Eine der wertvollsten Sammlungen von Handschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit – die Bibliotheca Palatina – ist nach jahrhundertelanger Trennung virtuell wiedervereint. Dazu hat die Universitätsbibliothek Heidelberg nicht nur die deutschsprachigen Handschriften in ihrem eigenen Bestand digitalisiert sondern auch die lateinischen Codices dieser „Mutter aller Bibliotheken“, die sich seit fast 400 Jahren hinter den Mauern des Vatikans in der Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom befinden. Mit einem Festakt in der Aula der Alten Universität wurde kürzlich der Abschluss der Digitalisierung begangen. Der Dank der Redner galt dabei Dr. h.c. Manfred Lautenschläger – der Ehrensenator der Ruperto Carola ermöglichte die Realisierung dieses für die Forschung bedeutenden Großprojekts, indem er mit seiner Stiftung die langjährige Finanzierung übernommen hatte.
„Heute ist ein Festtag“, sagte der Rektor der Universität, Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard Eitel, zum Auftakt der Feier und verwies auf die herausragende Bedeutung der Handschriftensammlung, deren Ursprünge zurückreichen bis zur Gründung der Ruperto Carola 1386. Die Bibliotheca Palatina sei ein Stück europäische Identität und helfe zu verstehen, „wer wir sind“. Ebenso wie der Rektor wandte sich der Direktor der Universitätsbibliothek, Dr. Veit Probst, mit Dankesworten an Förderer Manfred Lautenschläger. In seiner Ansprache gab Probst Einblicke in die Geschichte und historische Bewertung der Palatina, die zu ihrer Blütezeit Anfang des 17. Jahrhunderts als „optimus Germaniae literatae thesaurus“ bezeichnet wurde, als der beste Schatz aller Gebildeten in Deutschland. Selbst heute noch ist sie für eine Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen von Interesse. Der nunmehr digitalisierte Kernbestand von rund 3000 Handschriften mit ungefähr einer Million Seiten ist über das Internet für jedermann zugänglich. Allein im vergangenen Jahr wurde auf die Seiten der digitalen Sammlung etwa 2,2 Millionen Male zugegriffen – und dies aus 172 Ländern.Allen Grund zum Feiern (von links nach rechts): Festredner Prof. Christopher Young, Ehrensenator Dr. h.c. Manfred Lautenschläger, Universitätsrektor Prof. Bernhard Eitel und der Direktor der Universitätsbibliothek, Dr. Veit Probst. | Foto: Rothe |
Der Bibliotheca Palatina ging bereits, bevor Papst Gregor XV. sie im Dreißigjährigen Krieg als Beute reklamierte und 1623 in den Vatikan überführen ließ, eine lange Geschichte voraus. Über fast 250 Jahre war sie aus zwei Quellen erwachsen: den fürstlichen Sammlungen auf dem Heidelberger Schloss und den Bibliotheken der 1386 gegründeten Universität Heidelberg. Mit Ausnahme der deutschsprachigen Codices, die 1816 an den Neckar zurückkehrten, bildet die Palatina bis heute einen Grundstock der Vatikanischen Bibliothek und liegt dort in den Tresoren. Als Universalbibliothek umfasst sie neben theologischen, philologischen, philosophischen und historischen Werken auch medizinische, naturkundliche und astronomische Texte.
Die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung und des Internets boten der Universitätsbibliothek die Chance, den auf Rom und Heidelberg verteilten „Schatz der abendländischen Kultur“ in einer virtuellen Bibliothek wieder zusammenzuführen. Dazu begründeten die Hochschule und der Vatikan eine auf mehrere Jahre angelegte Kooperation. „Für die Förderung dieser ambitionierten Idee sind wir unserem Ehrensenator zu großem Dank verpflichtet“, so Rektor Bernhard Eitel. Und die Manfred-Lautenschläger-Stiftung hat nicht nur die Digitalisierung der deutschsprachigen Handschriften in Heidelberg unterstützt – dank der Finanzierung durch die Stiftung konnte auch ein Digitalisierungsstudio der UB im Vatikan aufgebaut und betrieben werden, um dort die lateinischen Codices aufzunehmen. Bibliotheksdirektor Probst: „Mit der virtuellen Zusammenführung der deutschsprachigen und lateinischen Palatina-Handschriften ist für uns ein Traum in Erfüllung gegangen!“
Einmal pro Woche wurden je nach Größe und Umfang vier bis sieben Handschriften aus den vatikanischen Tresoren in den klimatisierten und abgedunkelten Aufnahmeraum des Studios transportiert, wo sie mit einer hochauflösenden Kamera fotografiert wurden. Ein spezieller Tisch gestattete die kontaktlose und schonende Direktdigitalisierung der fragilen Objekte. Um einen reibungslosen Arbeitsablauf zu gewährleisten, entwickelte die UB sogar eine eigene Software: Das Programm „DWork – Heidelberger Digitalisierungsworkflow“ bewerkstelligt die automatische Abwicklung sämtlicher Einzelschritte von der Metadatenerstellung über das Generieren der Internetpräsentation bis zur Langzeitarchivierung. Eine Nachbearbeitung mit professionellen Bildbearbeitungsprogrammen sorgt schließlich dafür, dass das digitale Faksimile so weit wie möglich dem Original entspricht.
Vier bis sieben Handschriften in der Woche: Mitarbeiterin der Universitätsbibliothek bei der Digitalisierung am sogenannten Grazer Buchtisch. | Foto: UB Heidelberg |
Den Festvortrag auf der Abschlussfeier in der Alten Aula hielt Prof. Dr. Christopher Young von der Universität Cambridge zum Thema „Die Kaiserchronik digital. Alte Fragen und neue Technologien“. Im Zuge eines fünfjährigen Forschungsprojekts wird die Überlieferung dieser um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen frühmittelhochdeutschen Reimchronik erfasst, analysiert und virtuell zusammengestellt. Maßgeblich daran beteiligt ist die Universitätsbibliothek Heidelberg, wie Christopher Young in seinem Vortrag ausführte. Zum Abschluss der Festveranstaltung sprach Stifter Manfred Lautenschläger, der seinen Stolz darüber zum Ausdruck brachte, mit der virtuellen Rekonstruktion der Bibliotheca Palatina an einem Projekt von großer wissenschaftlicher Bedeutung und hohem kulturellen Wert mitgewirkt zu haben.
SWR Aktuell: „Kostbare Handschriften jetzt digital“