Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Kaurimuscheln markieren die Lage der Atolle

Von Tina Schäfer

Eine aus Kokosblattrippen gefertigte Stabkarte aus Mikronesien (Foto: Kartographische Sammlung) ist zurzeit in einer der beiden Vitrinen der „Sammlung des Monats“ in der Universitätsbibliothek (UB) Heidelberg zu sehen. Das Exponat ist Teil der Kartensammlung des Geographischen Instituts. Als weitere Schaustücke sind eine dreidimensionale Karte von Bulgarien sowie eine historische Karte von Israel aus dem 17. Jahrhundert ausgestellt. Das Schaufenster in die Sammlungen der Ruperto Carola ist im Foyer der Bibliothek zu finden.

Kartenmaterial ist für die Geographie unerlässlich. Und so besteht vermutlich bereits seit der Gründungszeit des Geographischen Instituts Ende des 19. Jahrhunderts eine entsprechende Sammlung. Neben der Entwicklung der Kartographie lassen sich an den Karten auch historische Prozesse nachzeichnen. Von der Antarktis bis Zypern, von der Agrarwirtschaft bis zum Zugverkehr – die Kartensammlung des Geographischen Instituts umfasst ein breites Spektrum an Kartenblättern, Falt-, Wand- und 3-D-Karten, welche die meisten Länder der Erde sowie eine Vielzahl von Themen abbilden.

Etwa 75 000 Karten lagern in den über 100 Schränken im Untergeschoss des Instituts. Neben topographischen und geologischen Karten sowie Straßen- und Wanderkarten geben vor allem die thematischen Karten Einblicke in die verschiedensten Aspekte von Mensch und Umwelt: Alter und Bevölkerungswachstum, Seuchenverbreitung, Wetterkarten der Deutschen Kriegsmarine, Operationskarten des amerikanischen Militärs und preußische Gemarkungskarten sind nur einige Beispiele.

„Das große Plus der Sammlung ist die Vielzahl von historischen Karten, die rund die Hälfte des Bestands ausmachen“, sagt die Bibliothekarin und Sammlungsbeauftragte Katrin Siebler. Darunter finden sich auch ausgefallene Titel wie die Karte zur „Verteilung wehrfähiger Männer über 1,70 Meter und unter 1,70 Meter“. Zu den ältesten Objekten gehören einige zu Atlanten gebundene Blattsammlungen aus dem ausgehenden 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert. Neben der Entwicklung der Kartographie lassen sich an den Karten unterschiedliche historische Prozesse nachverfolgen, etwa die Erschließung einzelner Weltregionen oder Abläufe in der Stadt- und Regionalentwicklung.

Eine Kartensammlung hat es wahrscheinlich bereits zu Zeiten der Institutsgründung 1895 gegeben. Das erste Zugangsbuch, das neu aufgenommene Karten dokumentiert, stammt jedoch aus dem Jahr 1928. In der Lehre wird das Kartenmaterial regelmäßig eingesetzt, so in Kursen zu Kartographie und Karteninterpretation. „Unsere Bestände sind offen für alle, die damit arbeiten wollen“, betont Siebler.

Seit ein Großteil der Karten im Katalog der Universitätsbibliothek erfasst ist, verzeichnet die Sammlung zudem verstärkt Forschungsanfragen, auch von außerhalb der Universität. Die vollständige Erfassung der Karten im UB-Katalog ist ein laufendes Projekt. Katrin Siebler: „In Zukunft wäre auch eine systematische Digitalisierung unserer Bestände erstrebenswert.“

Eine Karte muss jedoch nicht zwingend aus Papier bestehen. Die besagte Stabkarte – ein Orientierungsinstrument von den mikronesischen Marshall-Inseln – ist aus Pflanzenteilen gefertigt. Dazu wurden die Rippen von Kokosblättern mit einer Art Bast zu einer gitterartigen Struktur zusammengebunden. Die angehängten kleinen Kaurimuscheln markieren die Lage einzelner Atolle und kennzeichnen das Konstrukt als Übersichtskarte. Hergestellt wurde die Stabkarte vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts und kam als Teil einer ethnologischen Lehrsammlung nach Heidelberg, die das Geographische Institut aus dem Nachlass des Südsee-Forschers Bernhard Hagen (1853 bis 1919) erhalten hatte. An drei Stellen sind auf den Rippen nachträglich von einem Heidelberger Wissenschaftler mit Tinte die Namen von Inseln vermerkt worden.

Die Stabkarte zeigt die Meeresströme zwischen den Inseln und dokumentiert Zonen mit gefährlichem Seegang. Sie diente den seefahrenden Bewohnern der Marshall-Inseln aber nicht etwa zur Navigation während einer Bootsfahrt sondern als Lehrmaterial für nachfolgende Generationen. Die Karte macht deutlich, wie Menschen auch ohne Kenntnisse der im Westen üblichen Messgeräte und Dokumentationsverfahren in der Lage sind, ihre Umgebung topographisch zu erfassen und Informationen über lebenswichtige Gegebenheiten der Umwelt für ihre Nachkommen festzuhalten.

www.geog.uni-heidelberg.de/institut/kartensammlung.html

www.uni-heidelberg.de/unispiegel/kartensammlung.html

Die „Sammlung des Monats“ ist ein Ausstellungsformat, das seit Januar 2013 in der Heidelberger Universitätsbibliothek präsentiert wird: In zwei Vitrinen im Bibliotheksfoyer stellen die Museen und Sammlungen der Ruperto Carola im monatlichen Wechsel ausgewählte Objekte aus ihren Beständen vor. Organisiert wird die Reihe vom Arbeitskreis der Museen und Sammlungen, einem Netzwerk der Sammlungsbeauftragten an der Universität. Die „Sammlung des Monats“ will auf die Vielfalt der Exponate an der Ruperto Carola aufmerksam und neugierig auf weitere Einblicke machen.

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