Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Eine Million Megatonnen TNT

Vor rund 790 000 Jahren gab es auf der Erde mehrere kosmische Einschläge mit globalen Auswirkungen. Diesen Schluss ziehen Geowissenschaftler der Universität Heidelberg, nachdem sie Altersbestimmungen an sogenannten Tektiten aus verschiedenen Erdteilen vorgenommen haben. Die Forschergruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Mario Trieloff untersuchte mehrere solcher Gesteinsgläser, die bei Einschlägen von Asteroiden oder Kometen entstanden. Mit ihrer Datierungsmethode auf der Basis natürlich vorkommender Isotope gelang den Wissenschaftlern die bislang präziseste Datierung dieser Tektite.

Die Untersuchungen zeigen, dass die Proben aus Asien, Australien, Kanada und Zentralamerika ein fast identisches Alter aufweisen, sich aber chemisch zum Teil deutlich unterscheiden. Dies deutet auf separate Einschläge hin, die etwa zur gleichen Zeit stattgefunden haben. Die Folgen waren katastrophal: Feuer und Erdbeben im Umkreis Hunderter Kilometer um die Einschlagsorte sowie Hunderte Meter hohe Tsunamis, wenn der Ozean getroffen wurde. Gleichwohl verursachte der Impact kein globales Massenaussterben wie das der Saurier vor rund 65 Millionen Jahren. Die Ergebnisse der von der Klaus Tschira Stiftung geförderten Arbeiten wurden im Fachjournal „Geochimica et Cosmochimica Acta“ veröffentlicht.

Die Forschungsgruppe am Institut für Geowissenschaften und dem Klaus-Tschira-Labor für Kosmochemie bestimmt durch Isotopenmessungen das Alter von Kratern, die durch den Einschlag extraterrestrischen Gesteins hervorgerufen wurden. „Dadurch wissen wir, wann Geschosse welcher Größe wie oft und wo auf der Erde eingeschlagen sind“, erklärt Mario Trieloff. Schon länger gebe es Hinweise darauf, dass vor etwa einer Million Jahren ein größeres Ereignis dieser Art die Erde traf. Das zeigen Tektite – Gesteinsgläser, die bei Einschlägen dadurch entstanden, dass irdisches Material geschmolzen und bis einige Hundert Kilometer weit fortgeschleudert wurde, wobei es zu Glas erstarrte.

Tektite unterschiedlicher Formen aus Australien: Durch die Wucht des Einschlags wurden die Glaskörper Tausende Kilometer weit geschleudert. Einige verließen dabei die Erdatmosphäre und erhielten beim Wiedereintritt einen Wulst am Rand (links unten).
Foto: Institut für Geowissenschaften

„Solche Tektite sind schon länger aus dem austral-asiatischen Raum bekannt“, sagt Dr. Winfried Schwarz, der Erstautor der Studie ist. Die Gesteinsgläser bilden ein Streufeld, das sich von Indochina bis zum südlichsten Zipfel von Australien erstreckt. Kleine Mikrotektite wurden auch in Tiefseebohrkernen vor Madagaskar und in der Antarktis gefunden. Die Gesteinsgläser wurden somit über 10 000 Kilometer weit geschleudert; einige verließen sogar die Erdatmosphäre. Den Heidelberger Forschern gelang nun mit der 40Ar-39Ar-Datierungsmethode, die auf dem radioaktiven Zerfall des natürlich vorkommenden Kalium-Isotops 40K zu Argon fußt, die bislang präziseste Altersbestimmung dieser Tektite. „Die Auswertung unserer Daten zeigt, dass es einen kosmischen Treffer vor rund 793 000 Jahren gegeben haben muss, mit einer möglichen zeitlichen Abweichung von plus oder minus 8000 Jahren“, erläutert Schwarz.

Zudem untersuchten die Wissenschaftler Proben aus Kanada und Zentralamerika. Die kanadischen Gesteinsgläser zeigten dieselbe chemische Zusammensetzung und dasselbe Alter wie die austral-asiatischen Tektite und könnten durch den Einschlag ähnliche Flugstrecken wie die in Südaustralien oder der Antarktis aufgefundenen Objekte zurückgelegt haben. Allerdings müssen erst weitere Fundstücke bestätigen, dass die Fundstellen tatsächlich der Ort sind, an dem die Tektite ursprünglich niedergegangen sind – und sie nicht beispielsweise von Menschen dorthin transportiert wurden.

Die ersten Exemplare der Gesteinsgläser aus Zentralamerika wurden in Ruinen von Maya-Kultstätten gefunden; inzwischen gibt es Hunderte weiterer Funde. Winfried Schwarz: „Diese Tektite sind in der chemischen Zusammensetzung deutlich unterschiedlich, und auch ihre geographische Verbreitung zeigt, dass sie Folge eines separaten kosmischen Einschlags sind. Überraschenderweise belegen unsere Altersbestimmungen, dass sie vor 777 000 Jahren mit einer Abweichung von 16 000 Jahren entstanden sind. Innerhalb der Fehlergrenzen entspricht dieses Alter dem der austral-asiatischen Tektite.“

Diese Erkenntnisse lassen nach Angaben der Heidelberger Wissenschaftler den Schluss zu, dass es vor rund 790 000 Jahren mehrere kosmische Einschläge gab. Zusätzlich zu den Ereignissen im asiatisch-australischen und im zentralamerikanischen Raum entstand durch ein kleineres Objekt etwa zeitgleich der Darwin-Krater in Tasmanien. „Die Verteilung der Tektite und die Größe des Streufeldes deuten darauf hin, dass der einschlagende Körper mindestens einen Kilometer groß war und bei seinem Einschlag innerhalb von Sekunden die ungeheure Energiemenge von etwa einer Million Megatonnen TNT (Trinitrotoluol) freisetzte“, so Schwarz.

Dies hatte den Forschern zufolge gravierende Auswirkungen: Auf lokaler Ebene gab es Feuer und Erdbeben im Umkreis Hunderter Kilometer um die Einschlagsorte sowie Hunderte Meter hohe Tsunamis, wenn der Ozean getroffen wurde. Auf globaler Ebene wurden Staub und Gase in hohe Schichten der Atmosphäre ausgeworfen, was die Sonne verdunkelte und entsprechend zu einer Abkühlung führte. Dadurch wurde die Biomasseproduktion beeinträchtigt, was aber kein globales Massenaussterben wie das der Saurier vor rund 65 Millionen Jahren nach sich zog.

www.geow.uni-heidelberg.de/forschungsgruppen/trieloff

W.H. Schwarz, M. Trieloff, K. Bollinger, N. Gantert, V.A. Fernandes, H.-P. Meyer, H. Povenmire, E.K. Jessberger, M. Guglielmino, C. Koeberl: Coeval ages of Australasian, Central American and Western Canadian tektites reveal multiple impacts 790 ka ago. Geochimica et Cosmochimica Acta (2016), doi:10.1016/j.gca.2015.12.037