Meine Familie, der Spion und ich
Von Mirjam Mohr
Kalter Krieg, Geheimdienst und Identitätsdiebstahl – um diese Themen dreht sich ein sehr persönlicher Dokumentarfilm einer polnischen Alumna der Universität Heidelberg. Der Film „Meine Familie und der Spion“ von Rosalia Romaniec, der in der ARD und im WDR ausgestrahlt wurde, erzählt eine Geschichte wie aus einem James-Bond-Drehbuch, die sich tatsächlich in der Familie der Journalistin zugetragen hat. Anfang der 1990er-Jahre hatte die Autorin am Studienkolleg der Ruperto Carola studiert.
Im Zentrum des Films steht Romaniec’ Onkel, der 1946 in Pommern als uneheliches Kind einer verheirateten Deutschen und eines sowjetischen Soldaten unter dem Namen Heinz Arnold geboren wurde. Als Monate später die verbliebenen Deutschen Pommern verlassen mussten, ließ die Mutter ihren Sohn zurück, der zunächst in ein Waisenhaus kam und später von einer polnischen Familie unter dem Namen Janusz Arnold adoptiert wurde. Von seiner tatsächlichen Herkunft erfuhr er erst als junger Mann.
Soweit eine Geschichte, wie sie auch andere Kinder dieser Kriegsgeneration erlebt haben. Was sie allerdings so besonders macht: In den 1970er-Jahren stattete der polnische Geheimdienst einen polnischen Germanistikstudenten in der DDR, der als Spion angeworben worden war, mit der gestohlenen Identität des Kindes aus dem Waisenhaus aus. Dieser Agent ging 1978 als „Heinz Arnold“ nach Westdeutschland, nachdem er die leibliche Mutter des echten Heinz/Janusz ausfindig gemacht hatte. Noch am Tag des Wiedersehens starb die Mutter unerwartet – angeblich an Herzversagen. Der falsche Heinz Arnold blieb im Westen und bekam in Bremen im Amt für Zuwanderer und Aussiedler aus Osteuropa eine Stelle, bei der er viele Informationen für den polnischen Geheimdienst sammeln konnte.
Der Spion, alias Heinz Arnold, und Janusz, der wirklich als solcher geborene Heinz Arnold.
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Bilder: Polnisches Institut für Nationales Gedenken (IPN Warschau)
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Als schließlich der echte Sohn nach seiner leiblichen Mutter suchte, erfuhr er zu seinem großen Erstaunen, dass es ihn im Westen noch einmal gab. Kurz darauf starb er ebenfalls plötzlich und unter mysteriösen Umständen – auch diesmal war die Todesursache angebliches Herzversagen. Nähere Untersuchungen der misstrauisch gewordenen Familie wurden nicht zugelassen.
Der Spion wurde kurz darauf enttarnt, verhaftet und schon nach wenigen Monaten gegen westdeutsche Agenten ausgetauscht. Mehr als 30 Jahre später gelang es Rosalia Romaniec, ihn ausfindig zu machen und zum Sprechen zu bewegen. Eine Aufklärung aller Geheimnisse war allerdings nicht möglich, weil viele Akten in Polen und Deutschland weiterhin unzugänglich sind. Einige Behörden verwehrten der Journalistin nach deren Angaben sehr lange die Einsicht in die Dokumente aus den 1980er-Jahren. Die Akten der früheren kommunistischen Geheimdienste in Polen sowie der deutschen Bundesanwaltschaft konnte sie nur unter strengsten Auflagen einsehen.
„Seit ich 13 war und mein Onkel Janusz plötzlich als junger Mann starb, wollte ich wissen, was sich dahinter verbirgt. Alle in meiner Familie gingen mit diesem Tod so um, als ob noch ein Geheimnis dahinter sei“, erzählt Romaniec. 2008 begann sie, ihre Familie in Gesprächen von der Mitarbeit an dem Film zu überzeugen. „Die Arbeit hat mir viel bedeutet, weil ich als Journalistin etwas überprüfen konnte, was mich seit der Kindheit beschäftigte. Außerdem halte ich den Film für einen wichtigen Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung aus der Zeit des Kalten Krieges – er zeigt, was es bedeutet, wenn nichts ahnende Menschen plötzlich mitten in einem Spionagespiel stehen und sich nicht wehren können.“ Durch den Film konnte Romaniec’ Familie auch endlich ihre Verwandten in Deutschland kennenlernen. Zudem hat inzwischen – auch aufgrund des Beitrags – die Staatsanwaltschaft in Polen Ermittlungen wegen des Todesfalls aufgenommen.
Der Film auf YouTube
Rosalia Romaniec wurde 1972 in Polen geboren. Nach dem Abitur ging sie nach Deutschland und studierte nach ihrer Studienvorbereitung am Internationalen Studienzentrum der Universität Heidelberg 1992/93 bis zum Jahr 1999 an der Universität Dortmund Journalistik, Politikwissenschaft und Sport. Seit ihrem ins Studium integrierten Volontariat bei der Deutschen Welle 1995 arbeitet sie als freie Autorin für deutsche und polnische Medien. Ihre Schwerpunkte liegen auf historischen und außenpolitischen Themen.