Von Jana Gutendorf
Mileva Marić war eine der ersten Frauen, die ein Mathematik- und Physikstudium an einer deutschsprachigen Hochschule aufnahmen – und die erste Ehefrau Albert Einsteins. Um ihre Person und ihren Beitrag zu den frühen Schriften ihres Mannes rankt sich bis heute eine Vielzahl von Mythen. Welchen Anteil hatte sie etwa an der Ausarbeitung der Relativitätstheorie? Diese Frage wird seit Beginn der 1990er-Jahre von Wissenschaftlern verschiedener Fachdisziplinen kontrovers diskutiert und eröffnet einen neuen Blick auf das wissenschaftliche Wirken und bewegte Leben der Mileva Marić, die zu ihrer Studienzeit auch in Heidelberg Vorlesungen hörte.
1875 geboren in Titel, einer Kleinstadt im damaligen Österreich-Ungarn, bewies sich Marić früh als eifrige Schülerin und zeigte eine besondere Begabung für naturwissenschaftliche Fächer. Ihr Vater, ein ehemaliger Militär und Grundbesitzer, förderte das Talent seiner Tochter und ermöglichte ihr Zugang zu exzellenten Ausbildungseinrichtungen. So besuchte Mileva Marić auch das Königliche Gymnasium für Jungen in Zagreb, wo sie dank einer Sondergenehmigung als einziges Mädchen am Physikunterricht teilnehmen durfte. Um sich nach ihrer Matura an einer Hochschule weiterbilden zu können, zog sie im Alter von 21 Jahren in die Schweiz, da Frauen in ihrer Heimat nicht zum Studium zugelassen waren.In Zürich studierte sie zunächst ein Semester lang Medizin, bevor sie an das Eidgenössische Polytechnikum, die heutige Eidgenössische Technische Hochschule, wechselte. Sie immatrikulierte sich für die Fächer Physik und Mathematik, um die Lehrbefugnis für die Oberschule zu erlangen – und war die einzige Frau ihres Jahrgangs und die überhaupt erst fünfte Frau, der es gelungen war, eine Zulassung für das Studium am Polytechnikum zu erhalten.
Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Mileva Marić und Albert Einstein im Jahr 1912. | Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv |
Ebenfalls am Polytechnikum eingeschrieben war ab dem Wintersemester 1896 Albert Einstein. Er und Marić begegneten sich wohl im Studienseminar, tauschten sich über Fachinhalte aus, lernten gemeinsam und verliebten sich schließlich ineinander. Davon zeugen zahlreiche, bis heute erhaltene Liebesbriefe, welche die beiden zwischen 1897 und 1903 austauschten. Wie Wissenschaftler annehmen, bewunderte Einstein an Marić neben ihrem Sachverstand ihren Ehrgeiz und ihre Autonomie. So schrieb er im Jahr 1900 in einem seiner Briefe: „Wie glücklich bin ich, daß ich in Dir eine ebenbürtige Kreatur gefunden habe, die gleich kräftig und selbständig ist wie ich selbst!“
Ihre Eigenständigkeit führte Mileva Marić 1897 auch an die Universität Heidelberg, wo sie für ein Semester als Gasthörerin eingeschrieben war. Da in Deutschland Frauen seinerzeit nicht zum Hochschulstudium zugelassen waren, musste sie vor Beginn ihres Aufenthalts die persönliche Erlaubnis eines jeden Professors einholen, dessen Lehrveranstaltung sie besuchen wollte. Auch diese Hürde überwand die wissbegierige Studentin und hörte so unter anderem Vorlesungen bei den Physik- und Mathematikprofessoren Carl Köhler, Leo Königsberger und Philipp Lenard. Von den Inhalten der Seminare berichtete sie dem in Zürich verbliebenen Einstein in enthusiastischen Briefen. Doch trotz ihres Potenzials und ihrer Voraussetzungen sollte Marić, die in ihrer Heidelberger Zeit vermutlich im Haus zum Ritter am Marktplatz wohnte, nie denselben Ruhm wie Albert Einstein erlangen.
Bild: ETH-Bibliothek, Hochschularchiv der ETH Zürich
Vier Jahre nach ihrer Rückkehr aus Heidelberg endete ihre wissenschaftliche Karriere abrupt, als sie ihre Diplomprüfung am Eidgenössischen Polytechnikum auch im zweiten Versuch nicht bestand. Marić war zu dieser Zeit mit dem ersten der drei Kinder schwanger, die sie mit Albert Einstein bekommen sollte – einem unehelich gezeugten Mädchen, das sie fernab der Schweizer Großstadt in ihrem Heimatort zur Welt brachte. Über den Verbleib des Kindes, das Einstein wohl nie kennenlernte, liegen bis heute keine gesicherten Informationen vor.
Des Makels eines unehelichen Kindes zum Trotz und gegen den Willen von Albert Einsteins Familie gab sich das Paar 1903 in Bern das Ja-Wort. Die Ehe der Wissenschaftler fiel damit in die vielleicht produktivste Schaffensphase des Jahrhundertgenies und weckt die Frage nach dem Anteil Marićs an den Veröffentlichungen ihres Mannes, der 1901 in einem seiner Liebesbriefe schrieb: „Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über die Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben.“
Ob Aussagen wie diese als Beweis für eine Mitautorinnenschaft Marićs an der Relativitätstheorie oder lediglich als Schmeichelei ihres Mannes zu werten sind, bleibt bis heute unklar. Unumstritten ist jedoch, dass Mileva Marić vor allem in den Anfangsjahren ihrer Liebe und Ehe sowohl Stütze als auch wissenschaftliche Gesprächspartnerin für Albert Einstein war. Ihre eigene Fachkompetenz bewies sie noch einmal, als sie 1903 mit Paul Habicht einen Apparat zur Messung kleinster elektrischer Spannungen, die sogenannte Influenzmaschine, entwickelte.
Zu den Fragen rund um ihr Lebenswerk sowie den Hintergründen ihres Schaffens kann Mileva Marić selbst nicht mehr Stellung nehmen. Sie starb 1948 in Zürich. Nachdem ihre Ehe mit Albert Einstein nach anhaltender Krise im Jahr 1919 geschieden worden war, widmete sie sich der Erziehung der beiden Kinder und gab Klavier- und Mathematikstunden, um die Grundversorgung der Familie zu sichern. Das Geld aus dem Nobelpreisgewinn Einsteins, welches sie per Scheidungsvereinbarung 1922 erhielt, verwendete sie wohl auf die Pflege ihres zweitgeborenen Sohnes Eduard, der psychisch erkrankt und auf medizinische Unterstützung angewiesen war.
In Zürich erinnern heute Gedenktafeln an der Eidgenössischen Technischen Hochschule sowie an verschiedenen Orten der Stadt an Mileva Marić, die (fast) vergessene Einstein – und eine der ersten Mathematik- und Physikstudentinnen unserer Zeit.