Von Mirjam Mohr
Es gibt vermutlich nicht viele Wissenschaftler, die Musikvideos und die US-amerikanische Comic-Serie „Die Simpsons“ in Zusammenhang mit Kunst der Frühen Neuzeit bringen. Für Prof. Dr. Henry Keazor (Foto: Hentschel) aber liegen solche Verbindungen auf der Hand – und er schafft es, skeptische Kollegen wie Studierende davon zu überzeugen, dass sich Kunst auch da findet, wo man sie nicht unbedingt vermutet. Mit Beginn dieses Wintersemesters hat der 47-Jährige die Professur für Neuere und Neueste Kunstgeschichte am Institut für Europäische Kunstgeschichte (IEK) der Ruperto Carola übernommen.
Damit kehrt Henry Keazor in seine Geburtsstadt Heidelberg zurück, in der er auch studiert hat. Aufgewachsen ist er allerdings in der Pfalz und in Saarbrücken, wo er seit 2008 an der dortigen Universität lehrte. Zwischen diesen beiden Städten lagen berufliche Stationen in Paris, Rom und Florenz, wo sich Keazor auf italienische und französische Barockmalerei spezialisierte, sowie in Frankfurt und Mainz. „Ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt wieder in Heidelberg gelandet bin“, sagt er.Mitgebracht hat der Kunsthistoriker das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Zur ästhetischen Umsetzung von Musikvideos im Kontext von Handhelds“. Darin geht er der Frage nach, was sich bei der Konzeption von Musikvideos ändert, wenn sie nicht mehr nur für Fernsehbildschirme realisiert werden sondern zunehmend auch für Displays von Smartphones.
„Dieses Genre ist auch für Kunsthistoriker wichtig, weil es mit bewegten Bildern arbeitet und zum Teil auch auf Malerei rekurriert“, erläutert Keazor. Natürlich seien die Filme nicht alle Kunst, „aber es gibt tatsächlich Videos, die unglaublich komplex und raffiniert angelegt sind. Zudem ist unsere Medienkultur momentan stark von früheren Musikvideo-Regisseuren wie etwa Spike Jonze geprägt, die Dinge entwickelt haben, die inzwischen im Kunst- und Kinobereich vollkommen arriviert sind.“
Verweise auf die Kunstgeschichte sind auch der Grund, warum sich Henry Keazor wissenschaftlich mit der Kult-Comic-Serie „Die Simpsons“ beschäftigt hat. „Die Serie ist unglaublich intelligent gemacht und arbeitet mit sehr vielen kunstgeschichtlichen Zitaten“, erklärt er. „Für Kunsthistoriker ist es sehr interessant zu sehen, welche Verweise dort stattfinden, und was das über die Kunstwerke, die dort rezipiert werden, und über die Zuschauer aussagt, über den Bekanntheitsgrad der Werke oder über die Art und Weise, wie man bestimmte Kunstwerke sieht.“
Methodisch seien solche Themen ebenfalls sehr interessant, „denn es handelt sich ja um kein klassisches Kunstwerk sondern um ganz neue Formen der Kunstgattung.“ Damit stößt Keazor zwar oft erst einmal auf Skepsis bei Kollegen und auch Studierenden. Aus Erfahrung weiß er aber, dass diese meist umso begeisterter in die Thematik einsteigen, wenn sie erst einmal entdeckt haben, was daran für Kunsthistoriker aufschlussreich sein kann.
Seine Offenheit für solcherart Themen führt Henry Keazor auch darauf zurück, dass er sich in seiner Dissertation mit dem französischen Barockmaler Nicolas Poussin beschäftigte, der sehr stark andere Künstler rezipierte und verarbeitete. „So habe ich schon sehr früh Dinge gesehen, bei denen ich dachte: Diese Art des Aufgreifens und Verarbeitens gibt’s doch auch schon in der Frühen Neuzeit.“
Zudem kam Keazor erst auf Umwegen zur Kunstgeschichte: Zunächst studierte er vier Semester Medizin, wechselte dann aber zu den Geisteswissenschaften. Nachdem er mit Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft experimentiert hatte, entdeckte er durch einen Studienaufenthalt in Paris, dass die Kunstgeschichte alle seine Interessen abdeckte: „Bilder, Texte, Musik – für mich hat das all die anderen Studienfächer auf eine schöne Weise umschlossen.“
In Paris stieß er auch auf Poussin; und da dieser lange Zeit in Italien gelebt hatte, führte Keazor sein Weg ebenfalls dorthin: „Ich habe mit einem Auslandsstipendium ein Jahr in Rom verbracht und hatte später das Glück, ein Stipendium und eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle in Florenz zu bekommen.“ Nach vier Jahren in Florenz ging er 1999 als wissenschaftlicher Assistent an das Kunstgeschichtliche Institut der Goethe-Universität Frankfurt, an der er sich 2005 habilitierte. Einer einjährigen Gastprofessur an der Universität Mainz folgte ein Heisenberg-Stipendium der DFG, bevor Keazor 2008 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte in Saarbrücken übernahm.
In Heidelberg will sich Prof. Henry Keazor in Forschung und Lehre nun auch einem weiteren ungewöhnlichen Thema widmen: Kunstfälschungen. „Das ist ein hochspannendes Studienobjekt, weil man dabei sehr viel darüber herausfindet, wie wir Kunst eigentlich wahrnehmen“, legt der Wissenschaftler dar. „Aus unserem Umgang mit Fälschungen kann man sehr viel lernen – deshalb lässt sich das Thema auch für die Lehre fruchtbar machen.“
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