Vorhang auf für die Kinoplakate
Von Jana Gutendorf
Handgemalte Filmplakate, die der Medizinstudent Dietrich Lehmann in den 1950er-Jahren für den damaligen Heidelberger Filmklub schuf (Fotos: Universitätsarchiv), waren vergangenes Semester Inhalt eines Seminars am Institut für Europäische Kunstgeschichte. In dem Kurs von Prof. Dr. Henry Keazor setzten sich die Studierenden mit der Wahrnehmung von Film und Kino in Heidelberg auseinander und erarbeiteten ein Ausstellungskonzept – ab 27. Oktober werden die von Lehmann geschaffenen Plakate im Universitätsmuseum gezeigt. „Bereits die Gebrüder Lumière, die als Erfinder des Kinos gelten, bewarben ihre Filme mit Anzeigen und Plakaten, die zunächst oftmals lediglich aus Text bestanden“, erläutert Seminarleiter Keazor: „1896 gaben sie bei dem Genremaler Henri Brispot illustrierte Werbeträger in Auftrag; daraus entstand dann ein neuer Berufszweig, denn viele Gebrauchsgrafiker spezialisierten sich nun auf das Malen solcher Plakate.“
Als Plakatkünstler verdingte sich in den 1950ern auch der Heidelberger Student Dietrich Lehmann. Für den Filmklub fertigte er Aushänge zu Klassikern wie „Panzerkreuzer Potemkin“ oder „Im Westen nichts Neues“ und verdiente sich damit in den Nachkriegsjahren seinen Lebensunterhalt. Der künstlerische Nachlass des 2014 verstorbenen Mediziners befindet sich seit dem vergangenen Jahr in den Beständen des Universitätsarchivs der Ruperto Carola – Dietrich Lehmann selbst vermachte die Werke noch zu Lebzeiten seiner Alma Mater. „Die Bilder ganz ohne Publikumszugang einzulagern, wäre zu schade gewesen“, findet die stellvertretende Leiterin des Archivs, Sabrina Zinke. So entstand die Idee, die von Lehmann geschaffenen Plakate aufzuarbeiten und sie in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Umgesetzt wurde dieses Vorhaben im letzten Sommersemester von 16 Masterstudierenden am Institut für Europäische Kunstgeschichte. Gemeinsam mit ihrem Dozenten Henry Keazor setzten sich die Studentinnen und Studenten mit der Heidelberger Filmgeschichte auseinander und beschäftigten sich mit Leben und Werk Dietrich Lehmanns. Sie analysierten die Gestaltungselemente seiner Filmplakate und arbeiteten diese in Eigenregie für die geplante Ausstellung auf. „Durch die Arbeit im Seminar sollten die Studierenden auch die Scheu vor dem Anfassen, dem Kontakt mit potenziellen Ausstellungsstücken verlieren und sehen, was es heißt, selbstständig von der Theorie zur Praxis zu denken – also eine Ausstellung zu konzipieren und nicht nur zu konsumieren“, erklärt Hochschullehrer Keazor.
Wie sehr die Studierenden die Verbindung von praktischem und wissenschaftlichem Arbeiten schätzten, zeigte sich nicht zuletzt bei einem Besuch im Archiv des Filmmuseums in Frankfurt am Main: Dicht gedrängt standen die Seminarteilnehmer um große Tische, auf denen bunte Plakate ausgebreitet waren – handgemalt wie die von Dietrich Lehmann. Es wurde diskutiert über sichere Aufbewahrungsmöglichkeiten und gelungene Präsentationsformen; die Maltechniken einzelner Künstler wurden analysiert, erste Ideen zur didaktischen und medialen Aufbereitung von Inhalten entwickelt und wieder verworfen. Von den erfahrenen Archivmitarbeitern holten sich die Studierenden Rat, welche Fallstricke bei der Organisation einer Ausstellung zu beachten sind. Sie verglichen die Werke Lehmanns mit denen anderer Künstler und besprachen mögliche Leihgaben. „Auch in unserer wissenschaftlichen Arbeit denken wir die geplante Ausstellung stets mit“, so Laura Rehme aus der Gruppe der Studierenden: „Kunst und ein Stück Filmgeschichte in die Gegenwart zu holen und Lehmanns Werke in unterschiedlichen Kontexten inszenieren zu dürfen, ist einfach eine unglaublich spannende Aufgabe.“
Bei ihrer Arbeit auf den Spuren des Malers erhielten die Hochschüler darüber hinaus fachkundige Unterstützung von einer Vielzahl weiterer Akteure. Orientierung auf dem noch wenig erforschten Gebiet der Filmplakate boten im Zuge der Seminarsitzungen Kinoexperten und Referenten wie Jo-Hannes Bauer und Renate Karst-Matausch vom Heidelberger Karlstorkino. Bei der Ausarbeitung einer Künstlerbiographie standen den Seminarteilnehmern auch Familienangehörige von Dietrich Lehmann als Ansprechpartner zur Seite. Selbst mit Kinogängern aus den 1950er-Jahren, Zeitzeugen also, suchten die Studierenden Kontakt. Mit vereinten Kräften und gebündelter Kompetenz soll auf diese Weise eine Ausstellung entstehen, die auch deutlich macht, dass Heidelberg einmal eine bedeutende Lichtspielstadt war. Ab Freitag, 27. Oktober, kann das Ergebnis im Universitätsmuseum in Augenschein genommen werden. Die Ausstellung endet am 15. April nächsten Jahres, es gibt ein Begleitprogramm.
Ausstellungs-Flyer (pdf)
Dietrich Lehmann (Jahrgang 1929) studierte Humanmedizin in Paris und Heidelberg, wo er 1957 auch promoviert wurde. In der Folgezeit war er an zahlreichen Forschungseinrichtungen im In- und Ausland tätig, so an der University of California in Los Angeles (USA). Im Jahr 1972 folgte seine Habilitation an der Universität Zürich, wo er bis zu seiner Emeritierung als Professor für Klinische Neurophysiologie lehrte und forschte. In Zürich leitete der Wissenschaftler zudem das „KEY Institute for Brain-Mind Research“. Für seine Forschungsarbeiten wurde er 1997 mit der Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Jena ausgezeichnet. Dietrich Lehmann starb 2014.