Von Mirjam Mohr
Es waren drei ungewöhnliche Filme, die unter den Titeln „The Shore“, „The Gift Box“ und „Crossroad“ vor rund 250 begeisterten und überwiegend jungen Zuschauern im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) in Heidelberg gezeigt wurden: Über die Leinwand flimmerten Filmszenen in Schwarz-Weiß (Fotos: privat), die sich mit Untertitel-Tafeln auf Chinesisch und Deutsch abwechselten. Im Stil entsprachen die Filme chinesischen Stummfilmen der 1920er- und 1930er-Jahre – gedreht wurden sie aber im Jahr 2016 von Heidelberger Studierenden.
Anlässlich der „Golden Chopstick Film Gala“ im DAI wurden diese Filme von einer Jury aus Lehrenden der Ruperto Carola in verschiedenen Kategorien präsentiert und ausgezeichnet. Das Ganze war das Ergebnis eines ungewöhnlichen Lehrangebots am Heidelberg Centre for Transcultural Studies, das der Humboldt-Gastwissenschaftler Prof. Paul Pickowicz von der University of California im US-amerikanischen San Diego ins Leben gerufen hat, der als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der modernen chinesischen Geschichte gilt. Gemeinsam mit Liying Sun, wissenschaftliche Assistentin am Institut für Sinologie der Universität Heidelberg, veranstaltete er im Sommersemester erstmals an einer deutschen Hochschule das Seminar „Chinese Silent Cinema 1920–1935“, das Pickowicz außer in San Diego bereits zweimal in China und einmal in Großbritannien angeboten hatte.Die Leitfrage lautet: Wie können Studierende die Geschichte Chinas in den 1920er- und 1930er-Jahren am besten nachvollziehen? Die Antwort: Indem sie nicht nur zeitgenössische Filme untersuchen, die die damalige Gesellschaft widerspiegeln, sondern auch selbst Filme im Stil der Zeit produzieren. Also schrieben und drehten drei Gruppen von insgesamt 25 Studierenden jeweils einen Stummfilm, der sich mit gesellschaftlichen Themen im Shanghai jener Jahre befasst.
„Shanghai war in den 1920er- und 1930er-Jahren die wichtigste Stadt Asiens und das ‚Hollywood Chinas‘. Die dort entstandenen Filme sind ein Fenster zur damaligen Gesellschaft und zeigen uns viel über die sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Themen dieser Zeit“, erklärt Paul Pickowicz: „Um meine Studierenden zu besseren Forschern zu machen, die diese Filme nicht einfach nur konsumieren, lasse ich sie selbst Werke in dieser Art drehen.“ Auf dem Seminarprogramm standen 15 Stummfilme aus den Jahren 1922 bis 1935, die gemeinsam angeschaut und besprochen wurden – und die selbst in Shanghai kaum noch jemand kennt. „Als Chinesin wusste ich nichts von diesem kulturellen Erbe, was mich richtiggehend schockiert hat“, so Kursteilnehmerin Yizhou Wang.
Ergänzend zur theoretischen Auseinandersetzung mit den Filmen arbeiteten die drei Studierendengruppen an ihren eigenen, rund zwanzigminütigen Werken in Schwarz-Weiß, die Themen und Ästhetik der Stummfilme dieser Ära widerspiegeln sollten. Dabei ging es etwa um die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, die moderne Form der Ehe, um Klassenunterschiede oder die Begegnung mit fremden Kulturen. Die Studierenden schrieben die Geschichten, traten als Schauspieler auf und produzierten selbst – inklusive der Untertitel, der Hintergrundmusik und des passenden Filmplakats.
Vorgeführt wurden die Werke schließlich bei der Film-Gala im Heidelberger DAI vor Zuschauern und einer Jury, der die Hochschullehrer Dorothea Redepenning, Christiane Brosius, Barbara Mittler, Henry Keazor, Günter Leypoldt und Huang Xuelei, die mittlerweile in Edinburgh arbeitet, angehörten. Nach jedem Streifen erklärten die jungen Filmemacher den Juroren, warum ihr Werk genauso in jener Ära hätte entstehen können. Anschließend wählte die Jury Gewinner in zehn Preiskategorien aus – beispielsweise beste Haupt- (Wang Yizhou/„The Shore“) und Nebendarsteller (Wang Xiaoxin/„Crossroad“), die beste Regie (Hannah Friedel/„The Gift Box“) und den besten Film („The Gift Box“).
Campus-TV: „Golden Chopstick Film Gala“
SWR2: „Lernen mit Filmen“