Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Schwer aufzuhellendes Dunkelfeld

Von Mirjam Mohr

Als die an der Juristischen Fakultät angesiedelte Einrichtung 1962 gegründet wurde, war sie die überhaupt erst zweite ihrer Art in Deutschland nach dem nur wenige Monate älteren Tübinger Institut. Und so feierte das Institut für Kriminologie an der Ruperto Carola im Jahr 2012 bereits sein 50. Jubiläum. Seither befassen sich hier Wissenschaftler aus der Rechtswissenschaft, Soziologie, Psychologie und Pädagogik mit verschiedenen Aspekten des Verbrechens und der Verbrechenskontrolle. „Wir untersuchen, welche Straftaten begangen werden, welche Folgen diese Straftaten haben, welche Ursachen vorliegen und was man tun kann, um die Kriminalität einzudämmen“, erklärt Institutsdirektor Prof. Dr. Dieter Dölling.

Da die Kriminologie ein großes Gebiet umfasst, konzentrieren sich die Heidelberger auf definierte Forschungsschwerpunkte: Jugenddelinquenz, empirische Strafverfahrensforschung, die ermittelt, wie Verfahren tatsächlich ablaufen, und empirische Sanktionsforschung, die untersucht, aus welchen Gründen welche Sanktionen verhängt und vollzogen werden und welche Wirkung diese haben. In der letzten Zeit hat sich zudem die Opferforschung als ein neuer Schwerpunkt des Instituts herauskristallisiert – gerade auch im Bereich des sexuellen Missbrauchs (Symbolbild: Universitätsklinikum Heidelberg).

In den Bereich der Opferforschung fällt die „DASsS“-Studie. Mit dieser „Studie zu Determinanten des Anzeigeverhaltens nach Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ wollten die Wissenschaftler herausfinden, welche Faktoren darüber entscheiden, ob Betroffene von sexuellen Übergriffen Anzeige erstatten oder nicht. Die Untersuchung war Folge des Runden Tischs zum Thema sexueller Missbrauch, den die Bundesregierung 2010 einberief, nachdem das Ausmaß von Missbrauchsfällen in pädagogischen Einrichtungen wie der Odenwaldschule oder katholischen Internaten öffentlich geworden war. Innerhalb einer Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurde damals auch die „DASsS“-Studie in Auftrag gegeben.

Die Heidelberger Wissenschaftler führten im Zuge der Untersuchung zunächst Interviews mit Opfern sexueller Übergriffe und befragten in einem zweiten Schritt Betroffene anonym über einen Online-Fragebogen. „Auf der Grundlage der Ergebnisse unserer Befragungen konnten wir ganz praktische Handlungsempfehlungen für den pädagogischen Kontext entwickeln; wir konnten sagen, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um die Anzeigebereitschaft zu fördern“, erläutert die Psychologin Dr. Angelika Treibel: „Dabei haben wir auch kritisch reflektiert, ob und unter welchen Bedingungen eine Anzeige überhaupt sinnvoll ist und welche Faktoren in den Blick genommen werden müssen, um Betroffene zu unterstützen – sowohl bei der Bewältigung der Tat als auch bei der Anzeige. Dabei haben wir ebenfalls neue Erkenntnisse darüber gewonnen, inwieweit eine Anzeige bei der Tatbewältigung förderlich sein kann.“

Unabhängig von dieser Studie beschäftigen sich die Kriminologen gemeinsam mit Kollegen anderer Einrichtungen im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Nachdem der erste Versuch einer Aufarbeitung durch ein Forschungsinstitut gescheitert war, schrieb die Kirche das Projekt erneut aus. Da in Heidelberg nicht nur die Kriminologen an der Thematik interessiert waren sondern auch Forscher des Instituts für Gerontologie und des mit der Ruperto Carola eng verwobenen Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, bewarb man sich gemeinsam mit dem Gießener Lehrstuhl für Kriminologie – und erhielt den Zuschlag für das bis 2017 laufende Vorhaben. Sprecher des Projekts, der sogenannten MHG-Studie, ist Prof. Dr. Harald Dreßing vom Mannheimer ZI.

„Wir ermitteln, in welchem Ausmaß es bei der katholischen Kirche zu Missbrauchsfällen gekommen ist, was die Gründe dafür waren und was man tun kann, um so etwas in Zukunft möglichst zu verhindern“, legt Dieter Dölling dar. Wegen des schwer aufzuhellenden Dunkelfelds schlagen die Wissenschaftler dabei mehrere Wege ein: Zum einen werden die Personalakten der Kirche hinsichtlich möglicher Anzeichen auf sexuellen Missbrauch ausgewertet. Des Weiteren werden Opfer und Täter interviewt. Der dritte Pfad hat die Strafakten von Verfahren gegen katholische Priester sowie von Missbrauchsfällen in anderen Institutionen wie Schulen und Sportvereinen im Blick, um mögliche Parallelen oder auch Unterschiede aufzuspüren. Ein Teilprojekt besteht ferner in der Sekundäranalyse aller bisher vorliegenden Untersuchungen zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche und anderen Einrichtungen, um zu analysieren, ob sich ein mit gut abgesicherten empirischen Methoden erzielter Erkenntnisstand herausarbeiten lässt. Institutsleiter Dölling: „In einem letzten Schritt überlegen wir, welche Konsequenzen sich aus den vorliegenden Befunden für die künftige Präventionsarbeit ziehen lassen.“

Neben solchen Aspekten der Opferforschung beschäftigen sich die Kriminologen in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit Heidelberger Soziologen und Rechtswissenschaftlern, dessen Sprecher der Soziologe Prof. Dr. Markus Pohlmann ist, auch mit Korruption und Manipulationen in Wirtschaftsunternehmen und in der Transplantationsmedizin. Der Soziologe Prof. Dr. Dieter Hermann wiederum geht als Mitglied der Forschungsgruppe „Religion und Gesellschaft“ der Frage nach, wie religiöse Wertorientierungen entstehen und welche Bedeutung sie für das Vertrauen in Institutionen und Mitmenschen haben. Und gemeinsam mit Frankfurter Wissenschaftlern haben die Heidelberger Kriminologen die Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie den Täter-Opfer-Ausgleich in Baden-Württemberg evaluiert.

www.uni-heidelberg.de/institute/fak2/krimi/index.html