Meinung
Die Forschung an der Universität Heidelberg hat sich auch im zurückliegenden Jahr trotz erschwerter Bedingungen in ihrer nationalen Spitzenposition behaupten können. So erreichte im Dezember die Universität die erfreuliche Nachricht, daß einer der insgesamt vierzehn Leibniz-Preise der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das Jahr 1997 an den Heidelberger Assyriologen Prof. Dr. S. Maul ging. Dieser Preis ist die angesehenste und höchstdotierte Auszeichnung für Wissenschaftler in Deutschland. Prof. Maul erhielt den mit 3 Millionen Mark dotierten Leibniz-Preis für seine herausragenden Studien auf dem Gebiet der Religionsgeschichte im Alten Orient. Mit Prof. Maul fällt der Leibniz-Preis nach Prof. Alföldy, Prof. Most und Prof. Wagner bereits zum vierten Mal in seiner elfjährigen Geschichte in die Heidelberger Fakultät für Orientalistik und Altertumswissenschaft. Damit dürfte diese Fakultät wohl einzigartig in Deutschland dastehen. Ihre Leistungsstärke unterstreicht schließlich auch die Verleihung des mit 250000 Mark ausgestatteten Max-Planck-Forschungspreises für internationale Kooperation an den Ägyptologen Prof. J. Assmann Anfang Dezember.
Mit der Verleihung des hochdotierten Alfried Krupp-Förderpreises für junge Hochschullehrer 1996 an den 35jährigen Prof. R. Fischer von der Anorganischen Chemie ging eine weitere hohe Auszeichnung an die Ruperto Carola. Der Wissenschaftliche Beirat der Stiftung hat den Preisträger aus 68 Kandidatenvorschlägen von 53 Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen nominiert.
Mit dem international sehr angesehenen Prix Yvette Mayent des Institut Curie, Paris, wurde Prof. H. Bujard vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZBMH) für seine gentechnologischen Forschungen ausgezeichnet. An das ZMBH ging auch der Otto-Bayer-Preis 1996, der zu den renommiertesten Auszeichnungen für Naturwissenschaftler in Deutschland gehört. Prof. Jentsch erhielt den Preis für seine zukunftsweisenden Arbeiten auf dem Gebiet der Zellbiochemie. Durch diese Auszeichnungen wird die wissenschaftliche Bedeutung des ZMBH erneut hervorragend bestätigt.
Besondere Freude in der Universität löste schließlich auch die Nachricht aus, daß die Bio-Region Rhein-Neckar-Dreieck im sogenannten BioRegio-Wettbewerb des BMBF erfolgreich war. Sie gehört nun zu den drei Modell-Regionen in Deutschland, die über fünf Jahre mit 50 Millionen Mark zusätzlicher öffentlicher Mittel gefördert werden. Diesem Wettbewerb wird eine Sonderausgabe des Forschungsmagazins „Ruperto Carola“ gewidmet sein.
Ein weiterer Ausweis für das erfreulich hohe Niveau, auf dem sich die Forschung an der Universität Heidelberg bewegt, stellen die Begutachtungen von Finanzierungsanträgen von Sonderforschungsbereichen (SFB) durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dar. Die im Sommer erfolgte Begutachtung des SFB 317 „Molekulare Biologie neuraler Mechanismen und Interaktionen“ verlief sehr erfolgreich. Zum Herbst 1996 nahm der neu eingerichtete Sonderforschungsbereich 414 „Rechner- und sensorgestützte Chirurgie“ seine Arbeit auf, an dem neben der Universität Karlsruhe und dem DKFZ auch Forscher der Ruprecht-Karls-Universität beteiligt sind. Im Dezember fand die Begehung des in Heidelberg neu einzurichtenden SFB „Immuntoleranz und ihre Störungen“ durch die DFG statt. Der von Prof. Meuer als Sprecher eingereichte Antrag wurde dabei positiv begutachtet. Einen Vorantrag bei der DFG eingereicht hat die SFB-Initiative „Molekulare Mechanismen hepato-gastroenterologischer Erkrankungen“ unter ihrem Sprecher Prof. Stremmel. Die Arbeiten weiter vorantreiben konnte auch Prof. Kiesel bei dem Vorhaben, einen SFB „Bundesrepublik Deutschland 1949-1969: Bürgergesellschaft oder Zivilgesellschaft“ in den Geisteswissenschaften einzurichten.
Weiter verfestigen konnte sich schließlich die an der Universität bestehende exzellente Situation der Graduiertenkollegs, die maßgeblich zur Stärkung der universitären Forschung beitragen. Zu den schon vorhandenen 13 Kollegs, mit denen die Ruperto Carola national die Spitzenposition hält, nahm im Herbst das 14. Kolleg „Kontrolle der Genexpression“ mit Frau Prof. C. Clayton vom ZBMH als Sprecherin seine Arbeit auf. Darüber hinaus wurden 1996 aus Kreisen der Ruperto Carola weitere fünf Kollegs bei der DFG beantragt, und wir sind zuversichtlich, jedenfalls mit einem Teil erfolgreich zu sein.
Leider gibt es trotz dieser schönen Erfolge auch Probleme in der künftigen Forschungsförderung. Das gilt etwa für die zu beobachtende Tendenz einer wachsenden „Verkommerzialisierung“ der öffentlich geförderten Forschung. Die öffentliche Forschung gerät zunehmend unter ökonomischen Legitimationszwang; sie wird vielfach nur noch unter Verwertungsperspektiven, nicht aber um ihrer selbst willen akzeptiert. Trotz des verbreiteten Bekenntnisses zur Wichtigkeit der Grundlagenforschung geht beinahe die gesamte Forschungsförderungspolitik von Bund und Land auf starken Industriebezug und mehr oder minder direkte Umsetzung von Wissen in Produkte. So ließ das BMBF Ende November verlauten, es beabsichtige, seine Forschungsförderung umzustrukturieren und auf die Förderung sogenannter Leitprojekte zu konzentrieren. „Leitprojekte“, heißt es in der Pressemitteilung, sollen „eine positive Wende“ bei dem Prozeß von Wissen in praktische Anwendungen bringen. „Leitprojekte setzen sich zum Ziel, von Anfang an Industrie und Anwender als die für die Umsetzung Verantwortlichen in den Forschungsprozeß einzubinden.“ Eine derartige Verlagerung der Forschungsförderung von Grundlagenforschung, die dem freien kreativen Forschergeist und seiner Neugier adäquat ist, hin zur Förderung von Leitprojekten, die auf einen Wettbewerb der Ideen mit der größten Profit-Maximierung abzielen, trifft unsere Universität besonders hart, da sie ihr Profil primär der Grundlagenforschung verdankt.
In einem Vortrag im Sommer letzten Jahres vor den Alumni hat der Forschungsdezernent der Universität auf diese bedrohliche Entwicklung in der öffentlichen Förderpolitik aufmerksam gemacht und davor gewarnt, daß „die Innovationskraft unserer Forschung sich nicht in der Extrapolation der Forschung von heute auf morgen erschöpfen darf“. Dabei konstatierte er einen erheblichen Rückgang der BMBF-Fördermittel an den Gesamtdrittmitteln der Universität von 36,1% im Jahre 1991 auf 24,9% fünf Jahre später. Demgegenüber wuchs der DFG-Anteil an den Drittmitteln stetig und machte 1995 mehr als 55% aller Heidelberger Drittmittel aus. Zum Vergleich: im Landesdurchschnitt lag der prozentuale Anteil der DFG-Mittel an den Gesamtdrittmitteln 1995 bei 39,6%.
Die Tendenz zur Verlagerung der Forschungsförderung läßt sich auch bei der Forschungsförderpolitik des Landes beobachten. Auch hier setzen sich zweckrationales und verwertungsorientiertes Forschungshandeln zunehmend durch. Erfolgreiche Förderprogramme wie beispielsweise das Landesforschungsschwerpunktprogramm oder die Nachwuchsförderung nach dem Landesgraduiertenförderungsgesetz fallen dem Rotstift zum Opfer; gute profilbildende Ideen wie die Etablierung geisteswissenschaftlicher Zentren werden nur noch halbherzig unterstützt und an die DFG weitergereicht. Stattdessen halten Kriterien wie „Patentaktivitäten“ Einzug in die Bewertung von Förderanträgen. Demgegenüber setzt die Universität nach wie vor darauf, daß eine komplexe Industrienation wie die unsere es sich nicht leisten kann, nur zweck- bzw. zielorientierte Forschung in ökonomischer Absicht zu betreiben. Mit ihrem Bekenntnis zur Grundlagenforschung sucht sie dem allgemeinen Trend zur „toxischen Vermischung von Innovationszyklen“ – hier öffentliche Wissenschaften und dort proprietäres Wissen der Industrie – , wie es der Präsident der DFG einmal bezeichnet hat, entgegenzutreten.
Die Universität kann die Augen vor der allgemeinen Entwicklung der Mittelverknappung und Konzentration auf anwendungsbezogene Forschung nicht verschließen. Sie muß auf diese Tendenzen reagieren, um sich auch in Zukunft im Wettbewerb um die notwendigen Drittmittel mit den anderen Universitäten behaupten zu können und kann nicht bei einem grundsätzlichen Plädoyer für die Grundlagenforschung stehenbleiben. Um diesen Herausforderungen zu begegnen und auch in Zukunft den nötigen Freiraum für Phantasie und Kreativität in der Forschung zu schaffen und die Bedingungen für eine unkonventionelle und zukunftsträchtige Forschung zu verbessern, verfolgen wir zum einen seit geraumer Zeit das Ziel einer leistungsorientierten Mittelverteilung. Außerdem führen wir gegenwärtig eine Bestandsaufnahme zum Forschungsprofil der Fächer anhand eines mit Senat und Verwaltungsrat abgestimmten Fragebogens durch. Dabei soll es nicht um die Evaluation einzelner Wissenschaftler gehen, sondern um die Ermittlung des Gesamtprofils eines Faches bzw. einer Teildisziplin. Der Fragebogen ist so angelegt, daß er neben den Publikationen in einem bestimmten Zeitraum auch möglichst alle weiteren Kriterien berücksichtigt, die für die Ermittlung von Forschungsprofilen erheblich sein können. Vorgesehen ist zunächst eine Testphase, die sich auf wenige Fächer bzw. Teildisziplinen beschränkt. Hierfür wurden die Fakultät für Biologie, die Philosophisch-Historische Fakultät sowie die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät ausgewählt. Sobald eine flächendeckende Erfassung der vorhandenen Profile vorliegt, soll sie auch als Grundlage und Hilfe für strukturelle und finanzielle Entscheidungen herangezogen werden, die ihrerseits zu einer weiteren Konturierung des Heidelberger Forschungsprofils beitragen.
Die Universitätsleitung wie die überwiegende Mehrheit von Senat und Verwaltungsrat sind von der Notwendigkeit eines derartigen Vorgehens überzeugt. Die veränderten Rahmenbedingungen für die Universitäten wie z.B. neue Gegenstände der Forschung oder neue Methoden des Forschens, die die hergebrachten Fächergrenzen in Frage stellen, aber auch die knappen Haushaltsmittel machen es erforderlich, daß sich auch eine alte und renommierte Hochschule wie die Ruprecht-Karls-Universität in einem Akt der Selbstreflexion über ihre Ziele und Leistungen Klarheit zu verschaffen sucht und Rechenschaft über ihre derzeitige Position ablegt, um daraus Handlungsrichtlinien für die Zukunft abzuleiten. Das Ergebnis dieses Vorgehens sollte deutlich machen, wie sich Fächer oder Teildisziplinen in der jüngeren Vergangenheit entwickelt haben, welche Entwicklungspotentiale sie für die Zukunft erwarten lassen und mit welchen Maßnahmen diese Entwicklungslinien gefördert werden können. Es wird zugleich Strukturschwächen erkennen lassen, in einzelnen Bereichen vermutlich auch Rückstände im Vergleich zur internationalen Entwicklung.
Es gibt aber auch außeruniversitäre Gründe für das gewählte Vorgehen. Hier handelt es sich zum einen um die oben bereits schon zum Ausdruck gekommene Finanzknappheit des Landes, die sich für die Universität in drastischen Haushaltskürzungen niederschlägt und darüber hinaus zu einer stärker leistungsorientierten Verteilung der verfügbaren Forschungsmittel führt. Bei dem sich daraus ergebenden Wettbewerb zwischen den Hochschulen um Forschungsmittel, um Wissenschaftler und – längerfristig – um Studierende werden herausragende Forschungsprofile eine entscheidende Rolle spielen. Zum anderen behält die Universität mit der Selbstbesinnung ihre geistige Autonomie. Sie nutzt den ihr sich bietenden Gestaltungsspielraum und gewährleistet damit, daß die künftigen Entwicklungen nicht von einer ministeriellen Strukturkommission getroffen, sondern vom wissenschaftlichen Sachverstand ihrer eigenen Mitglieder und von den von ihnen formulierten Zielvorstellungen gelenkt werden.
Prof. Dr. Peter Ulmer
Rektor der Universität Heidelberg