Jörg Riecke: Eine Geschichte der Germanistik und der germanistischen Forschung in Heidelberg (Heidelberger Schriften zur Universitätsgeschichte), Heidelberg 2016.
Um die Geschichte der Germanistik an der Ruperto Carola geht es in einem neuen Buch von Prof. Dr. Jörg Riecke (Foto: Universität Heidelberg). Ausgehend von den prägenden Persönlichkeiten – vor allem den Hochschullehrern der vergangenen 150 Jahre – zeichnet der Heidelberger Sprachwissenschaftler in dem Band die historische Entwicklung der germanistischen Forschung nach. Das zeitliche Spektrum reicht dabei von der „Frühgeschichte“ über die Einrichtung erster Lehrstühle für deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft bis in die 1970er-Jahre.
Die Anfänge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit modernen Sprachen und deren Literatur liegen im 19. Jahrhundert. Als erster Neuphilologe an der Universität Heidelberg erhielt der Theologe Anton Sar 1804 eine Professur für französische Sprache. Wie Jörg Riecke betont, waren in dieser Zeit jedoch auch Themen aus der deutschen Sprachgeschichte und Literatur bereits Gegenstand von Lehre und Forschung, nicht zuletzt beeinflusst von den Autoren der Heidelberger Romantik und ihrer Begeisterung für das deutsche Mittelalter. Zu einem akademischen Fach wurde die Germanistik allerdings erst später. Heidelbergs erster Professor für Altdeutsche Sprache und Literatur war Karl August Hahn, der an der Universität von 1847 an tätig war und sich vor allem mit dem Mittelhochdeutschen beschäftigte. Im Jahr 1873 wurde ein Seminar für neuere Sprachen etabliert, aus dem vier Jahre später das Germanisch-Romanische Seminar hervorging. Erster Lehrstuhlinhaber war Karl Bartsch, der 1858 an der Universität Rostock das erste Germanistische Institut in Deutschland gegründet hatte.
Eine institutionelle Eigenständigkeit erlangten die neuphilologischen Fächer in Heidelberg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1923 wurde mit dem Deutschen Seminar der Vorgänger des heutigen Germanistischen Seminars aus der Taufe gehoben. Parallel dazu kam es zum Aufbau eigener Institute für die Romanistik und die Anglistik.
„Wie an anderen Universitätsstandorten in Deutschland verengte sich der Begriff des Faches auch in Heidelberg nach und nach vom Germanisch-Indogermanischen, zu dem anfangs auch noch die Sanskrit-Studien zählten, über das Germanisch-Romanische auf das Germanisch-Deutsche“, erläutert Jörg Riecke. In der Frühzeit der Heidelberger Germanistik war etwa die sprachliche wie literarische Analyse des Nibelungenliedes aus dem 13. Jahrhundert über einen längeren Zeitraum zentrales Thema. Im 19. Jahrhundert entstanden an der Ruperto Carola zudem viele Handbücher und Grammatiken sowie Texteditionen, die das Studium des neuen Faches überhaupt erst möglich machten.
Im Zuge einer fortschreitenden Spezialisierung im 20. Jahrhundert gewann zunächst die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an Gewicht und Eigenständigkeit. Mit Beginn der 1960er-Jahre wurde dann erstmals eine reine sprachwissenschaftliche Professur geschaffen. Wie Jörg Riecke ausführt, rückten damit verstärkt Themen einer modernen Linguistik in den Mittelpunkt von Forschung und Lehre.
Seit 1974 befindet sich der Hauptsitz des Germanistischen Seminars im Palais Boisserée am Heidelberger Karlsplatz. Anfang des 19. Jahrhunderts war hier der Dichter Johann Wolfgang von Goethe mehrere Wochen zu Gast bei den Kunstsammlern Sulpiz und Melchior Boisserée, denen das Anwesen zur Ausstellung ihrer Gemäldesammlung diente, die später den Grundstock der Alten Pinakothek in München bildete. Derzeit werden am Germanistischen Seminar in Heidelberg rund 1800 Studierende ausgebildet. In den drei Teilbereichen – Germanistische Linguistik, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft sowie Sprache und Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit – sind aktuell sieben Professuren angesiedelt.
Jörg Riecke: Eine Geschichte der Germanistik und der germanistischen Forschung in Heidelberg (Heidelberger Schriften zur Universitätsgeschichte), Heidelberg 2016.