Von Ute von Figura
Schp, schp, schp – mit einem dumpfen, leicht schmatzenden Geräusch trommeln die Turnschuhe über die blaue Tartanbahn. Mehrere Dutzend Sportler trainieren an diesem Abend in der Leichtathletikhalle des Olympiastützpunktes Rhein-Neckar im Mannheimer Stadtteil Wohlgelegen. Die einen üben sich in Sprints, andere absolvieren 200-, 400- und 800-Meter-Läufe, wieder andere perfektionieren in der Hallenmitte ihre Technik im Stabhochsprung und im Hürdenlauf. Unter den Athleten, die auf der Außenbahn ihre Runden drehen, ist auch Fabienne Amrhein (Foto: Frederic Giloy), die sich jüngst als deutsche Hochschulmeisterin im Halbmarathon für die „Universiade“ kommenden August in Taiwan qualifiziert hat.
Die 24-Jährige zählt zur erweiterten deutschen Spitze auf den Mittel- und Langstrecken sowie im Crosslauf. Bei nationalen Meisterschaften konnte sie bereits mehrere Medaillen gewinnen, zudem ist sie mehrfache deutsche Hochschulmeisterin in den Disziplinen Crosslauf (2014 und 2015) sowie 3000 Meter (2015) und zehn Kilometer (2016). Arbeitet sie nicht an Kondition und Schnelligkeit, studiert Fabienne an der Universität Heidelberg. Vergangenes Jahr hat sie ihren Biochemie-Bachelor abgeschlossen – mit Top-Noten. Jetzt studiert sie den englischsprachigen Masterstudiengang „Molecular Biosciences“ mit Schwerpunkt „Cancer Biology“.„2:59! Passt genau, sehr gut“, ruft Trainer Christian Stang. Fabienne hat soeben ihren letzten Lauf für den heutigen Abend absolviert; schnaufend kommt sie zum Stehen, stützt sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, um Luft zu holen. Schnell hat sich ihr Atemrhythmus beruhigt, nur ein paar kleine Schweißperlen auf der Stirn zeugen von der Anstrengung. „Sie ist die Sportlerin mit dem größten Potenzial in meinem Team“, erzählt Stang, der Fabienne seit über zehn Jahren trainiert: „Sie hat ihre Ziele immer klar vor Augen, ist sehr motiviert und zieht Sport und Studium gleichermaßen perfekt durch.“ Und trotz dieser Doppelbelastung bleibe sie locker und sei nicht verbohrt, lobt der Coach.
15 bis 18 Stunden trainiert Fabienne Amrhein jede Woche, gesplittet in sieben bis zehn Einheiten. Wenn morgens der Wecker klingelt, schlüpft sie in ihre Laufschuhe und rennt los: zehn Kilometer, „eine kleine Trainingseinheit“, wie sie sagt. Oder sie wirft ein schnelles Frühstück zur Stärkung ein und fährt hinauf zur Thingstätte auf dem Heidelberger Heiligenberg, um mit Treppenläufen ihre Fitness und Kraft zu verbessern – auch bei Minusgraden, auch wenn es regnet oder schneit. Allabendlich steht zudem das Training in der Halle oder im Kraftraum auf dem Programm. Zu einem solchen Pensum gehört eine gehörige Portion Disziplin, zumal wenn ein Studium dazukommt, das ebenfalls großen Einsatz fordert.
Talent, einen robusten Körper und eine gute Psyche: Diese drei Qualitäten brauche es, um im Sport an die Spitze zu kommen. Insbesondere im Kopf müsse es stimmen, betont Fabienne Amrhein, und zwar nicht nur, um sich für das hohe Trainingspensum zu motivieren. „Irgendwann im Laufe eines Rennens – meist so nach der Hälfte – werden die Beine schwer, die Gedanken kreisen um die Strecke, die noch vor einem liegt, die Zeit verrinnt immer langsamer.“ Jetzt muss der Wille wettmachen, was der Körper versagt. Die mentale Kraft hierfür zieht die zierliche Läuferin vor allem aus dem Zuspruch ihrer Eltern, ihres Bruders und der Großeltern, die sie zu fast allen Wettkämpfen begleiten und außerdem finanziell unterstützen, damit sie neben Studium und Sport nicht arbeiten muss. Außerdem ist da noch ihr Freund, der am Wochenende als Trainingspartner herhält und rückhaltlos hinter ihr steht – auch dann, wenn wie so oft die gemeinsame Zeit durch Wettkämpfe und Training stark eingeschränkt ist.
Mit viereinhalb Jahren gewann Fabienne den ersten Bambini-Lauf in ihrer Heimatstadt Wiesloch, angesteckt von ihrem drei Jahre älteren Bruder. „Ich war neidisch auf die Preistüten mit Brezeln und Limonade, mit denen er regelmäßig von Wettkämpfen nach Hause kam“, erzählt sie lachend. Als Schülerin holte sie – mittlerweile zur MTG Mannheim gewechselt – die Deutsche Vizemeisterschaft im Blockmehrkampf-Lauf mit der Mannschaft. Kurze Zeit später wechselte sie zum Mittel- und Langstreckenlauf und gewann als A-Jugendliche und in der U23 dreimal eine Bronzemedaille bei Deutschen Meisterschaften.
Ihre Lieblingsdisziplin ist der Crosslauf – ein koordinativ anspruchsvolles Rennen über sechs bis acht Kilometer, das auf unebenem, oft matschigem Untergrund absolviert wird und bei dem die Athleten Hindernisse wie Strohballen oder Bachläufe überwinden müssen. 2015 wurde Fabienne Amrhein hier Dritte der deutschen Konkurrenz, im Dezember 2016 belegte sie einen beachtlichen 20. Platz bei den Europäischen Meisterschaften.
Die 24-Jährige weiß inzwischen, was sie ihrem Körper zumuten kann und wann sie besser einen Gang zurückschaltet. „Im Moment fühle ich mich topfit“, freut sich die Sportlerin: „Dieses Jahr will ich angreifen!“ Ihr Trainer bestätigt: „Fabienne hat im vergangenen Jahr einen riesigen Sprung nach vorne gemacht.“ Ihre Ziele für 2017 sind hochgesteckt – aber dennoch realistisch, wie sie betont. Bei den Deutschen Meisterschaften Anfang Juli in Erfurt will sie ihre persönliche Bestzeit auf der 5000-Meter-Strecke verbessern und unter 16 Minuten laufen. Im Herbst dann steht die „Universiade“ – die olympischen Hochschulspiele – im taiwanesischen Taipeh an, für die sie sich just als Hochschulmeisterin und Siegerin des Halbmarathons beim „Gutenberg Marathon Mainz“ qualifiziert hat. Auch beim „Vienna City Marathon“ belegte sie über die Halbdistanz den ersten Platz, ferner konnte sie in diesem Jahr bereits einen zweiten Rang bei den Deutschen Crosslaufmeisterschaften verbuchen.
Noch immer brummt die Leichtathletikhalle vor sportlicher Aktivität. Die Schritte allerdings trommeln nicht mehr ganz so schnell und mühelos. Inzwischen haben vor allem Hobbysportler die Bahn übernommen. Fabienne schultert ihre Sporttasche. Es wird Zeit, nach Hause zu fahren. Morgen früh wartet ein Praktikums-Protokoll für die Uni, das geschrieben werden will. Und natürlich warten die Laufschuhe.