Von Oliver Fink
Die Entwicklung der griechischen Plastik von ihren Anfängen bis in die römische Kaiserzeit lässt sich in der Abguss-Sammlung des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Heidelberg nachvollziehen, die Gipsabgüsse von Statuen und Reliefs beherbergt, deren Originale aus vielen bedeutenden Museen der Welt stammen. Unter den Exponaten befinden sich auch Teile des Parthenon-Tempels auf der Athener Akropolis, darunter eine monumentale Skulpturengruppe aus dem Ostgiebel und ein 22 Meter langer Relief-Fries.
Die Abguss-Sammlung, die zu den größten Einrichtungen ihrer Art an deutschen Universitäten zählt, ist Teil der archäologischen Sammlung der Ruperto Carola, deren weiterer Bestand im Antikenmuseum des Instituts ausgestellt ist. Sie umfasst rund 1200 Abgüsse antiker Statuen, Reliefs, Büsten und Porträts wie den sogenannten Juno-Kopf (Foto: Abguss-Sammlung); hinzu kommen etwa 14 000 Kleinabgüsse. Hervorgegangen ist die archäologische Sammlung aus dem 1835 gestifteten „Antiquarium Creuzerianum“, der Privatsammlung antiker Kunst des berühmten Heidelberger Philologen Georg Friedrich Creuzer. Beide Sammlungsteile werden beständig um antike Originale und Abgüsse plastischer Bildwerke erweitert. Angelegt als Lehrsammlung, ist die Beschäftigung mit den Gipsabgüssen bis heute unverzichtbar im Archäologiestudium, so bei Stil-, Beschreibungs- und Bestimmungsübungen. Genutzt wird sie zudem für die museumspraktische Ausbildung etwa bei der Vorbereitung von Ausstellungen durch studentische Arbeitsgruppen.„
Zu meiner Erquickung habe ich gestern einen Ausguss des colossalen Juno-Kopfes, wovon das Original in der Villa Ludovisi steht, in den Saal gestellt. Es war dies meine erste Liebschaft in Rom, und nun besitz’ ich sie“, heißt es in der „Italienischen Reise“. Deren Autor, Johann Wolfgang von Goethe, stand mit seiner Begeisterung nicht allein. Wie Dr. Hermann Pflug ausführt, der Konservator der Sammlung, wurde der überlebensgroße Kopf einer Frau „von den Zeitgenossen des Dichters regelrecht zu einer Ikone des Klassizismus stilisiert, dessen Kopie damals in vielen Antiken-Sammlungen zu finden war“. Der Kopf war ursprünglich Teil einer monumentalen Statue. Im 19. Jahrhundert ging man davon aus, dass es sich dabei um ein Kultbild der Göttin Juno handelte. „Was bereits die Griechen in manchen Statuen gesehen haben – die irdische Verkörperung einer Gottheit –, versuchte man offenbar im späten Klassizismus und in der frühen Romantik nachzuempfinden. Letztlich ging es darum, die antike Vergangenheit auch emotional zu erfassen“, erklärt der Konservator der Heidelberger Abguss-Sammlung.
Dass eine Göttin mit dieser Plastik verewigt werden sollte, wird heute allerdings in Zweifel gezogen. Wie Forscher im 20. Jahrhundert herausgefunden haben, ist der Kopf vielmehr ein – wenngleich stark idealisiertes – Porträt der Antonia Minor, einer Tochter des Marc Anton, der Mitglied des zweiten Triumvirats war, und Mutter des späteren Kaisers Claudius. Das Original steht im Nationalmuseum in Rom; in Goethes Haus am Frauenplan in Weimar kann der von ihm erworbene Abguss im „Junozimmer“ besichtigt werden.
Der Heidelberger Kopf der Antonia Minor gehört zu den ältesten nachweisbaren Stücken der Abguss-Sammlung: Er stammt aus dem Nachlass des bekannten Münchner Philologen Friedrich Thiersch, der in den 1860er-Jahren teilweise an die Universität Heidelberg ging. Erst seit dieser Zuwendung wurden Neuzugänge inventarisiert.
Im Hinblick auf die Nutzung stehen der Abguss-Sammlung in nächster Zeit größere Veränderungen bevor. „Aufgrund der geplanten Sanierung des Kollegiengebäudes, die im kommenden Jahr starten soll, wird die Sammlung ab 2017 für einen längeren Zeitraum der Öffentlichkeit nicht zugänglich sein. In einer zweiten Bauphase steht die Sammlung auch für Lehrveranstaltungen vorübergehend nicht zur Verfügung“, erläutert Hermann Pflug: „Im Zuge der Umbaumaßnahmen, die bis 2020 abgeschlossen sein sollen, wird für die Abguss-Sammlung dann im Erdgeschoss des Gebäudes ein neues Präsentationskonzept unter veränderter Flächennutzung erarbeitet.“ Das Antikenmuseum, das bislang im vierten Stock des Kollegiengebäudes untergebracht ist, soll nach Ende der Sanierung ebenfalls im Parterre seinen Platz haben.
Die Abguss-Sammlung ist mittwochs zwischen 15 und 17 Uhr sowie sonntags von 11 bis 13 Uhr für Besucherinnen und Besucher im Kollegiengebäude im Marstallhof 4 geöffnet. Zweimal im Monat werden dort auch Vorträge und Führungen zu archäologisch-kulturhistorischen Themen angeboten. Ein ausführlicheres Porträt der Sammlung findet sich unter: www.uni-heidelberg.de/unispiegel/abgusssammlung.html
www.klassische-archaeologie.uni-hd.de/einrichtungen/antikenmuseum_infos.html#abguss
www.uni-heidelberg.de/einrichtungen/museen/antikenmuseum.html