Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Menschenrechte hautnah

Von Ramona Fehringer

Khadim Resaan Hassan war während des Irakkriegs 2003 ein hochrangiges Mitglied der regierenden Ba’ath Party und General in der Privatarmee der Partei. Am 23. April stürmte eine britische Einheit sein Haus, um Hassan zu arrestieren. Dabei fanden die Soldaten jedoch seinen bewaffneten Bruder Tarek Hassan vor, den sie nach Camp Bucca brachten. Vier Monate nach dessen Freilassung – vermutlich um den 2. Mai – wurde Tarek tot aufgefunden. Acht Kugeln einer Kalaschnikow hatten ihn getroffen, Spuren von Folter und einer Hinrichtung zeichneten seinen Leichnam.

Khadim Resaan Hassan klagt deswegen in Straßburg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen das Vereinigte Königreich. Und zum Jahresabschluss hatte ELSA Heidelberg unter dem Aspekt des Europarechts eine Fahrt zu der öffentlichen Verhandlung der Großen Kammer organisiert (Foto: privat). Die European Law Students’ Association hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch Besuche bei in- und ausländischen Institutionen und Kanzleien sowie durch Vorträge und Seminare einen praktischen Bezug zum vermittelten Vorlesungsstoff herzustellen.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Europäische Union bekanntlich zu einer immer wichtigeren und zentralen Institution entwickelt. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf den politischen Alltag und die Gesetzeslage sondern auch konkret auf den Studiengang der Rechtswissenschaften: Europarecht wird immer häufiger in die Examen eingebunden. Doch so bedeutend es auch ist, so abstrakt kann es manchmal wirken – daher die Fahrt zur Verhandlung am 11. Dezember letzten Jahres.

Das besagte Camp Bucca war ein Lager unter amerikanischer Führung, das auch den Briten zur Verfügung stand. Dort wurde Tarek Hassan befragt, um herauszufinden, ob er ein Gegner oder bloßer Zivilist sei. Nachdem man Letzteres annahm, wurde Tareks Freilassung 38 Stunden nach seiner Ankunft in Camp Bucca beschlossen. Wann er jedoch entlassen wurde, lässt sich nicht mehr genau bestimmen. Mehrere Daten schweben im Raum – am wahrscheinlichsten nach britischen Angaben ist der 2. Mai 2003.

Was danach geschah, ist unbekannt. Vier Monate später wurde Tarek tot aufgefunden, getroffen von acht Kugeln aus einer Kalaschnikow und gezeichnet von Spuren der Folter und einer Hinrichtung. Bei ihm befand sich seine ID-Card des Camps Bucca.

Sein Bruder Khadim Hassan war wie erwähnt ein hochrangiges Mitglied der Ba’ath Party unter Saddam Hussein und General der Parteiarmee Al Quds gewesen. Zunächst hat er vergeblich in Großbritannien und nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt. Dabei macht er Verstöße gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechte auf Leben, Verbot der Folter, Freiheit und Sicherheit geltend. Zu klären ist, ob das Vereinigte Königreich die rechtliche Zuständigkeit über Camp Bucca besaß und ob einer Nation ihr Handeln außerhalb des Staatsgebiets zugerechnet werden kann.

Im ersten Teil der Verhandlung trugen die Anwälte beider Parteien ihre Positionen und Argumente vor. Das Vereinigte Königreich befand, dass es keinen Einflussbereich in Camp Bucca besessen habe und deshalb auch der falsche Antragsgegner sei. Zudem wurde argumentiert, dass Folterung und Tod von Tarek nicht durch britische Hand geschehen seien. Dafür spreche, dass die Leiche vier Monate nach der Freilassung gefunden und der Todeszeitpunkt auf den 1. September 2003 datiert wurde. Zudem sei die Leiche weit entfernt von Camp Bucca aufgefunden worden – in einem Gebiet, das nicht von Großbritannien besetzt war. Schließlich wurde Tarek durch Schüsse einer Kalaschnikow getötet, einer Waffe, die nicht von britischen Soldaten benutzt werde.

Hassans Anwalt dagegen betonte eine britische Zuständigkeit und stützte sich dabei auf die geteilte Verantwortlichkeit mit den USA über das Camp. Die britische Kontrolle über festgenommene Individuen begründe eine „extra-territorial jurisdiction“ des Vereinigten Königreichs. Ferner verwies Phil Shiner darauf, dass Unstimmigkeiten bezüglich des genauen Datums der Freilassung bestünden und sich das Vereinigte Königreich deshalb kaum auf den langen Zeitraum zwischen Entlassung und Tod berufen könne. Zudem wurde bei der Leiche die Identifikationskarte des Camps entdeckt, was nahelege, dass Tarek erst zu einem viel späteren Zeitpunkt entlassen worden sei als am 2. Mai.

Im Anschluss daran stellten die Richter Fragen – die meisten in Richtung des Vereinigten Königreichs. Vermehrt ging es dabei um Ort und Zeitpunkt der Freilassung und den Fund der ID-Card. Nach einer 20-minütigen Pause hatten die Parteien Gelegenheit, auf die Fragen einzugehen. Danach wurde die Verhandlung geschlossen. Das Urteil wird im Laufe dieses Jahres erwartet.

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