Wie verstehen, produzieren und lernen Menschen Sprache – und wie kann man die dabei ablaufenden kognitiven Prozesse erforschen? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Sprachwissenschaftler der Ruperto Carola im 2011 gegründeten Heidelberg University Language and Cognition Lab (HULC Lab). Die Einrichtung, in der die Wissenschaftler mit Probanden arbeiten, ist ein Kooperationsprojekt des Instituts für Deutsch als Fremdsprachenphilologie und des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen.
Die Aufgabe klingt zunächst einfach: „Sie sehen Wörter, die in verschiedenen Farben geschrieben sind. Benennen Sie so schnell wie möglich bei jedem Wort die Schriftfarbe!“ Man liest das in grüner Farbe geschriebene Wort „schwarz“ und schon liegt einem „schwarz“ auf der Zunge, erst nach kurzem Stocken folgt die richtige Antwort „grün“. Das Gleiche passiert bei den übrigen Wörtern, denn bei allen handelt es sich um Farbbezeichnungen, die fast immer in einer anderen Farbe geschrieben sind – und jedes Mal muss man sich konzentrieren, um die vermeintlich so simple Aufgabe richtig zu lösen.Dieser sogenannte Stroop-Test vermittelt eine Ahnung davon, wie automatisiert Vorgänge im Gehirn beim Lesen ablaufen. Und mit solchen hochgradig automatisierten Prozessen der Sprachverarbeitung beschäftigen sich die Wissenschaftler des HULC Lab. Der Stroop-Test gehört zu den Experimenten, mit denen die Linguisten veranschaulichen können, worum es bei ihrer Arbeit geht: Sie erforschen, was im Kopf eines Menschen beim Sprechen, Hören und Sprachenlernen geschieht.
Bei einem anderen Versuch sollen die Probanden per Tastendruck angeben, ob es sich bei einer Buchstabenkombination um existierende deutsche Wörter oder Unsinnsbegriffe handelt, wobei die Entscheidungszeit gemessen wird. „Damit können wir untersuchen, wie Informationen im sogenannten mentalen Lexikon gespeichert sind und wie diese abgerufen werden“, erklärt Johannes Gerwien, einer der Initiatoren des HULC Lab. Als „mentales Lexikon“ bezeichnen Sprachwissenschaftler die Teilbereiche des Langzeitgedächtnisses, in denen das Wortwissen in hochorganisierter Weise gespeichert ist.
Was geschieht im Kopf beim Sprechen, Hören und Sprachenlernen? | Bild: HULC Lab |
Bei einem weiteren Test wird die Lesedauer für jedes Wort in einem auf dem Bildschirm gezeigten Satz einzeln gemessen. Mit solchen Lesezeitexperimenten können die Forscher beispielsweise die Hypothese überprüfen, dass semantisch komplexere Verben einen höheren Verarbeitungsaufwand und damit mehr Verarbeitungszeit benötigen als weniger komplexe.
Eine der wichtigsten experimentellen Methoden für die Forschergruppe am HULC Lab ist das Eyetracking-Verfahren, bei dem Blickbewegungen aufgezeichnet werden. „Das Eyetracking benutzen wir unter anderem, um zu untersuchen, welche kognitiven Prozesse ablaufen, wenn ein Sprecher ein bestimmtes Ereignis in Sprache fasst“, erläutert Gerwien: „Dabei gehen wir zum Beispiel der Frage nach, wie spezifische grammatikalische Strukturen einer Sprache die Informationsverarbeitung während der Sprachproduktion beeinflussen.“
So konnten die Heidelberger Linguisten in sprachvergleichenden Studien nachweisen, dass die Struktur einer Sprache den Blick des Sprechenden in gewisser Weise steuert, wenn er vor der Aufgabe steht, zu beschreiben, was in einem Videoclip geschieht. Dafür zeigten die Wissenschaftler Probanden aus verschiedenen Sprachräumen kurze Filme und ließen sie das Gesehene in einem Satz beschreiben. Anschließend analysierten sie die Unterschiede im Gesagten und die Augenbewegungen der Testpersonen.
„Wir konnten Aufmerksamkeitsmuster identifizieren, die mit vorsprachlichen kognitiven Prozessen zusammenhängen“, so Prof. Dr. Christiane von Stutterheim vom Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie: „Wohin wir bevorzugt schauen und wie lange wir dies tun, wird von der Struktur unserer jeweiligen Sprache beeinflusst.“ Die Wissenschaftler konnten auf diese Weise zeigen, dass die visuelle Wahrnehmung und damit ein wesentlicher Teil der menschlichen Kognition zumindest teilweise von der Struktur der Sprache geprägt ist.
Interessierte können sich übrigens jederzeit beim HULC Lab melden, um selbst an Experimenten teilzunehmen.
Mirjam Mohr