keineswegs schon als Kind den Wunsch, einmal Ärztin zu werden, geschweige denn zu habilitieren.“ Auch die Frage „Kind ja oder nein“ habe sie eine ganze Weile beschäftigt. „Denn eigentlich passt das ja irgendwie nie.“
Als sich der Nachwuchs dann unerwartet schnell ankündigte, habe sie sich zwar sehr gefreut aber auch erschrocken. Und schnell zeigte sich, dass Nike tatsächlich ihre berufliche Zukunft infrage stellte, als Carolin Brockmann trotz vieler Anfragen keine Zusage für einen Krippenplatz bekommen konnte. Da beide Elternteile keine familiäre Unterstützung vor Ort hatten, waren sie unbedingt auf eine Kinderbetreuung angewiesen, wenn nicht einer von beiden ganz zu Hause bleiben wollte.
Ein Jahr Elternzeit wollte sie aber ohnehin nehmen und so hatte die junge Ärztin noch etwas Zeit. Während dieser fing sie an, ihre wissenschaftlichen Daten zu sortieren, zu bearbeiten und schließlich zu publizieren – soweit Nike das zuließ – und schaffte damit eine der Grundvoraussetzungen für eine Habilitation. Auch das hatte sie nicht konkret geplant.
So gesehen ist wohl etwas dran, wenn Carolin Brockmann auf die bewundernde Feststellung, dass sie trotz Kindes habilitiert habe, antwortet: „Ich habe nicht trotz sondern wegen meines Kindes habilitiert.“ Denn ohne Nike hätte sie sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht die Zeit genommen, ihre Sammlung von wissenschaftlichen Daten zusammenzufassen und zu veröffentlichen.
Als dann die Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg Mitte 2009 eine eigene Betriebs-Kinderkrippe gründete, die MEDI-KIDS, war auch das Problem der Kinderbetreuung gelöst. Die damalige Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät, Prof. Dr. Grietje Beck, wollte damit jüngeren Kolleginnen das verschaffen, was sie sich selbst gewünscht hatte, als sie eine junge Mutter war: Unterstützung in Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein Angebot, das genau auf Dr. Brockmann zugeschnitten war und – fast – zum richtigen Zeitpunkt kam.
Eigentlich hatte Carolin Brockmann ein Jahr lang ganz für ihre Tochter da sein wollen. Doch bei den MEDI-KIDS musste sie sofort zusagen, da ihr zu einem späteren Zeitpunkt kein fester Platz garantiert werden konnte. So kam es, dass Nike mit vier Monaten eines der ersten und das jüngste „MEDI-KID“ war. Dass ihre Tochter zu den ersten Kindern der neu gegründeten Krippe gehörte, habe sie schon als Abenteuer empfunden: „So waren wir von Anfang an dabei. Alle waren sehr engagiert und es musste improvisiert werden. Vieles, was fehlte, haben die Eltern privat mitgebracht: Sonnenschirme, eine Kaffeemaschine … Es war ein Abenteuer, aber auch eine sehr amüsante Zeit. Und wir hatten von Anfang an das Gefühl, dort richtig zu sein.“
Carolin Brockmann hat es nicht bereut: Die stufenweise Betreuung durch die MEDI-KIDS noch während der Elternzeit brachte Freiräume mit sich, die sie gut zu nutzen wusste. Zum einen gönnte sie sich und ihrer Tochter eine lange, behutsame Eingewöhnungszeit. Zum anderen arbeitete sie weiter an ihren Publikationen und unterrichtete nebenher. Sie ist überzeugt: „Alleine könnten wir unsere Tochter nicht so toll erziehen wie gemeinsam mit dem MEDI-KIDS-Team.“
Nach der Elternzeit kehrte Carolin Brockmann zurück ins Arbeitsleben – zu 50 Prozent. Die anderen 50 Prozent verbringt sie mit ihrer Tochter und nutzt die Zeit auch weiterhin dafür, zu publizieren. Karriere und Kind bekommt sie also gut unter einen Hut. Was ist ihr Erfolgsrezept?
Abgesehen von ihr selbst tragen dazu vor allem ihr Mann, ihr Chef und die MEDI-KIDS bei. Von ihrem Mann erhält sie volle Unterstützung: Prof. Dr. Marc Brockmann ist ebenfalls Neuroradiologe und Oberarzt in der Abteilung für Neuroradiologie der UMM, die von Prof. Dr. Christoph Groden geleitet wird. Dass ihr Mann dieselbe Profession ausübt und in derselben Abteilung arbeitet, hat Carolin Brockmann klar als Vorteil ausgemacht: „Dadurch bringt er Verständnis für meinen Beruf mit und wir verbringen mehr Zeit miteinander, auch einmal ohne Kind – etwa beim gemeinsamen Mittagessen in der Mensa. Das ist sehr ausgleichend für die familiäre Situation.“
Darüber hinaus können beide relativ flexibel planen. Das wiederum ist ihrem gemeinsamen Chef Prof. Groden zu verdanken, der ihnen entgegenkommt, etwa wenn es um flexible Arbeitszeiten geht. Und der sie fördert: „Professor Groden hat an mich geglaubt – dass ich wiederkomme und einen guten Job mache, auch wenn ich Mutter bin.“ So ist es ihr sogar möglich, selbst Auslandstermine – Kongresse oder Weiterbildungen – wahrzunehmen, die sie in ihrer Karriere voranbringen. Dann managt ihr Mann die kleine Familie, mit Unterstützung der Kinderkrippe.
Hätte sich die junge Mutter und Ärztin auch ohne die MEDI-KIDS so früh in der Neuroradiologie habilitieren können? „Es hätte auf jeden Fall länger gedauert. Und ich hätte mich nicht so wohl damit gefühlt – ohne Schuldgefühle dem Kind gegenüber, dafür, dass ich beruflich nicht so stark zurückstecke.“ Denn in der Betriebs-Krippe trifft sie auf Frauen, die die gleiche Entscheidung getroffen haben wie sie. Alle Eltern, deren Kinder hier betreut werden, arbeiten oder studieren. Das macht vermutlich auch den besonderen „Spirit“ aus, der hier herrscht. „Hier werden die Dinge angepackt – und auch die Kinder sind ziemlich aufgeweckt. Die Leitung und das pädagogische Fachpersonal sind darauf eingestellt, uns voll zu unterstützen, und reden uns kein schlechtes Gewissen ein, weil wir arbeiten.“
Von außen bekommen die MEDI-KIDS schon einmal zu hören, sie seien ein elitärer Haufen. „Aber wer die MEDI-KIDS kennt, weiß: Das ist ganz und gar kein elitärer sondern vielmehr ein ganz netter, bodenständiger Haufen. Viele Eltern kennen sich auch aus dem Job in der UMM. Die Kinder leben dort wie in einer Großfamilie“, so Carolin Brockmann.
Bei ihrer Antrittsvorlesung, mit der sie ihr Habilitationsverfahren vor gut drei Monaten abgeschlossen hat, waren auch die Kleinen dabei: ungefähr 15 Kinder aus der Gruppe ihrer Tochter, den sogenannten „Dreckspatzen“. Carolin Brockmann sagt: „Ich habe großes Glück gehabt, weil es zur richtigen Zeit die MEDI-KIDS gab. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich mir von Anfang an weniger Sorgen gemacht.“
MEDI-KIDS: Betriebliche Kindertagesstätte der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg; zwei Krippengruppen mit je zehn Plätzen für Kinder im Alter von bis zu drei Jahren und eine altersgemischte, bilinguale Kindergartengruppe mit 15 bis 20 Plätzen; Öffnungszeiten: 7 bis 19 Uhr; zwei Wochen im Kalenderjahr geschlossen.