Aufprall zweier Kulturen
Bernhard Dobberstein, seit 1996 Direktor des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH), koordinierte in der heißen Phase des „BioRegio“-Wettbewerbs die Seite der Grundlagenforscher aus der Universität und den anderen wissenschaftlichen Zentren. Heute, im Rückblick, überwiegen die positiven Erinnerungen, doch der Aufprall zweier grundverschiedener Kulturen – der Grundlagenforschung hier und der Industrie dort – verlief nicht ohne Reibung. Es ging auch um Fragen der Geheimhaltung und des Vertrauensschutzes. Der 52jährige Molekularbiologe hier im Interview mit Michael Schwarz.
Was waren Ihre persönlichen Gründe, als Wissenschaftler im Lenkungsausschuß mitzuarbeiten?
Ich bin zur Zeit Direktor des ZMBH und habe in dieser Eigenschaft im Initiativkreis „BioRegio“ und im Lenkungsausschuß gearbeitet. Das ZMBH sieht sich verpflichtet, alle Fördermöglichkeiten auszuschöpfen, durch die Ergebnisse der Grundlagenforschung in biotechnologische Produkte umgesetzt werden können. Vor mehr als zehn Jahren ist das Zentrum mit beträchtlicher Unterstützung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) und der Industrie als zentrale Einrichtung der Universität gegründet worden. Einige unserer Arbeiten in der Grundlagenforschung haben ein hohes Anwendungspotential. Darum kooperieren mehrere Arbeitsgruppen des ZMBH sehr erfolgreich mit Industriepartnern. Das ist zum Beispiel durch die Beckurts-Preise anerkannt worden, die in den vergangenen Jahren an die Kollegen Hermann Bujard und Peter Seeburg gingen. In diesem Zusammenhang erscheint mir ein Detail wichtig: Peter Seeburg war maßgeblich daran beteiligt, daß die Kooperation der BASF mit der amerikanischen Biotechnik-Firma Lynx Therapeutics zustande kam.
Wie kann man sich die Arbeit der vergangenen Monate konkret vorstellen? Was haben Sie und Ihre Kollegen aus der Wissenschaft faktisch vor Ort für den „BioRegio“-Wettbewerb getan?
Wir haben das wissenschaftliche Potential der Region erfaßt und im Antrag in einer Übersicht dargestellt – die Koordination dieser Arbeit lag bei mir. Ulrich Abshagen hatte einen Fragebogen konzipiert, der an Wissenschaftler im akademischen Bereich und in der Industrie ging. Unsere Suche richtete sich auf Projekte mit hohem Anwendungspotential. Etwa 180 Projektideen kamen zurück, deren Potential für die Umsetzung in marktfähige Produkte wir in der Folgezeit abschätzten. 13 ad-hoc-Arbeitsgruppen sichteten die thematisch breit gefächerten Projekte und ordneten sie nach ihren Anwendungschancen ein. Die Gruppen setzten sich auf der einen Seite aus Vertretern der wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen: Universität, Deutsches Krebsforschungszentrum, Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie, Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, Fachhochschule Mannheim – auf der anderen Seite aus Mitarbeitern der Industrie und der Biotechnologie-Unternehmen. Die Teamarbeit brachte an sich schon einen Erfolg: daß sich erstmals in breitem Umfang Vertreter der wissenschaftlichen Einrichtungen und der Industrie kennenlernten und miteinander diskutierten. Auf einem Symposium stellten die Beteiligten dann Schwerpunkte der biotechnologischen oder biomedizinischen Arbeiten der Region vor. Hier wurde noch einmal deutlich, über welch hervorragendes wissenschaftliches Potential diese Region verfügt.
Ihre Schilderung klingt wie eine Erfolgsstory ohne „Wolken am Horizont“. Gab es auch Probleme in der konzeptionell heißen Phase des „BioRegio“-Wettbewerbs?
Natürlich gibt es Probleme, wenn über hochinnovative, wirtschaftlich interessante Projekte gesprochen wird. Lange haben wir zum Beispiel diskutiert, teilweise sehr kontrovers, wie ein Mißbrauch der Information über die Projektideen verhindert werden kann. Die Beteiligten einigten sich dann darauf, ein Geheimhaltungsabkommen zu unterzeichnen, das alle akzeptierten. Geheimhaltung und Vertrauen sind wichtige Aspekte bei der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie. Daß dies im Vorfeld zu Problemen führte zeigt, wie unerprobt und unerfahren der Umgang zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung im Rhein-Neckar-Raum gewesen ist.
Bestanden nur Vorbehalte im Hinblick auf die Geheimhaltung, oder gab es auch andere Bremsfaktoren, zum Beispiel eine unterschiedliche Kultur der Wissenschaftler in der Grundlagenforschung und in der Industrie?
Es gab viel Skepsis und auch Mißtrauen. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie den Wissenschaftlern aus der Grundlagenforschung vorgeworfen wurde, sie seien eigentlich nicht an der Verwertung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse interessiert, sondern hätten „nur“ die Veröffentlichung im Auge. Sie würden sich zudem nicht genügend um den patentrechtlichen Schutz ihrer Entdeckungen kümmern. Die wissenschaftliche Seite beklagte im Gegenzug, daß die biotechnologische Industrie in Deutschland nur an fertigen, marktreifen Produkten interessiert sei, nicht aber – oder genauer gesagt: nicht genügend – zur Entwicklung von Projekten in einem frühen Stadium beitrage.
Die insgesamt doch sehr kritisch geführten Diskussionen machten klar, daß der „BioRegio“-Wettbewerb nur als ein Anstoß gewertet werden kann, und daß noch viel Arbeit im Übergangsbereich zwischen Grundlagenforschung und ihrer Anwendung oder Nutzung durch die Industrie bleibt.
Wie haben Sie die Chancen im „BioRegio“-Wettbewerb eingeschätzt, bevor in Bonn die Sieger gekürt wurden?
Ich war persönlich überzeugt, daß die Region Rhein-Neckar sehr gute Chancen hätte. Biologische und medizinische Forschung und die biotechnologischen Unternehmen der Region sind nach internationalem Standard erstklassig. Ich dachte: Für diesen Anspruch wäre es eine Bestätigung, aus dem Wettbewerb als einer der drei Sieger hervorzugehen. 50 Millionen Mark waren ein großer Ansporn.
Wie sehen Sie den Wettbewerb und seine Folgen heute?
Wir erhoffen uns jetzt, daß sich im Umfeld der wissenschaftlichen Einrichtungen Firmen ansiedeln, die vor allem den sehr frühen Transfer von wissenschaftlichen Ideen in Produkte zum Ziel haben. Es ist ermutigend zu sehen, wie mit der Kooperationsvereinbarung zwischen BASF und Lynx Therapeutics eine amerikanische Firma den Weg von den USA nach Deutschland nimmt. Die BASF hat damit signalisiert, daß sie in Heidelberg eine gute Zukunftschance für die Biotechnologie sieht. Hoffentlich geht davon eine Signalwirkung für andere Firmen aus, sich im Rhein-Neckar-Raum niederzulassen. Grundlagenforscher würden dadurch bessere Möglichkeiten bekommen, vor Ort Kooperationspartner aus der Industrie zu finden.
Sie sagten, Sie haben intensiv gerungen, um die Schwerpunkte und Chancen gemeinsamer Anwendungsprojekte einzuschätzen. Wird sich dieser Prozeß in Zukunft fortsetzen?
Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt. Es wird ein langer Weg sein, das „BioRegio“-Konzept dieser Region erfolgreich umzusetzen. Gelingen wird es wohl nur, wenn die Arbeit von einer breiten Basis getragen wird.
Wie werden die Mittel des „BioRegio“-Programms verteilt, und wer wählt die Projekte aus, die gefördert werden?
Die Mittel fließen in die Förderung von Projekten, aber auch in Unternehmensgründungen. Weiter können Dienstleistungen des Biotechnologie-Zentrums Unterstützung erhalten. Ein Kuratorium, das sich paritätisch aus Vertretern der wissenschaftlichen Einrichtungen und der Industrie zusammensetzt, wählt die zu fördernden Projekte aus. Die Universität entsendet je einen Forscher aus Medizin und Biologie in das Gremium – DKFZ, EMBL, MPI und Fachhochschule Mannheim stellen je ein weiteres Mitglied. Die sechs Vertreter der Wirtschaft kommen von der BASF, den Firmen Merck, Knoll, Boehringer Mannheim, den kleinen und mittleren Unternehmen der Region und der Bankenvereinigung. Da das „BioRegio“-Programm die industrielle Nutzung fördern will, fließen die Mittel in der Regel nur in solche Projekte, die wenigstens mit einem 50prozentigen Anteil von einem Industriepartner unterstützt werden. Die Gelder stehen seit Januar 1997 bereit. Das Kuratorium wird zu Beginn in einem sehr kurzen Turnus tagen, damit Projekte zügig gefördert werden können.
Was sind Ihre persönlichen Wünsche für die Zukunft von „BioRegio“?
Ich wünsche mir, daß der „Wir-Gedanke“ bestehen bleibt, der nach und nach aufkam, als wir das Programm konzipierten. Er wäre gefährdet, wenn eine der wissenschaftlichen Institutionen oder ein Industriepartner versuchte, zu dominieren. Für unsere Studenten wünsche ich mir, daß durch „BioRegio“ ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz in dieser Region steigen. Durch das geplante Curriculum „Industrielle Bio-Medizin/Biotechnologie“ erhalten sie die Möglichkeit, Einblicke in die industrielle Forschung zu gewinnen und Grundlagen der Betriebswirtschaft zu lernen. Das könnte eine Lücke zwischen Studium und Ausbildung für den Beruf schließen.
Ist man mit der neuen GmbH des Biotechnologie-Zentrums dem Ziel nähergekommen, so zu werden wie Stanford und Cambridge?
Der Vergleich ist verfrüht. Ich halte das Konzept des Biotechnologie-Zentrums Heidelberg für sehr gut. Die Gliederung in einen gemeinnützigen Verein und eine GmbH erlaubt es, je nach Art des Projekts öffentliche, industrielle oder privat investierte Mittel einzusetzen. Die GmbH wird Hilfestellung bei der Entwicklung und Vermarktung von Projekten geben und Kapital für Firmenneugründungen im Bereich der Biotechnologie bereitstellen. Der Erfolg der GmbH wird nicht unwesentlich von der Akzeptanz durch die Wissenschaftler vor Ort abhängen. Das Biotechnologie-Zentrum braucht eine Chance, so daß es sich entwickeln kann. Mit dem Stempel „BioRegio“ wird es ihm sicher leichter fallen, private Geldgeber für Investitionen in die Biotechnologie zu finden.
Also kein Silicon Valley der Biotechnologie im Rhein-Neckar-Dreieck?
Man wird diese Frage in fünf Jahren beantworten können. Dann wird man sehen, was die Gelder des „BioRegio“-Programms in Gang gesetzt haben.