Von Stephan Lawall
Wann gehört ein Objekt ins Museum? Diese Frage erwarten die meisten, wenn sie an die Kernaufgaben eines Museums denken: Sammeln und Präsentieren. Doch immer mehr Museen stoßen durch zu viel Sammeln an ihre Grenzen und haben sich angesichts überfüllter Magazine dazu entschlossen, Exponate auszusortieren, sie zu „entsammeln“. Mit diesem Umstand hat sich ein knappes Dutzend Studierende der Geschichte und Ur- und Frühgeschichte im Zuge der Lehrveranstaltung „Ausgesammelt? Sammeln und Entsammeln in der museologischen Praxis“ von PD Dr. Stefanie Samida während des vergangenen Wintersemesters an der Heidelberg School of Education gewidmet – und aus entsammelten Objekten eine Ausstellung kreiert. Titel: „… und sowas schmeißen die weg?!“
Zu sehen ist die studentische Schau seit 6. März in zwei Vitrinen im Erdgeschoss der Heidelberger Universitätsbibliothek im Flur, der zur Ausleihe führt. Eine Vitrine ist mit ehemaligen Exponaten aus Museen bestückt, in der anderen werden Objekte aus Privatsammlungen gezeigt. Die Ausstellung verknüpft so museale Sammlungen mit dem privaten Kontext und wirft Fragen auf, die beide Felder betreffen: Was sammeln Privatpersonen und was werfen sie weg? Warum werden Kollektionen entsammelt? Welche Objekte sind bedeutsam genug, um aufbewahrt zu werden, und welche lassen sich entsorgen? Diese Fragen werden in der Ausstellung an das Publikum weitergereicht: Die Besucher sollen entscheiden, welche Objekte aus privatem Bestand aussortiert gehören.Die „Massendinghaltung“ macht Museen zunehmend Probleme. | Foto: Keltenmuseum Hallein |
Das Museum gilt als Institution, die Objekte unterschiedlicher Provenienz zusammensucht, bewahrt, erforscht, ausstellt und die damit verbundenen Inhalte vermittelt. Museologische Praxis ohne das Sammeln scheint nicht vorstellbar. Die Zunahme an Material – die „Massendinghaltung“, so der Titel einer Tagung vor fünf Jahren – stellt die Museen indes zunehmend vor Herausforderungen. In der Fachwelt wird die Thematik seit etwa einem Jahrzehnt unter dem Stichwort „Entsammeln“ diskutiert; was bedeutet, Sammlungen zu verkleinern, Altbestände neu zu bewerten und letztendlich Objekte zu entfernen. Hierbei werden Artefakte verkauft, getauscht, verschenkt, verliehen oder gar zerstört, obschon es dem ursprünglichen Kerngedanken eines Museums, zu sammeln und zu präsentieren, widerspricht. Entscheidend dafür ist die Frage nach dem Zweck des Sammelns an sich, dem Informationsgehalt von Objekten gegenüber einer schriftlichen Dokumentation, der unterschiedlichen Bewertung im Laufe der Zeit sowie die Abwägung zwischen möglichem Informationsverlust und Problemen mit Platz und Betreuung.
In der ersten Ausstellungsvitrine in der UB finden sich sowohl aussortierte als auch zu entsammelnde Exponate aus Museen wie beispielsweise ein Konglomerat unterschiedlichster Felsgesteine aus der Vojkffy-Sammlung vom Bodensee. Christoph von Vojkffy (1879 bis 1970) war Hobbyarchäologe und trug allerlei Material zusammen, das er dem Pfahlbaumuseum Unteruhldingen bereits in den 1960er-Jahren überließ – die vermeintlichen Artefakte wurden nun bei erneuter Durchsicht als Felsgesteine erkannt und aussortiert. Auch paläolithische Faustkeile sind Teil der Ausstellung. Zwei von ihnen, die aus dem Museum Geologie/Paläontologie der Universität Heidelberg kommen, sind für die Entsammlung vorgesehen.
Auch für die Ausstellung übers Entsammeln musste Exponate zusammengesammelt werden. | Foto: Martin Nissen, UB Heidelberg |
Die Objekte in der Privatsammler-Vitrine entstammen dem privaten Umfeld der Seminarteilnehmer, darunter die klassische Briefmarken- oder Münzsammlung, eine Schallplatte und eine Figur aus der Popkultur, eine Darth-Vader-Spielfigur aus einer Star-Wars-Kollektion. Zu den Exponaten gibt es eine kurze Geschichte zur Herkunft und den Motiven der Sammler. Auf dem ausstellungsbegleitenden Blog kann das Publikum darüber abstimmen, was man aussortieren sollte. Der Blog bietet zudem ergänzende Informationen zum Hintergrund des Projekts und zu den entsammelten Objekten. Museumskuratoren erklären, weshalb sie sich von Artefakten getrennt haben und warum in ihrem Museum grundsätzlich entsammelt wird – oder warum sie sich dezidiert dagegen entschieden haben. Und das nicht nur, um der Frage auszuweichen: „… und sowas schmeißen die weg?“