Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

„Da mir das irgendwie peinlich war“

Von Till Seemann

„Das meine ich, wenn ich von meinen Problemen spreche“, sagt Lisa, während sie einen gut und gerne vier Kilogramm schweren Wälzer aus einem der oberen Bücherregale in der Fakultätsbibliothek zieht. Man stöbert im Regal, greift ein Buch heraus und trägt es zum Schreibtisch oder zum Kopierer. Für Lisa (Name von der Redaktion geändert) sind schon diese Bewegungen extrem anstrengend. Die Studentin der Universität Heidelberg leidet seit ihrem zweiten Lebensjahr an „juveniler idiopathischer Arthritis“, dem kindlichen Rheuma.

Scheinbar einfache Dinge – wie die Literaturrecherche in der verwinkelten und über mehrere Etagen verteilten Bibliothek oder die kurzen Wege zu Spind und Kopierer – verlangen Lisa viel Energie ab. Ob das Gros ihrer Kommilitonen etwas von der Erkrankung weiß? Unwahrscheinlich, denn die 25-Jährige gehört einer Befragung des Deutschen Studentenwerks (DSW) zufolge zu den 94 Prozent aller durch Behinderung oder chronische Krankheit beeinträchtigten Studierenden, denen man ihre Erkrankung nicht direkt ansieht; wie es etwa bei Rollstuhlfahrern oder sehbehinderten Hochschülern der Fall ist (Symbolbild: Universität). Und fast die Hälfte dieser Studierenden will die Beeinträchtigung unter keinen Umständen preisgeben. Dafür verzichten viele auf Beratungsangebote und mögliche finanzielle Unterstützung.

Lisa bildete da zu Beginn keine Ausnahme: „Am Anfang meines Studiums wollte ich keine Anträge auf Nachteilsausgleich stellen, da mir das irgendwie peinlich war. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich ohne diese Hilfe die vielen Klausuren nicht bestehen kann.“ Nicht zum ersten Mal hat Lisa deshalb im vergangenen Semester für eine wichtige Prüfung einen Antrag auf Nachteilsausgleich eingereicht. Nach der Bewilligung durch das Prüfungsamt standen der Studentin für die Klausur zwei zusätzliche Stunden zur Verfügung. Das ist nur fair, denn erschwerte Arbeitsbedingungen wie Unkonzentriertheit in Folge von Medikamenteneinnahme treten nicht erst während der Klausur auf sondern können sich durch die gesamte Lernphase ziehen.

Zu offensichtlichen Defiziten wie nicht vorhandenen Fahrstühlen oder Ruheräumen gesellen sich grundsätzliche Probleme, die Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung den Studienalltag erschweren. „Benötigen meine Kommilitonen zur Mensa zu Fuß vielleicht zehn Minuten, muss ich hierfür mit dem Bus einmal rund um die Altstadt fahren. Das kostet viel Kraft und Zeit.“ Umso glücklicher ist Lisa über ihr gutes Verhältnis zu Kommilitonen und Mitarbeitern der Universität: „Diejenigen, die von meiner Erkrankung wissen, zeigen allesamt großes Verständnis für meine Situation. Das Prüfungsamt der Fakultät und auch das BAföG-Amt haben mich bei meinen Anträgen bisher ganz wunderbar unterstützt.“

Das ist umso wichtiger, da die zusätzlichen Ausgaben, denen sich Studierende wie Lisa ausgesetzt sehen, erheblich sein können; vom Zeitverlust durch Arztbesuche und Rehabilitationsmaßnahmen ganz zu schweigen. Fünf Semester sind Lisa bislang verlorengegangen – hervorgerufen durch Phasen, in denen es ihr besonders schlecht ging.

Die Palette an Unterstützungsangeboten für beeinträchtigte Studierende, zu denen auch die Beratung durch das Handicap-Team der Ruperto Carola zählt, ist durchaus umfangreich. Das Problem besteht eher darin, dass noch zu selten darauf zugegriffen wird: Nur jeder Vierte gab in der erwähnten Befragung durch das DSW an, wenigstens einen Antrag auf Nachteilsausgleich gestellt zu haben. Für Lisa ist das völlig unverständlich: „Ich würde jedem Studierenden, der dazu berechtigt ist, so etwas unbedingt empfehlen. Viele Erkrankungen bringen einen Zeitverlust mit sich, der es unmöglich macht, das zu leisten, was man eigentlich leisten könnte.“

Handicap-Team der Universität:
Telefon: 0 62 21/54-38 40 oder 54-23 62
E-Mail: handicap@zuv.uni-heidelberg.de
www.uni-heidelberg.de/studium/kontakt/handicap

Heidelberg hürdenlos

Studienfinanzierung und Nachteilsausgleich

Ein kurzes Interview mit Blanche Brinken und Anja Maria Münz vom Handicap-Team der Universität Heidelberg, Ansprechpartnerinnen für behinderte und chronisch kranke Studierende:

Mit welchen Fragen wenden sich die Studierenden an Sie?

Brinken: „Klassische Fragen, besonders von Erstsemestern, betreffen die Barrierefreiheit von Gebäuden und Räumen. In Heidelberg gibt es leider viele alte Gebäude und kleine Institute, die nur zum Teil barrierefrei sind. Viele Neuankömmlinge wollen wissen, welche Möglichkeiten es gibt, ihre Beeinträchtigung bei der Bewerbung zu berücksichtigen. Auch Fragen zu Studienassistenten oder zur Finanzierung von Mehrkosten werden immer wieder an uns gerichtet.“

Münz: „An uns wenden sich auch Studierende, die unsicher sind, wie sie an der Uni mit ihrer Erkrankung umgehen sollen: Sollen sie ihren Kommilitonen und Dozenten davon erzählen, oder vielleicht lieber nicht?“

Welche Hilfeleistungen bieten Sie an?

Brinken: „Unterstützung bieten wir beispielsweise bei Fragen zur Studienfinanzierung und zu Nachteilsausgleichen. Bei uns kann man auch einen Newsletter abonnieren, in dem über Beratungsangebote und aktuelle Veranstaltungen und Termine in der Region informiert wird.“

Münz: „Wir vermitteln an die diversen Ansprechpartner weiter, zu denen vor allem Studierende am Anfang ihres Studiums Kontakt aufnehmen sollten. In Heidelberg sind das unter anderem das Amt für Soziales der Stadt sowie unterschiedliche Gruppen und Organisationen, die sich zum Teil auf sehr seltene Erkrankungen und Behinderungen spezialisiert haben.“

Was hat es mit dem Patenprojekt auf sich und wie kann man sich dabei engagieren?

Brinken: „Das Patenprojekt haben wir selbst entwickelt. Besonders Studienanfänger haben zu Beginn sehr viel zu organisieren. Das betrifft nicht nur die Wohnungssuche und die Erstellung des Stundenplans sondern auch Anträge beim Amt für Soziales sowie die Besorgung technischer Hilfsmittel und ärztlicher Atteste. Für solche Fälle möchten wir Paten bereitstellen. Das sind Studierende aus höheren Fachsemestern, die Tipps geben können zu: Wie finde ich mich in meinem Institut zurecht? Wie ist die Bibliothek aufgebaut? Welche Erfahrung habe ich mit welchem Dozenten gemacht? Wie der Studierende das mit seinem Paten organisiert, bleibt den beiden überlassen. Es kann bei einem Treffen bleiben, es haben sich daraus aber auch schon Freundschaften entwickelt. Wer Lust hat, Pate zu werden, kann sich gerne direkt an uns wenden.“