Von Mirjam Mohr
Mitgefühl für andere Menschen, Erziehung zu Toleranz, Verständnis der Geschichte und anderer Völker und Sitten – solche zeitlosen Ideale schrieb Friedrich Schiller dem Schauspiel als Wirkung zu. Auch im Zeitalter von Fernsehen und Internet kann die Bühne noch als „moralische Anstalt und Schule praktischer Weisheit“ dienen, wie man an einem Gymnasium im bosnischen Gračanica sehen kann: Dort hat der Deutschlehrer und Schiller-Fan Jasmin Mujkic, der in den 1990er-Jahren an der Ruperto Carola Deutsch als Fremdsprachenphilologie sowie Philosophie studierte, eine Opern-AG ins Leben gerufen. Seit 2005 begeistert er seine Schüler für die Oper – was in dieser Altersgruppe nicht unbedingt selbstverständlich ist.
„Jede Oper ist ein schönes Drama, und wenn ein Drama gut aufgeführt wird, kann es den Zuschauer rühren und dadurch etwas in dessen Leben verändern. Da ich selbst in meiner Zeit in Heidelberg zum Opern-Fan geworden bin, wollte ich auch bei anderen, vor allem bei meinen Schülern, den Sinn dafür wecken“, erklärt Mujkic. Zu Beginn war das allerdings nicht einfach in einem Land, das von den Wunden und Traumatisierungen des Bosnienkriegs geprägt ist. Die erste gemeinsame Opernfahrt führte die Schüler nach Sarajevo, später standen aber auch Fahrten nach Kroatien und Serbien auf dem Programm. Das stieß nicht überall auf Zustimmung, denn nach wie vor gibt es gegenseitige Vorbehalte im ehemaligen Jugoslawien.Doch Jasmin Mujkic, der mit seinen Schülern auch Radtouren in die serbisch bewohnten Gebiete Bosniens und nach Kroatien unternimmt, ließ sich vom Widerstand nicht beirren. Und der Erfolg gibt ihm recht: Die ersten AG-Teilnehmer kamen aus Neugier, inzwischen werden viele von der Begeisterung der anderen angesteckt und wollen deshalb mitmachen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei der Umstand, dass die AG Reisen zu Opernhäusern in anderen Ländern unternimmt. Mehr als 100 bosnische Schüler haben so inzwischen verschiedene europäische Städte besucht. Und einige von ihnen haben sich aufgrund ihrer Erfahrungen in der Opern-AG für ein Studium im Ausland entschieden – und bewusst Städte mit Opernhäusern ausgesucht.
Gruppenbild mit Rolando Villazon nach dem Besuch des „Don Giovanni“ in der Wiener Staatsoper. | Foto: privat |
Einer von ihnen ist Ibrahim Mehinovic, der in Karlsruhe Elektrotechnik studiert. Zunächst hatte er gar kein Interesse am „Club der Opernfreunde“ gehabt; das kam erst auf, als eine Fahrt zur Oper in Prag anstand. Mehinovic durfte unter der Bedingung mitfahren, dass er sich mit einer DVD von einer „Don Giovanni“-Aufführung vorbereitete. „Und meine Begeisterung war gleich sehr groß“, erinnert er sich: „Ich bin Herrn Mujkic für vieles sehr dankbar, aber vor allem dafür.“ Die Oper gefalle ihm deswegen so gut, weil sie alles vereine: Schauspiel, Musik und Lyrik. „Auch wenn das paradox klingt, habe ich das Gefühl, dass die Oper reeller als das Leben ist, weil die Gefühle in allen drei Bereichen ausgedrückt werden.“ Neben regelmäßigen Opernbesuchen in Karlsruhe nimmt Ibrahim Mehinovic auch weiter an Fahrten der AG teil und organisierte selbst einen Ballettbesuch in Karlsruhe, als die Schüler zu Besuch in Mannheim waren.
Vor gut einem Jahr hat die Gruppe einen regelrechten „Opernmarathon“ in fünf europäischen Städten absolviert: „Don Giovanni“ (Wiener Staatsoper), „Schwanensee“ (Staatsoper Bratislava), „Die lustige Witwe“ (Semperoper Dresden), „Nabucco“ (Staatsoper Prag) und „La Bohème“ (Ungarische Staatsoper in Budapest). Ein weiterer Höhepunkt war vor einigen Jahren ein dreitägiges Opern-Seminar an der Schule zusammen mit anderen bosnischen Schulen und dem Goethe-Institut. Unter der Überschrift „Ermutigung zur Oper“ stellten Mujkics Schüler Gleichaltrigen verschiedene Opern vor und musizierten gemeinsam mit professionellen Musikern. Zu Gast war auch eine Opernsängerin aus Belgrad – das erste Mal seit Kriegsende, dass eine Serbin die Schule besuchte. Die Jugendlichen aus den anderen Schulen teilten anschließend ihr neu erworbenes Wissen mit ihren Mitschülern; und zwei Monate später besuchten 150 bosnische Schüler im kroatischen Zagreb gemeinsam die „Zauberflöte“.
Große Bühne für die Opern-AG mit Tänzern des „Schwanensees“ in Bratislava. | Foto: privat |
Seinen Ursprung hat der „Club der Opernfreunde“ im Heidelberg der 1990er-Jahre. Jasmin Mujkic, der zunächst in Belgrad Philosophie studiert hatte, kam 1993 wegen des Kriegs nach Deutschland und setzte sein Studium an der Ruperto Carola fort. Im Studentenwohnheim lernte er Ralf Worch kennen, der seit seiner Schulzeit und bis heute Statist am Mannheimer Nationaltheater ist und Mujkic mit in die Oper nahm. Die erste gemeinsam besuchte Aufführung, Richard Wagners „Tristan und Isolde“, war kein leichter Stoff, so Ralf Worch: „Ich war sehr beeindruckt, weil Jasmin sich vorher ausgiebig vorbereitet, den Text gelesen und bis ins kleinste Detail analysiert hatte.“ Beide wurden Stammgäste der Mannheimer Oper; und als Mujkic im Jahr 2000 sein Studium mit Auszeichnung abschloss und nach Bosnien heimkehrte, um dort als Deutschlehrer zu arbeiten, beschloss er, die Oper seinen Schülern ebenfalls nahezubringen.
Immer wieder kommt Jasmin Mujkic mit der AG auch zu Aufführungen an die Mannheimer Oper zurück, an der Ralf Worch dann Führungen und Gespräche mit Künstlern ermöglicht. Und offenbar bringt Mujkic mit seiner Begeisterung seine Schüler dazu, sich genauso auf die Oper einzulassen wie er selbst: „Wir hatten einmal nach einer ‚Salome‘-Aufführung ein Gespräch mit Sängern und der Dramaturgin – sie sagten mir hinterher, dass sie noch nie Schüler erlebt hätten, die die Oper so gut erfasst und verstanden hätten“, erzählt Ralf Worch. So bestätigt sich Jasmin Mujkics Auffassung, dass es Sinn ergibt, sich für seine Arbeit hundertprozentig zu engagieren: „Mich ärgert es, wenn ich höre, dass man nichts ändern kann. Man soll nicht unterschätzen, was der Einzelne alles erreichen kann.“