Gravitationswellen ließen Forscher erbeben
Forscher auf der ganzen Welt sprechen von einem „historischen Ereignis“ und dem „Beginn einer neuen Ära“ in der Astronomie: Als Folge einer Kollision zweier Neutronensterne in der 130 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernten Galaxie NGC 4993 konnten Gravitationswellen gemessen werden. Gravitationswellen sind Schwingungen in der Raumzeit, die durch eine beschleunigte Masse ausgelöst werden. Vorhergesagt wurden sie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Albert Einstein im Zuge seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Der erste direkte Nachweis gelang indes erst vor zwei Jahren. Dafür erhielten vergangenen Herbst die US-amerikanischen Wissenschaftler Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne den Physik-Nobelpreis, die 1992 an der Gründung des Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatoriums (LIGO) beteiligt waren, mit dem die jüngst entdeckten Gravitationswellen infolge der Neutronenstern-Kollision (Grafik: NSF/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet) nachgewiesen wurden. Oliver Fink hat Prof. Dr. Stefan Wagner (Foto: privat) von der Landessternwarte Königstuhl des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) um eine Einschätzung gebeten:
Herr Wagner, warum haben die jüngst gemessenen Gravitationswellen ein solches Aufsehen erregt?
„Bereits seit geraumer Zeit versuchen Wissenschaftler, Gravitationswellen von astronomischen Objekten zu entdecken. Im Zuge einer Weiterentwicklung der Detektortechnologie ist das in den vergangenen zwei Jahren erstmals in drei Fällen bei Schwarzen Löchern gelungen. Das jetzige Ereignis war deshalb so aufsehenerregend, weil der Ursprung des Signals diesmal auf eine Wechselwirkung zweier Neutronensterne zurückzuführen war und zugleich mit einem Signal elektromagnetischer Strahlung einherging. Durch dieses zusätzliche Signal wiederum konnte die Position der Neutronensterne sehr viel besser bestimmt werden als bei den Schwarzen Löchern, denn die Gravitationswellen allein bieten, was diesen Aspekt angeht, nicht so präzise Hinweise.“
Sie haben die Verschmelzung der Neutronensterne ebenfalls beobachtet. Wie kam es dazu?
„Wir betreiben seit etwas mehr als zehn Jahren in Namibia ein Experiment für Gammastrahlen, das sogenannte H.E.S.S.-Experiment, an dem zahlreiche Wissenschaftler aus dem In- und Ausland beteiligt sind. Damit können wir alle hochenergetischen Phänomene des Universums besonders gut studieren. Dazu gehört auch das Verschmelzen von kompakten Objekten, zum Beispiel von Neutronensternen. Im Zuge der Gravitationswellenexperimente in den letzten Jahren haben wir uns auch Gedanken darüber gemacht, in welcher Region des Universums man die Quelle suchen könnte, sollte einmal ein solches Gravitationswellensignal kommuniziert werden; es existiert dazu eine Art weltweites Alarmsystem. Und diese Strategie ist nun aufgegangen. Unser Teleskop war – wie sich im Nachhinein herausgestellt hat – das erste bodengebundene Observatorium, das dieses kosmische Ereignis beobachtet hat, auch wenn wir das Gravitationswellensignal selbst nicht gemessen haben. Für die genaue Untersuchung dieser Verschmelzung sind unsere Daten natürlich sehr hilfreich.“
Welche Auswirkungen haben die aktuellen Messungen auf die astronomische Forschung insgesamt?
„In dem konkreten Fall geht es ja um Neutronensterne. Diese weitverbreiteten Endzustände von Sternen lassen sich nur sehr schwer untersuchen, allein aufgrund ihrer geringen Größe von nur wenigen Kilometern Durchmesser. Damit verbunden sind aber sehr interessante Fragestellungen. So haben alle Elemente, die schwerer sind als Eisen, letztlich ihren Ursprung in Neutronensternen und werden nach der Explosion ins All geschleudert. Warum wir auf der Erde diese schwereren Elemente wie Gold und Platin finden, verstehen wir daher nur, wenn wir Neutronensterne besser verstehen. Mit den Gravitationswellen steht der Forschung nun eine neue Informationsquelle zur Verfügung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nicht genau vorherzusagen, wie viele weitere Bereiche der Astrophysik davon noch profitieren werden. Das Experiment ist jetzt erst einmal ausgeschaltet und wird in den nächsten eineinhalb Jahren verbessert.“
Der Astrophysik gewidmet sind auch zwei Briefmarken, die Anfang Dezember vom Bundesfinanz-ministerium herausgegeben wurden. Die eine thematisiert den in den beiden vergangenen Jahren gelungenen Nachweis von Gravitationswellen. Die andere zeigt den Satelliten Gaia, mit dessen leistungsstarker Kamera Wissenschaftler der Europäischen Weltraumorganisation ESA das All kartieren – Heidelberger Astronomen sind daran maßgeblich beteiligt.