Von Mirjam Mohr
Wie kann man feststellen, ob Mineralwasser aus Gletscherschmelzwasser der Eiszeit stammt? Wie können sich Politik und Gesellschaft darauf vorbereiten, dass Dürreperioden in Zukunft auch in den gemäßigten Breiten Mitteleuropas zunehmen werden? Und wieso konnte Friedrich der Große die Extremwetterlagen der „Kleinen Eiszeit“ für seine Politik instrumentalisieren? Solchen Fragen gehen Wissenschaftler am Heidelberg Center for the Environment (HCE) nach. Das ein Jahr zuvor gegründete HCE erhält seit 2012 eine Förderung als Teil des Zukunftskonzepts der Ruperto Carola im Rahmen der Exzellenzinitiative und vernetzt über Fächer- und Disziplingrenzen hinweg die Kompetenzen der Universität in den Umweltwissenschaften.
„Unsere Forscher kommen aus der Geographie, den Geowissenschaften, der Biodiversitätsforschung oder der Umweltphysik, aber auch aus den sozial-, wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Disziplinen, der Archäologie oder den Geschichtswissenschaften“, weiß Dr. Nicole Vollweiler, Geschäftsführerin des HCE: „Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie sich mit den ökologischen Herausforderungen beschäftigen, die der natürliche, technische und gesellschaftliche Wandel mit sich bringt – also mit den Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt. Da aber die Komplexität der heutigen Umweltprobleme einzelne Disziplinen mit ihren Untersuchungsmethoden vor besondere Herausforderungen stellt, setzt das HCE auf eine integrierte interdisziplinäre Zusammenarbeit.“Die HCE-Forscher beschäftigen sich mit den Risiken, Herausforderungen und Möglichkeiten der technologischen Klimaveränderung, die unter dem Begriff „Climate Engineering“ bekannt ist, mit Energie- und Nachhaltigkeitsthemen oder mit den Wechselbeziehungen von Umwelt, Gesellschaft und Gesundheit. Auch zwei interdisziplinäre Nachwuchsgruppen gibt es: Ein Team mit Schwerpunkt in der Geographie untersucht die Herausforderungen eines angepassten Wasserressourcen-Managements in Verbindung mit möglichen Gesundheitsrisiken im städtischen Kontext. Die zweite Gruppe analysiert anhand frühneuzeitlicher Nahrungskrisen, wie historische Gesellschaften mit extremen Klimaereignissen umgegangen sind. So zeigten die Wissenschaftler am Beispiel der ersten Teilung Polens im Jahr 1772 die Zusammenhänge zwischen einem zentralen Ereignis der europäischen Geschichte und einer mehrjährigen wetterbedingten Hungersnot auf – Friedrich der Große ließ während der Hungerkrise Getreide beschlagnahmen und nutzte es als militärisches Druckmittel, um die Annexion Westpreußens durchzusetzen.
Dr. Nicole Vollweiler und Prof. Dr. Werner Aeschbach. | Foto: privat |
Einen bedeutenden Fortschritt konnten HCE-Forscher vom Institut für Umweltphysik zusammen mit Kollegen am Kirchhoff-Institut für Physik bei der Wasserdatierung erzielen: In jahrelanger gemeinsamer Entwicklungsarbeit gelang es ihnen, eine Methode zum Nachweis extrem seltener Edelgas-Isotope nutzbar zu machen, mit der sich nun feststellen lässt, wann sich Grundwasser, Tiefenwasser im Ozean oder Gletschereis gebildet haben. Da Isotope mit der Zeit zerfallen, erlaubt die Bestimmung ihres Gehalts im Wasser Rückschlüsse auf dessen Alter. Bei der im Zuge von Grundlagenforschung zu quantenmechanischen Systemen entwickelten Messmethode werden Atome isotopenselektiv durch Laserkühlung in einer magneto-optischen Falle gefangen, in der einzelne Atome über Fluoreszenzlicht nachgewiesen und gezählt werden können.
Auf diese Weise können die Heidelberger Wissenschaftler pro Stunde bis zu vier Atome eines extrem seltenen, radioaktiven Isotops des Edelgases Argon einfangen, nämlich 39Ar, das sich unter einer Billiarde Argon-Atomen nur ein einziges Mal findet. Damit wird es möglich, bei der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen schnell fündig zu werden – bisher übliche Verfahren zogen sich über Wochen hin. Mit weiteren Verbesserungen dieser Methode wollen die Forscher bald erste Messungen von 39Ar an Gletschereis aus den Alpen vornehmen. Das größte Potenzial sehen sie aber bei der Untersuchung der Tiefenwasserzirkulation im Ozean. „Eine genaue Datierung von Hunderte Jahre altem Grund- oder Tiefenwasser sowie Gletschereis ist nicht nur wichtig für die Nutzung von Trinkwasser, sondern sie liefert uns auch wertvolle Erkenntnisse für die Klimaforschung“, erklärt HCE-Direktor Prof. Dr. Werner Aeschbach.
Edelgasmassenspektrometer und Aufbereitungslinie am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg. | Foto: Florian Freundt |
Im Sommer 2015 bewilligte das Land Baden-Württemberg zwei Forschungsverbünden, an denen das HCE beteiligt ist, eine Millionenförderung. Die beiden inter- und transdisziplinären Konsortien befassen sich mit der Risikobewertung von Chemikalien in Gewässern und der Erforschung von Dürreperioden. Das Forschernetzwerk „Eff-Net“ (Effect Network in Water Research), in dem das HCE Konsortialführer ist, verbindet naturwissenschaftliche Grundlagenforschung und sozialwissenschaftliche Ansätze mit dem Ziel, den steigenden Eintrag bestimmter Mikroschadstoffe wie Lebensmittelzusätze oder Pharmazeutika in Gewässerökosysteme zu vermindern. Dazu entwickeln die Forscher ein analytisches Netzwerk für die biologische Risikobewertung, das es gestattet, die Schadstoffe und deren Umwandlungsprodukte in Gewässern zu identifizieren und zu quantifizieren. Außerdem untersuchen sie die Wirkungen der Substanzen auf Lebewesen im Ökosystem Wasser. „Auf dieser Grundlage wollen die Wissenschaftler dann Konzepte zur Steuerung von Konsumentenverhalten und für die Umweltgesetzgebung entwickeln“, so Nicole Vollweiler.
Das Netzwerk „DRleR“ (Drought impacts, processes and resilience: making the invisible visible) untersucht Auswirkungen, Prozesse und Widerstandsfähigkeit im Zusammenhang mit Dürreperioden. Durch verschiedene Simulationen auf der Grundlage vorhandener und neu generierter Daten wollen die Forscher das Zusammenwirken von Klima, Umwelt, Land- und Wassernutzung mit gesellschaftlichen und politischen Steuerungsmechanismen und -strukturen in Trockenperioden analysieren. Von Interesse sind dabei vor allem die versteckten Auswirkungen einer Dürre, zum Beispiel auf Wasserqualität und Ökosysteme. Eine Plattform zur Dokumentation der Untersuchungen soll als zentraler Informationsknotenpunkt für Akteure aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft dienen. Zudem wollen die Forscher Vorschläge für ein verbessertes Risikomanagement in Dürreperioden erarbeiten.