Von Mirjam Mohr
Schenkt man jemandem sein Herz, so ist das normalerweise im übertragenen Sinne gemeint. Der Heidelberger Alumnus Carl Gustav Jochmann meinte dies allerdings wörtlich: Beseelt vom im Biedermeier gepflegten Freundschaftskult vermachte der 1830 gestorbene kulturphilosophische und zeitkritische Schriftsteller sein Herz einem seiner engsten Freunde – mit der Auflage, dieses „in einem einfachen Porzellangefäße“ in seinem Garten in Riga aufzubewahren. Die später in den Rigaer Domklosterhof umgesiedelte Urne mit Jochmanns Herz wurde nun auch auf Initiative einiger Alumni der Ruperto Carola restauriert und im Juli 2015 mitsamt einer Grabsäule im Dom als Ensemble eingeweiht, um an den in Vergessenheit geratenen Aphoristiker und Spätaufklärer zu erinnern (Foto: privat).
„Carl Gustav Jochmann war ein fantastischer, scharfsinniger Aphoristiker, der sehr unter der Restauration und der Unterdrückung der Pressefreiheit gelitten und gegen den Adel und die Hierarchie des Klerus angeschrieben hat, um die Errungenschaften der Aufklärung zu retten“, macht Prof. Dr. Ulrich Kronauer deutlich. Der Vorsitzende der Jochmann-Gesellschaft, der in Heidelberg Germanistik und Philosophie studiert hat und heute als Baltikums-Beauftragter an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und als Honorarprofessor für Philosophie am Karlsruher Institut für Technologie tätig ist, stieß über die Schrift „Die Rückschritte der Poesie“ auf den Publizisten des Vormärz: „Diese faszinierende Geschichtstheorie hat Jochmann zwar, wie alle seine Schriften, als Schutz vor Zensur und polizeilicher Verfolgung anonym publiziert, aber das war die Schrift, über die man seinen Namen kannte, weil Walter Benjamin und Theodor Adorno sich damit beschäftigt haben.“Inzwischen gibt Ulrich Kronauer gemeinsam mit zwei Kollegen die Gesamtausgabe des Werks Jochmanns heraus, den Walter Benjamin als „einen der größten revolutionären Schriftsteller Deutschlands“ bezeichnet hat. Der aus Pernau in Livland, dem heutigen Pärnu in Estland, stammende Jurist Jochmann hinterließ eine Reihe deutschsprachiger Bücher, Essays, Glossen, Aphorismen und Briefe, die sich mit Sprache und Politik, der Geschichte des Protestantismus und des Katholizismus, aber auch mit der Homöopathie und ihren Gegnern beschäftigten. Kronauer: „In seinen Schriften, die zum Teil erst aus dem Nachlass herausgegeben wurden, lieferte er tiefgründige Analysen der Zeitverhältnisse, kritisierte scharf die Ansprüche des Adels und des Priestertums und betonte die Bedeutung und Notwendigkeit von Öffentlichkeit und Meinungsfreiheit.“
Wegen der Anonymität seiner Werke ist Jochmann mittlerweile nur einem kleineren Kreis von Historikern, Philosophen, Religions- und Literaturwissenschaftlern bekannt. 1789 zwar als Deutscher, aber als russischer Untertan in Pernau geboren, kam er mit zehn Jahren nach Riga, wo er die Domschule besuchte. Nach Studienjahren in Leipzig, Heidelberg und Göttingen ließ er sich 1810 als Advokat wieder in Riga nieder und wurde zu einem „der ausgezeichnetsten und beliebtesten Sachwalter“, wie es in einem Handbuch für Rechtsgelehrte heißt. Dadurch erarbeitete er sich schnell einen Wohlstand, der es ihm ermöglichte, sich ganz auf seine Schriften zu konzentrieren, die „vom Beifall der Gebildeten des Volkes und der Kenner begrüßt“ wurden, wie der mit Jochmann befreundete Schriftsteller Heinrich Zschokke schrieb. 1819 verließ Carl Gustav Jochmann die lettische Metropole und lebte abwechselnd in Deutschland, Frankreich und der Schweiz – wobei es ihn immer wieder nach Heidelberg zog, wo er von 1806 bis 1808 Jura studiert hatte. Dort hatte er sich auch mit Christian Friedrich Winter angefreundet, dem Gründer des noch heute bestehenden Universitätsverlags Winter, der damals einige seiner Werke herausgab und heutzutage Jochmanns „Gesammelte Schriften“ verlegt.
Als Jochmann 1830 starb, vermachte er seinem Freund Conrad Heinrich von Sengbusch sein Herz mit der Bitte, dieses in seinem Garten aufzubewahren, der als Treffpunkt seiner Freunde zu seiner Rigaer Zeit eine besondere Bedeutung für ihn gehabt hatte. 1910 wurden die Urne und die dazugehörige Grabsäule in den Domklosterhof umgesetzt und später dann im Dom aufgestellt. Im Jahr 2013 stellte eine Reisegruppe der Jochmann-Gesellschaft fest, dass die Urne in einem schlechten Zustand war und es auch keinerlei erklärenden Hinweis gab. Gemeinsam mit Werner von Sengbusch, einem Nachfahren von Jochmanns Freund, beschloss man, sich für eine Restaurierung nebst Hinweistafel einzusetzen und diese finanziell zu unterstützen.
So konnte am 3. Juli 2015 das restaurierte und im Kreuzgang des Doms – im Joch mit dem Wappen der Familie Sengbusch – aufgestellte Ensemble eingeweiht werden. Neben den Ansprachen von Vertretern kultureller Einrichtungen Rigas verlas Ulrich Kronauer auch eine Grußbotschaft der Universität Heidelberg. Und seither klärt eine Hinweistafel neben der Ruhestätte in vier Sprachen darüber auf, was es mit dem „Cor Jochmannii“ auf sich hat.