Von Mirjam Mohr (Text) und Oliver Fink (Foto)
Manchmal wird Geschichte überraschend aktuell. Das erlebt gerade Tanja Penter, die im vergangenen Herbst die Professur für Osteuropäische Geschichte am Historischen Seminar der Ruperto Carola übernommen hat. Die Expertin für Russland und die Ukraine fühlt sich durch die schweren Unruhen in dieser Region „an eine Rückkehr der Geschichte erinnert, nämlich an das, was 1917 und in den Jahren des Bürgerkriegs in der Ukraine passierte“. Positiv wertet sie das große Interesse der Heidelberger an dem Thema – vor allem der Studierenden, von denen sie generell begeistert ist.
In ihrer Dissertation beschäftigte sich Tanja Penter mit der Geschichte der sozialen und nationalen Bewegungen im Zuge der Russischen Revolution von 1917, in ihrer Habilitation untersuchte sie die Arbeits- und Alltagserfahrungen der Bevölkerung im ukrainischen Donezbecken während des Stalinismus und der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Diese Donbass-Region, in der die Historikerin Zeitzeugen befragte und der sie sich bis heute verbunden fühlt, ist einer der aktuellen Krisenbrennpunkte; und nicht nur deswegen verfolgt sie „geradezu paralysiert“ das Geschehen.Die Ereignisse, bei denen „ganz viele Dynamiken und auch unterschiedliche Akteure zusammenkommen“, ähnelten zum Teil der Entwicklung ab 1917, als kleine separatistische Bewegungen entstanden und eigenständige Sowjetrepubliken ausgerufen wurden. Zu Vorwürfen an die Medien, sie berichteten teilweise einseitig über die Konflikte, verweist die Osteuropa-Expertin auf ein strukturelles Problem ihrer Disziplin: „Es wird auf diesem Gebiet viel Unwissen verbreitet, weil es zu wenig Wissenschaftler gibt, die die aktuellen Entwicklungen über Jahre verfolgen und so Einschätzungen zu Langzeitperspektiven abgeben können.“ Entsprechende Forschungsinstitute seien nach dem Ende des Kalten Krieges geschlossen worden, selbst an der Universität Heidelberg sollte der Bereich der osteuropäischen Geschichte zeitweilig abgewickelt werden. „Möglicherweise hat die aktuelle Lage für unsere Disziplin sogar positive Effekte, weil man sich daran erinnert, dass man uns braucht – aber es ist schade, dass es für dieses Bewusstsein solch trauriger Anlässe bedarf.“
Das Interesse für Osteuropa entwickelte sich bei Tanja Penter, die zunächst an der Universität zu Köln ein Studium der Mittleren und Neueren Geschichte begann, erst bei einem Studierendenaustausch mit Kölns Partneruniversität Wolgograd: „Das war 1990/91, als unsere Austauschgruppe vor Ort die Endphase der Sowjetunion mitbekam und die deutsche Wiedervereinigung im sowjetischen Fernsehen miterlebte.“ Nach ihrem Auslandssemester wählte sie osteuropäische Geschichte als Hauptfach und lernte verstärkt Russisch. „Bei mir ist es meistens so, dass konkrete Begegnungen mit Menschen Anstoß für mein Interesse an neuen Themen sind.“
Großes Interesse hat Tanja Penter auch an interdisziplinärer Zusammenarbeit. Nach ihrer Promotion, für die sie in Odessa, Kiew und Moskau forschte, arbeitete sie an einem interdisziplinären Forschungsprojekt am Institut für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum zur Zwangsarbeit im Kohlebergbau mit. In dessen Rahmen entstand auch ihre 2008 abgeschlossene Habilitation „Kohle für Stalin und Hitler. Arbeiten und Leben im Donbass 1929 bis 1953“, die mit dem René-Kuczynski-Preis für hervorragende Publikationen aus dem Bereich der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ausgezeichnet wurde.
Von 2007 bis 2010 war Tanja Penter Geschäftsführerin eines internationalen Forschungsprojekts zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern und den vielfältigen geschichtspolitischen, sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen insbesondere in Osteuropa: „Das war nicht nur deshalb besonders spannend, weil daran auch Psychologen, Soziologen und Allgemeinhistoriker aus verschiedenen Ländern mitgewirkt haben, sondern auch, weil es sich mit ganz aktueller Zeitgeschichte beschäftigt hat.“ Anders als bei den meisten historischen Arbeiten konnte Tanja Penter so noch mit vielen Zeitzeugen sprechen.
Spannend war auch ein Projekt, das die Historikerin 2004/2005 an das Center for Advanced Holocaust Studies des US Holocaust Memorial Museums in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington führte. Es ging dabei um Prozesse gegen sowjetische Kriegsverbrecher und Kollaborateure während der deutschen Besatzungszeit. In Washington konnte Tanja Penter mit Aktenbeständen arbeiten, die bis heute in den sowjetischen Nachfolgearchiven nicht zugänglich sind. „Diese Forschungen waren nicht nur interessant im Hinblick auf die Themen Holocaust und Besatzung sondern auch für Fragestellungen, die sich generell mit der Bedeutung von Recht und Justiz bei der Verarbeitung der Folgen von Gewalt, Krieg, Diktatur und politischen Umbrüchen beschäftigen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Ein größeres Projekt auf diesem Feld der „transitional justice“ zählt zu ihren Plänen für ihre Forschungstätigkeit an der Ruperto Carola.
Generell freut sich Tanja Penter nicht nur über die langfristige Perspektive, die sie nach einer Vertretungsprofessur an der Bundeswehrhochschule in Hamburg nun mit ihrem Lehrstuhl in Heidelberg hat: „Ich bin auch begeistert von den Heidelberger Studierenden. Ich habe den Eindruck, dass das Interesse an der osteuropäischen Geschichte hier sehr groß ist; und da die Zusammensetzung der Studierenden heterogener ist als an der Bundeswehrhochschule, bekommen die Diskussionen ganz andere Impulse. Das gefällt mir!“
www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/sog/mitglieder/prof_tanja_penter_kontakt.html