Kosmischer Wetterballon im stürmischen Zentrum der Galaxis
Das Strahlungsfeld im Zentrum der Milchstraße muss tausendmal stärker sein als in der Zone, in der sich unsere Sonne befindet. Das haben Astrophysiker des Sonderforschungsbereichs „Das Milchstraßensystem“ der Ruperto Carola mit Computersimulationen herausgefunden. Die Berechnungen der Forscher des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) und des Max-Planck-Instituts für Astronomie basieren auf den Daten einer Art „kosmischen Wetterballons“ – den Temperaturdaten einer besonders dichten Gaswolke in der Nähe des galaktischen Zentrums.
Das Zentrum unserer Heimatgalaxie ist nach den Worten der Heidelberger Forscher ein „unwirtlicher Ort“. Dort herrschen „Wetterbedingungen“, die sich am ehesten mit dem stürmischen Kap Horn auf der Erde vergleichen lassen. Ein Schwarzes Loch sowie sehr heiße und explodierende Sterne sorgen für einen intensiven „Strahlungswind“, während sich unsere Sonne im Randbereich der Milchstraße quasi an der italienischen Riviera der Galaxie befindet.
„Um im Bild zu bleiben: An einem Ort mit derart extremen Bedingungen würde niemand eine ,Ferienanlage‘ errichten. Dennoch lassen sich dort durchaus ,Bauaktivitäten‘ feststellen: In der Nähe des galaktischen Zentrums existieren Gaswolken, in denen sich gerade junge Sterne bilden“, erläutert Dr. Paul Clark, der im Team von Prof. Dr. Ralf Klessen am ZAH tätig ist.
Eine besonders dichte Gaswolke mit der Bezeichnung G0.253+0.016 haben Dr. Clark und seine Kollegen jetzt genauer untersucht, denn trotz ihrer Nähe zum galaktischen Zentrum lässt sich hier die Bildung einer großen Zahl neuer Sterne beobachten. Allgemein ist der Vorgang der Sternentstehung ein Wechselspiel von zwei Kräften: Unter dem Einfluss der Gravitation zieht sich interstellares Gas zusammen, während der innere Druck des Gases der Verdichtung entgegenwirkt. Paul Clark: „Nahe am galaktischen Zentrum ist dieses Gas durch die Stärke des Strahlungsfeldes stärker aufgeheizt als in den Randbereichen der Galaxie, so dass die Bildung von Sternen im Zentrum der Milchstraße vermutlich anders abläuft, als wir es bislang von den Randbereichen kennen.“
Mit dem Infrarotsatelliten Spitzer wurde diese Aufnahme von G0.253+0.016 in der Nähe des galaktischen Zentrums gemacht. Die „Dunkelwolke“, die sich vor dem hellen Hintergrund abzeichnet, erstreckt sich über 30 Lichtjahre; das Zentrum der Milchstraße ist der helle Fleck am rechten Bildrand. Die Gaswolke verwendete das Team um Dr. Paul Clark als „kosmischen Wetterballon“, um das Strahlungsfeld im Zentrum der Milchstraße zu bestimmen.
|
|
Foto: NASA/Spitzer/Benjamin et al., Churchwell et al.
|
Um die Vorgänge im Zentrum der Milchstraße besser zu verstehen, müssen die dort herrschenden „Wetterbedingungen“ – in diesem Fall die Stärke des Strahlungsfeldes – genauer bestimmt werden. Die Wissenschaftler nutzten dazu G0.253+0.016 als eine Art „kosmischen Wetterballon“: Mithilfe astronomischer Observationen konnte die Temperatur der Gaswolke ermittelt werden. Diese Daten dienten als Basis, um die Temperatur von G0.253+0.016 in Abhängigkeit vom Strahlungsfeld zu berechnen. Dabei variierten die Heidelberger Astrophysiker die mögliche Stärke des Feldes so lange, bis das Ergebnis der Berechnungen mit den realen Temperaturmessungen übereinstimmte. Bei den Simulationen kam der in Jülich stationierte Supercomputer „Milky Way“ zum Einsatz, der für Projekte des Sonderforschungsbereichs genutzt wird.
Die Computersimulationen ergaben, dass das Strahlungsfeld im Zentrum der Milchstraße tausendmal stärker sein muss als in der Umgebung unserer Sonne, die sich etwa 25 000 Lichtjahre entfernt am Rand der Galaxie befindet. Die Heidelberger Astrophysiker gehen davon aus, dass unter diesen extremen Bedingungen in der Gaswolke wesentlich weniger Kohlenstoffmonoxid (CO) entsteht als üblich. „Kohlenstoffmonoxid spielt eine wesentliche Rolle in den meisten Regionen, in denen Sterne entstehen, da es dazu beiträgt, die Temperatur der Wolke zu regulieren. Der geringere Gehalt an CO in den Wolken des galaktischen Zentrums hat erhebliche Auswirkungen auf ihre Entwicklung“, erklärt Dr. Clark. Weitere Untersuchungen an dem „kosmischen Wetterballon“ sollen dazu beitragen, den Prozess der Sternentstehung im Zentrum der Milchstraße vollständig zu verstehen.
An den Forschungsarbeiten, deren Ergebnisse in „The Astrophysical Journal Letters“ veröffentlicht wurden, waren neben Dr. Clark und Prof. Klessen auch Dr. Simon Glover und Dr. Rahul Shetty beteiligt. Vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie hat Dr. Sarah Ragan an den Untersuchungen mitgewirkt.
P.C. Clark, S.C.O. Glover, S.E. Ragan, R. Shetty and R.S. Klessen: On the temperature structure of the Galactic Center cloud G0.253+0.016, The Astrophysical Journal Letters, Volume 768, Issue 2, article id. L34, 6 pp. (2013), doi: 10.1088/2041-8205/768/2/L34