Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Klimarelevanter Flaschenhals

Mit 20 000 Litern Meerwasser sind Wissenschaftler der Universität Heidelberg in einem Experiment gemeinsam mit Experten weiterer Forschungseinrichtungen der Frage nachgegangen, inwieweit natürliche, biologisch produzierte Oberflächenfilme den Austausch von Wärme, Gasen und flüchtigen Stoffen zwischen der Atmosphäre und den Weltmeeren beeinflussen. Ziel ist es, diese für das Klima und die Umwelt relevanten Effekte zu quantifizieren. Zudem wollen die Forscher herausfinden, in welchem Ausmaß sich organische Substanzen, die sich an der Wasseroberfläche anreichern, in der Luft als Schwebeteilchen wiederfinden lassen. Diese sogenannten Aerosole werden durch brechende Wellen und an der Wasseroberfläche platzende Blasen erzeugt.

Die Untersuchungen, die in dieser Form bislang einmalig sind, wurden im Heidelberger Aeolotron realisiert, dem großen ringförmigen Wind-Wellen-Kanal des Instituts für Umweltphysik. Sie sind eingebunden in das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Verbundprojekt „Surface Ocean Processes in the Anthropocene“ (SOPRAN).

Mehr als zwei Drittel der Oberfläche unseres Planeten sind von Wasser bedeckt. An der Grenzfläche zwischen den beiden wichtigen Teilen des Systems Erde – den Ozeanen und der Atmosphäre – spielen Austauschprozesse eine bedeutende Rolle. Sie bestimmen, in welchem Umfang Wärme, Gase und flüchtige Stoffe durch die Ozeanoberfläche transportiert werden und wie stark der Wind die Ozeanströmungen anschiebt. Die sogenannten viskosen Grenzschichten auf beiden Seiten der Wasseroberfläche sind noch nicht einmal einen Millimeter stark. Dort dominieren langsame molekulare Transportprozesse. Sie bilden damit einen „Flaschenhals“ für den Austausch zwischen Luft und Wasser, so Prof. Dr. Bernd Jähne vom Institut für Umweltphysik, der das Experiment zusammen mit Dr. Kerstin Krall leitet.

Mit Blick auf die winderzeugten Wellen am Aeolotron diskutieren hier (von links nach rechts) Dr. Mariana Ribas Ribas (Universität Oldenburg), Dr. Anke Nölscher (Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz) und Jakob Kunz (Universität Heidelberg).
Foto: Dr. Kerstin Krall, Institut für Umweltphysik

Wie der Heidelberger Wissenschaftler darlegt, wird die Dicke dieser Grenzschichten und damit die Schnelligkeit des Transports durch diejenigen Umweltparameter beeinflusst, die oberflächennahe Turbulenz erzeugen oder unterdrücken. Dazu gehören der Wind, das Wellenfeld und die Anreicherung von oberflächenaktiven Substanzen an der Wasseroberfläche. „Die genauen Zusammenhänge zwischen diesen Parametern und der Transportgeschwindigkeit sind bis heute unklar“, erklärt Professor Jähne, der auch das Heidelberg Collaboratory for Image Processing (HCI) am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) leitet: „Wenn wir die Austauschprozesse zu verstehen lernen, können wir sie besser parametrisieren und damit die globalen Stoffkreisläufe exakter modellieren.“ Die Ergebnisse des Experiments am Heidelberger Aeolotron sollen dazu neue Erkenntnisse liefern, insbesondere zum Austausch von klima- und umweltrelevanten Gasen.

An den interdisziplinären Untersuchungen wirken neben den Umweltphysikern und Experten für Bildverarbeitung aus Heidelberg Chemiker, Meeresbiologen und Ozeanographen mit. Beteiligt sind Forscher aus Kiel, Leipzig, Lyon, Mainz, Manchester, Oldenburg und Warnemünde – sie nahmen optische Wellenmessungen vor, untersuchten mit Wärmebildkameras den Temperaturaustausch und erfassten die Turbulenz an der Wasseroberfläche. Darüber hinaus ist die Transportgeschwindigkeit von 20 umweltrelevanten Spurengasen und flüchtigen Stoffen von Interesse. Weitere Analysen und Messungen betreffen die chemische Zusammensetzung der Oberflächenfilme, die biologische Aktivität des Wassers sowie die Aerosole.

Das für das Experiment notwendige Meerwasser war vom Forschungsschiff „Poseidon“ aus 50 Metern Tiefe im Nordatlantik geschöpft worden. Anschließend wurde es in einem Tanklastzug nach Heidelberg transportiert, wo es im Kellergeschoss des Instituts für Umweltphysik in Tanks zwischengelagert wurde.

http://sopran.pangaea.de

Englischsprachiger Film über das Aeolotron
Campus-TV: 20 000 Liter Meerwasser
Campus-Report zum Heidelberger Aeolotron-Experiment (mp3)