Arno Mohr, Dieter Nohlen (Hg.): Politikwissenschaft in Heidelberg. 50 Jahre Institut für Politische Wissenschaft. Universitätsverlag Winter, Heidelberg, 2008.
Von Mirjam Mohr
Im Jahr 1922 unterbrach der 21-jährige Student Carl Joachim Friedrich sein Studium an der Universität Heidelberg und fuhr auf Einladung einer amerikanischen Studentenorganisation zu einer achtmonatigen Vortragsreise in die USA. Dort widmete er sich auch der Idee eines organisierten Studentenaustauschs, so dass 1924 im Herbst 13 junge Deutsche Stipendienplätze an amerikanischen Hochschulen einnehmen konnten, die Friedrich in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Institute for International Education (IIE) organisiert hatte – womit er den Grundstein für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) legte, der vergangenes Jahr seinen 90. Geburtstag feierte.
Damals konnte noch niemand ahnen, dass Carl Joachim Friedrich nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle beim demokratischen Neubeginn Deutschlands spielen würde: als persönlicher Berater des Chefs der amerikanischen Militärverwaltung und als einer der Gründungsväter der Politikwissenschaft in Heidelberg und Deutschland. Der 1901 geborene Sohn eines Professors der Chirurgie war Student am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (Insosta) unter der Leitung des Heidelberger Nationalökonoms Alfred Weber gewesen, bei dem er 1925 promoviert wurde.Gemeinsam mit Weber und seinem Mitdoktoranden Arnold Bergstraesser – der später ebenfalls große Bedeutung für die Politikwissenschaft in Deutschland hatte – gründete Friedrich im Anschluss an die erfolgreiche Vermittlung der ersten Stipendien eine Staatswissenschaftliche Austauschstelle, die an das Insosta angegliedert wurde. Daraus ging der Akademische Austauschdienst e.V. (AAD) hervor, der am 1. Januar 1925 in Heidelberg mit Alfred Weber als erstem Vorsitzenden offiziell gegründet wurde und sich zunächst auf die Stipendienvergabe in den Sozial- und Staatswissenschaften beschränkte.
Carl Joachim Friedrich 1967. | Foto: Universitätsarchiv Heidelberg |
Im Oktober 1925 zog der AAD nach Berlin um und organisierte ab dann den Studenten- und Akademikeraustausch in allen Fächern. Zum 1. Januar 1931 wurde er mit der Deutschen Akademischen Auslandsstelle des Verbandes der Deutschen Hochschulen und der damaligen Alexander von Humboldt-Stiftung zusammengeschlossen und in Deutscher Akademischer Austauschdienst umbenannt.
Zu diesem Zeitpunkt lebte Carl Joachim Friedrich bereits länger in den Vereinigten Staaten, die ihm zur zweiten Heimat wurden. Ab 1924 arbeitete er als Assistant Director am IIE, bevor er 1926 als Privatdozent an die Havard University wechselte, an der er 1936 ordentlicher Professor wurde. „Der Krieg brachte neue Aufgaben“, schrieb Friedrich in seinem Lebenslauf: 1942 wirkte er bei der Ausbildung von Militärregierungsbeamten mit, 1943 wurde er Direktor der School of Overseas Administration. Wie der Heidelberger Politikwissenschaftler Klaus von Beyme ausführt, fühlte sich Friedrich aber nicht als Emigrant und es war für ihn völlig klar, dass er nach Kriegsende beim demokratischen Wiederaufbau Deutschlands helfen würde – was er dann auch tatsächlich tat.
Bei der amerikanischen Militärregierung in Deutschland übernahm Friedrich verschiedene Funktionen: Er war unterstützend bei der Ausgestaltung der Länderverfassungen in der US-Zone tätig und wirkte als politischer Berater von General Lucius D. Clay, dem Militärgouverneur der US-Zone, bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes mit. Außerdem wurde er zur Vorbereitung der Viermächteverhandlungen in Moskau herangezogen und hatte einen Platz im Ausschuss für die Planung der Marshallplanhilfe.
1950 kehrte Carl Joachim Friedrich an seine Alma Mater in Heidelberg zurück. Bis zum Kriegsende hatte es in Deutschland kein eigenständiges Fach Politikwissenschaft gegeben – zur Heranbildung demokratisch gesinnter und handelnder Bürger sollte sich das nun ändern. „Nur wenn die Politik unter die Wissenschaften aufgenommen wird, ist die Politisierung der Wissenschaft wahrhaft zu verhüten“, schrieb Dolf Sternberger. Er und Friedrich hatten die ersten beiden Lehrstühle für Politische Wissenschaft inne, die das Fundament für das 1958 gegründete Institut für Politische Wissenschaft (IPW) der Ruperto Carola bildeten.
Kundgebung auf dem Heidelberger Universitätsplatz mit Carl Joachim Friedrich als Redner im Vorfeld der Pariser Gipfelkonferenz 1960. | Foto: Universitätsarchiv Heidelberg |
Schon 1947 hatten die Verhandlungen zwischen Friedrich und der Universität über eine Gastprofessur begonnen, die er zum Sommersemester 1950 antrat. Am 7. Februar 1956 wurde er zum persönlichen Ordinarius berufen und lehrte von da an bis zu seiner Emeritierung 1966 jeweils im Sommersemester in Heidelberg und im Wintersemester in Harvard, wo er 1955 Eaton-Professor der Sciences of Government geworden war. „Der Pendler zwischen Harvard und Heidelberg war einer der weltweit bedeutendsten und produktivsten Politikwissenschaftler seiner Zeit“, schreibt Arno Mohr in dem Buch „Politikwissenschaft in Heidelberg“, das zum 50. Geburtstag des IPW erschien. Laut Klaus von Beyme war er einer der sehr wenigen Politikwissenschaftler, die in der Zeit vor 1945 wie auch nach dem Krieg zu den wichtigen Vertretern ihres Faches zählten – vor allem weil er sowohl zur Politischen Theorie wie auch zur vergleichenden Politikwissenschaft gearbeitet habe. „Es gibt kaum einen Bereich, zu dem er nicht publiziert hat.“
Auch bei den Studierenden hatte Friedrich einen „ganz besonderen, nahezu mythischen Ruf“, wie es der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter beschreibt. Dieser studierte von 1963 bis 1965 am IPW und erinnert sich noch gut an Friedrichs Vorlesung über politische Denker: „Carl Joachim Friedrich verstand in einzigartiger Weise, uns für diese Menschen, ihr Denken und ihre Zeit zu begeistern. Nach immer zögerlichem Beginn entfaltete er nach spätestens einer Viertelstunde ein derartiges rhetorisches Feuerwerk, verabreichte uns eine so geballte Ladung von Informationen, originellen Formulierungen und von stupendem Bildungswissen, dass sich auch die Selbstbewusstesten unter uns ganz klein fühlten. (...) Friedrich war eindeutig der Primus inter pares.“
Arno Mohr, Dieter Nohlen (Hg.): Politikwissenschaft in Heidelberg. 50 Jahre Institut für Politische Wissenschaft. Universitätsverlag Winter, Heidelberg, 2008.