Alkohol – nur ein Genußmittel?
Ein regelmäßiger, aber maßvoller Konsum von Alkohol, vor allem von Rotwein, so heißt es, könne der Entstehung von Herzkreislauf-Erkrankungen vorbeugen. Dem stehen die hinlänglich bekannten, gravierenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs gegenüber. In 15 europäischen Ländern nehmen die Einwohner pro Kopf jährlich durchschnittlich sieben Liter reinen Alkohol zu sich. Spitzenreiter sind die Deutschen mit 11,5 Litern pro Person. Mit der Jahresproduktion der deutschen Alkoholindustrie könnte man die Eneppetalsperre im Sauerland bis zur Überlaufgrenze füllen. Immerhin liegt die Eichmarke dort bei 12,6 Millionen Kubikmetern. Manfred V. Singer und Stephan Teyssen haben die Auswirkungen von Alkohol auf verschiedene Organe unseres Körpers untersucht und können „das Gläschen in Ehren“ nicht unbedenklich empfehlen.
Nach den Angaben der deutschen „Hauptstelle gegen die Suchtgefahren“ in Hamm ist Alkoholmiszlig;brauch zur führenden Suchtkrankheit geworden, mit steigender Tendenz vor allem bei Jugendlichen. Es gibt zur Zeit drei Millionen Alkoholabhängige und zehn Millionen Alkoholgeschädigte. Erkrankungen in Folge von Alkoholkonsum sind in Deutschland für etwa 40 000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich. Zum Vergleich, im Straßenverkehr werden pro Jahr „nur“ etwa 10 000 Personen getötet.
Akute und chronische Alkoholzufuhr bewirkt eine Reihe morphologischer, funktioneller und Stoffwechselveränderungen im menschlichen Organismus. Da Alkohol üblicherweise in Form von Spirituosen, Wein, Bier oder Aperitifs getrunken wird, muß zwischen der Wirkung der nichtalkoholischen Inhaltsstoffe und der von reinem Alkohol unterschieden werden, wenn man die Folgen des Alkoholkonsums untersucht. Die vorliegende Arbeit gibt eine aktuelle Übersicht über die Schäden, die beim Menschen durch akuten und chronischen Konsum alkoholischer Getränke im Magen-Darm-Trakt entstehen. Alkohol (i.e. Äthanol) schädigt durch seine hohe lokale Konzentration direkt die Schleimhaut von Mundhöhle und Speiseröhre und ruft eine Entzündung vor allem des unteren Teils der Speiseröhre hervor, die „Refluxösophagitis“. Die Patienten verspüren Sodbrennen, Wiederhochwürgen (Regurgitation) von Säure in den Mund und schmerzhafte Schluckbeschwerden. In schweren Fällen kann sich eine entzündungsbedingte Verengung der Speiseröhre bilden, die mitunter operativ behandelt werden muß. Pathophysiologisch sind folgende Mechanismen an der Entstehung einer Refluxösophagitis beteiligt: Neben der direkten Schleimhautschädigung hemmt Alkohol die regelmäßigen Kontraktionen, also die Beweglichkeit der Speiseröhre, und bewirkt ein Erschlaffen ihres unteren Schließmuskels, der eine Schutzbarriere vor dem Zurückfließen von Magensäure in die Speiseröhre darstellt. In der Folge fließt vermehrt Magensäure in die Speiseröhre zurück.Die Folgen: Krebs im Mund- und Rachenraum
Chronischer Alkoholmißbrauch führt zu einer deutlich erhöhten Rate bösartiger Tumoren in Mundhöhle, Kehlkopf, Rachen und Speiseröhre. Dabei besteht unabhängig von der Art des konsumierten alkoholischen Getränks eine Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen dem täglichen Alkoholkonsum und dem Risiko, an einem dieser Karzinome zu erkranken. So konnte kürzlich eine große Heidelberger Fallkontrollstudie zeigen, daß das Risiko, an einem Mundhöhlen- oder Kehlkopfkarzinom zu erkranken, bei einem täglichen Alkoholkonsum von 75 bis 100 Gramm um mehr als das 16fache und bei über 100 Gramm um das 19fache ansteigt. Die höchsten Risikowerte wurden für den Rachenkrebs gesehen. Für den Konsum von mehr als 100 Gramm Alkohol pro Tag wurde ein relatives Risiko von 210 geschätzt. Zieht man den krebserzeugenden Effekt des Tabakrauchs ab, ist das relative Risiko, an einer der genannten Krebsarten zu erkranken, immer noch deutlich erhöht, um das 13-, 14- beziehungsweise 125fache.
An der Entstehung bösartiger Tumoren in Mundhöhle und Speiseröhre sind eine Vielzahl von Mechanismen beteiligt: zum einen die chronische Entzündung der Speiseröhre, hervorgerufen durch den direkt toxischen Effekt des Äthanols in Verbindung mit dem Rückfluß von Magensäure. Außerdem wird die Schleimhaut anfälliger gegenüber toxischen Substanzen, die zur Bildung von Tumoren führen können, sogenannten Karzinogenen, wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Nitrosamine. Diese sind zum großen Teil in den verschieden alkoholischen Getränken in unterschiedlichen Konzentrationen enthalten oder werden aus Vorstufen, sogenannten Prokarzinogenen, in der Leber gebildet. Da Äthanol den Abbau der krebserzeugenden Substanzen hemmt, steigt deren Konzentration im Blut, und die Kontaktzeit der lokal wirkenden Substanzen mit der verletzlicheren Schleimhaut wird länger.
Auch an der Magenschleimhaut treten nach dem Genuß alkoholischer Getränke Veränderungen auf. Der kanadische Arzt William Beaumont beschrieb sie 1833 als erster bei seinem wegen einer Schußwunde behandelten Gastrostomiepatienten Alexis St. Martin. Er beobachtete reversible Erytheme, Erosionen und eine Sekretion von trübem, viskösem Sekret nach exzessivem Trinken von hochprozentigen Spirituosen, Wein und Bier.
Aufgrund unkontrollierter Untersuchungen ging man bis Ende der 1970er Jahre davon aus, daß der Alkoholgehalt (i.e. Äthanol) der alkoholischen Getränke die Magensäuresekretion stimuliert. In den meisten Studien wurde aber nicht die Magensäuresekretion, sondern nur die Magensaftproduktion gemessen. Auch fehlten die methodischen Voraussetzungen zur Titer-Bestimmung der Säurekonzentration. Mit Hilfe der sogenannten intragastralen Titrationsmethode wiesen wir und andere nach, daß die Wirkung von Äthanol auf die Magensäuresekretion konzentrationsabhängig ist. Niedrigprozentiges Äthanol (1,4 und 4 Prozent v/v) regt die Magensäuresekretion an. Wir sahen eine mäßige, aber signifikante Stimulation. Höherprozentige, reine Äthanollösungen von fünf bis zehn Volumenprozent haben keinen Effekt; 20- und 40prozentige Lösungen hemmen die Säuresekretion – allerdings nicht statistisch signifikant.
Welcher Stoff regt die Magensäuresekretion an?
Bis vor kurzem war nicht bekannt, wie die verschiedenen alkoholischen Getränke im einzelnen auf die Magensäuresekretion beim Menschen wirken. Systematische Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe zeigen, daß alkoholische Getränke, die durch Vergärung von Kohlenhydraten entstehen, wie Bier, Wein, Champagner und einige Aperitifs, zum Beispiel Sherry, die Magensäuresekretion nahezu maximal stimulieren. Weder der Alkoholgehalt dieser Getränke, noch die am Beispiel von Bier getesteten, bekannten nichtalkoholischen Inhaltsstoffe sind für diese starke stimulierende Wirkung verantwortlich. Am Beispiel von Bier und vergorener Glukoselösung als einfacherem Untersuchungsmodell wiesen wir nach, daß die stark magensäurestimulierenden Inhaltsstoffe beider Getränke während der alkoholischen Gärung durch die Hefezellen entstehen. Es handelt sich um nichtalkoholische, hitzeresistente und anionische Inhaltsstoffe mit einem Molekulargewicht von weniger als 700 Dalton. Jüngste vorläufige Ergebnisse zeigen, daß es niedermolekulare Säuren sind. Mediator dieser Stimulation ist höchstwahrscheinlich das Hormon Gastrin.
Alkoholische Getränke, die durch alkoholische Vergärung und anschließende Destillation entstehen, wie der Großteil der Aperitifs und hochprozentige Spirituosen, wie Whisky, Cognac, Wodka, Calvados Hors D`Age, Cles Des Ducs Armagnac, Pernod, Campari Bitter, Bacardi Superior, Gold Rum und Cointreau, stimulieren die Säuresekretion nicht. Untersuchungen mit destilliertem Bier und Sherry unterstreichen diese Beobachtung, da die magensäurestimulierenden Stoffe von Bier oder Sherry nicht in das Destillat übergehen, sondern im „Rückstand“ verbleiben und die Magensäuresekretion nach Gabe in den Magen nach wie vor nahezu maximal zu stimulieren vermögen. Die Ergebnisse zeigen, daß nur solche Alkoholika die Säuresekretion stark anregen, die nicht durch einen Destillationsprozeß, sondern durch einen alleinigen Vergärungsprozeß von Kohlenhydraten hergestellt werden.
Im Magen führt Äthanol akut zu einer Schwellung der Magenschleimhaut (Mukosaödem), zu Entzündungsreaktionen, zu Einblutungen (Hämorrhagien), zu Abschilferungen der Epithelzellen (Exfoliation) und zum Tod der Schleimhautzellen (Mukosaepithelien). Das Ergebnis stellt sich beim Menschen klinisch als eine akute, blutige alkoholische Magenschleimhautentzündung dar, als Gastritis. In bislang unveröffentlichten endoskopisch kontrollierten Untersuchungen an gesunden Probanden fanden wir, daß Trinken von 4-, 10-, und 40prozentigem (v/v) Äthanol innerhalb von 30 Minuten zu dosisabhängigen Erosionen der Magenschleimhaut führt. Alkoholische Getränke wie Bier, Wein und Whisky mit den entsprechenden Äthanolkonzentrationen bewirkten ebenfalls deutliche Schleimhautschädigungen, allerdings weniger ausgeprägt, als es den Äthanolkonzentrationen entspräche. Schleimhautschädigungen durch höhere Konzentrationen von Äthanol (über zehn Volumenprozent) oder durch Whisky benötigten zur Abheilung mehr als 24 Stunden. Möglicherweise ist die Ursache für die weniger ausgeprägte Schädigung nach dem Konsum von Bier, Wein und Whisky im Vergleich zu den entsprechenden Äthanolkonzentrationen darin zu suchen, daß bestimmte nichtalkoholische Inhaltsstoffe dieser Getränke eine protektive Wirkung haben.
Im Gegensatz zur akuten Gastritis besteht keine eindeutige Beziehung zwischen fortgesetztem chronischen Alkoholkonsum und anderen Magenerkrankungen. Ein vermehrtes Auftreten der chronisch-atrophischen Gastritis bei Alkoholikern ist nicht belegt. Auch ein direkter Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Entstehung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren konnte bisher in keiner epidemiologischen Studie sicher nachgewiesen werden.
Äthanol schädigt direkt die Schutzschicht der Magenschleimhaut
Ursächlich an der akut toxischen Wirkung von Äthanol auf die Magenschleimhaut ist, daß Äthanol ab einer Volumenkonzentration von acht bis 14 Prozent dosis- und einwirkungszeitabhängig direkt die Schicht schädigt, die die Magenschleimhaut vor Schadstoffen schützt, die „Mukosabarriere“ aus den Epithelzzellen und sogenannten „tight junctions“. Durch Alkohol wird diese Schutzschicht durchlässig, vor allem für die gewebetoxischen Wasserstoffionen, die nach Rückdiffusion in das Gewebe zum Zelltod führen können. Indirekt schädigt Äthanol die Magenschleimhaut durch die Aktivierung einer Entzündungskaskade, welche zur akuten Gastritis führen kann.
Die Frage, ob ein gesicherter Zusammenhang zwischen chronischem Alkoholkonsum und der Häufigkeit des Auftretens von Magenkrebs besteht, kann aufgrund der vorliegenden Datenlage verneint werden. Sowohl in früheren Untersuchungen als auch in einer neueren, großen prospektiven Studie an mehr als 8 000 Personen konnte unabhängig von der täglich konsumierten Alkoholmenge und unter Berücksichtigung des Alters und des Nikotinkonsums kein erhöhtes relatives Risiko für das Auftreten eines Magenkarzinoms gesehen werden. Die gesteigerte Zellregeneration nach akutem Alkoholkonsum scheint kein direkter, das heißt kein äthanolspezifischer Effekt zu sein, sondern ein sekundäres reaktives Phänomen nach alkoholbedingter Schleimhautschädigung im Magen-Darm-Trakt.
Pankreatitis: jahrelang täglich ein Liter Wein
Über die akute Wirkung von Alkoholika auf die Freisetzung von Verdauungsenzymen aus der Bauchspeicheldrüse ist wenig bekannt. Die bisher durchgeführten Untersuchungen über die Wirkung von in den Magen oder den Dünndarm appliziertem Äthanol auf die sogenannte exokrine Pankreassekretion erlauben keine einheitliche Schlußfolgerung. Äthanol scheint aber eher keinen oder einen hemmenden Effekt auf die Freisetzung der Verdauungsenzyme auszuüben. Ebenfalls gibt es nur wenige, zum Teil widersprüchliche Untersuchungen über die Wirkung alkoholischer Getränke. In eigenen systematisch und kontrolliert durchgeführten Untersuchungen beobachteten wir, daß getrunkenes Bier und vergorene Glukose (11,5 Gew.-Prozent), nicht aber deren Äthanolgehalt (vier Volumenprozent) die Pankreasenzymsekretion stimulieren und eine starke Freisetzung der im Magen und Darm wirksamen Hormone Gastrin und Cholezystokinin bewirken. Hieraus schließen wir, daß nichtalkoholische Inhaltsstoffe der Getränke für die Stimulation verantwortlich sein müssen, und daß das Hormon Cholezystokinin zumindest einer der Hauptmediatoren der exokrinen Pankreassekretion nach dem Trinken von Bier und vergorener Glukose ist.
Chronischer Alkoholmißbrauch ist in mehr als 70 Prozent der Fälle die Ursache der chronisch-kalzifizierenden Pankreatitis. Sie dokumentiert sich häufig als eine klinisch „akute“ Pankreatitis bei bereits morphologischen Zeichen einer chronischen Pankreatitis. Im Mittel nach 17 Jahren bei Männern und 10 Jahren bei Frauen kommt es zur klinischen Manifestation der chronischen Pankreatitis. Meist werden mehr als 80 Gramm Alkohol pro Tag getrunken, was etwa einem Liter Wein pro Tag entspricht. Nach den vorliegenden Untersuchungen ist für die Entwicklung der Pankreatitis nicht die Art des alkoholischen Getränks, sondern die absolute Alkoholmenge der entscheidende toxische Faktor, wobei eine lineare Korrelation zwischen dem Alkoholkonsum und dem relativen Erkrankungsrisiko besteht. Eine untere Schwellendosis läßt sich nicht nachweisen.
Ein entscheidender Mechanismus bei der Entstehung einer alkoholinduzierten chronischen Pankreatitis ist die durch den Alkoholkonsum induzierte Erhöhung der basalen, das heißt nicht durch eine Mahlzeit stimulierten Produktion von Verdauungsenzymen bei gleichzeitiger Erniedrigung der Wasser- und Bikarbonatsekretion. Hierdurch dickt das Pankreassekret ein. Es entwickeln sich Eiweißniederschläge in den kleinen Pankreasgängen, die mit der Zeit verkalken und schließlich die Gänge verstopfen. Für die Verkalkungen ist vor allem die verminderte Synthese des Proteinkomplexes „Lithostatin“ verantwortlich. Durch die Verlegung der kleinsten Ausführungsgänge wird eine chronische Entzündung des Organs in Gang gesetzt und unterhalten. Zusätzlich können aktivierte Verdauungsenzyme aus den Pankreasgängen in das Gewebe des Organs übertreten, da die Epithelzellen durch den Alkohol durchlässiger sind. Es kommt zur Entwicklung einer periduktalen Entzündung, zur Selbstverdauung von Teilen des Organs und zum bindegewebigen Umbau, zur Fibrose, die schließlich die gesamte Bauchspeicheldrüse erfassen kann.
Eine Assoziation zwischen chronischer Entzündung und Bauchspeicheldrüsenkrebs wurde schon seit den 50er Jahren beschrieben. In einer erst kürzlich publizierten Untersuchung konnte dieses erhöhte Risiko unabhängig vom Geschlecht des Patienten und der Region oder der Ätiologie der Pankreatitis gesehen werden. Trotzdem bleibt unklar, ob das Krebsrisiko für Patienten mit einer chronischen Pankreatitis durch Alkoholkonsum erhöht ist. Vorsichtige Interpretationen sowohl von tierexperimentellen Studien als auch von Fallstudien deuten darauf hin. Die Latenzzeit zwischen Diagnose der chronischen Entzündung und der Diagnose „Pankreaskarzinom“ betrug zwei bis zehn Jahre. Epidemiologisch kann bisher kein gesicherter direkter Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und dem Pankreaskarzinom gesehen werden.
Nährstoffmangel und fehlende Verdauungsenzyme
Bei den Ergebnissen aus tierexperimentellen Untersuchungen scheint diese Aussage nicht mehr so eindeutig negativ zu sein. Äthanol kann in bestimmten Tiermodellen in Verbindung mit einer hochkalorischen Diät die Krebsentstehung positiv beeinflussen. Basierend auf den bisher vorliegenden Daten kann zusammenfassend gefolgert werden, daß Äthanol nicht direkt, aber zumindest indirekt und möglicherweise über die Induktion einer chronischen Pankreatitis an der Pankreaskarzinogenese beteiligt ist.
Akuter Alkoholmißbrauch kann im Dünndarm eine Schädigung der Schleimhaut bewirken, den sogenannten Mukosaschaden, sichtbar an Schleimhautrötungen, Zellabschilferungen und kleinen subepithelialen Blutungen. Wie im Magen, werden diese Schädigungen sowohl über einen direkten äthanoltoxischen Effekt auf die Epithelzellen hervorgerufen als auch indirekt über die Auslösung eines Entzündungsprozesses vermittelt, der zu einer Durchblutungsstörung im Dünndarm führt.
Chronischer Alkoholmißbrauch führt häufig zu Durchfällen, Mangelernährung, Gewichtsverlust und zur Reduzierung der Dünndarmoberfläche (Atrophie). Im wesentlichen sind Mangelernährung und Gewichtsverlust bedingt durch eine verminderte Zufuhr von Nahrungsbestandteilen. Chronische Alkoholiker nehmen 50 Prozent der täglichen Kalorienzufuhr in Form von Äthanol auf, und alkoholischen Getränken mangelt es an wichtigen Nährstoffen. Die Diarrhoe ist durch eine ungenügende Aufnahme von Nahrungsbestandteilen aus dem Verdauungstrakt (Malabsorption), eine gesteigerte Flüssigkeitssekretion von Wasser und Elektrolyten und durch eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms bedingt. Ursache der Malabsorption ist die ungenügende Verdauung der Nahrung infolge Enzymmangels bei gleichzeitiger chronischer Pankreatitis. Die Diarrhoe wird weiterhin durch die äthanolinduzierte Stimulation der Darmperistaltik unterhalten. Die Atrophie der Dünndarmoberfläche wird durch einen direkt toxischen Effekt von Äthanol erklärt, da Alkohol die Erneuerung der Schleimhautzellen, den sogenannten „Enterozytenturnover“, im Dünndarm wahrscheinlich über eine Hemmung der Zellteilung (Mitosehemmung) reduziert.
Patienten mit chronischem Alkoholkonsum haben ein signifikant höheres Risiko, an einen Rektumkarzinom zu erkranken. Das Risiko ist im Vergleich zu der Krebsentstehung im Mund-Rachenraum klein (zwei bis vierfach). Ob bei chronischem Alkoholkonsum auch das Risiko, an einem Kolonkarzinom zu erkranken, erhöht ist, ist allerdings bis heute unklar.
Auch Rektumkarzinom bei chronischem Alkoholkonsum häufiger
Neueste Untersuchungen zeigen, daß Äthanol die Krebsentstehung neben einer Aktivierung des Metabolismus von Prokarzinogenen auch über lokale Mechanismen in der Rektumschleimhaut steigert. Verglichen mit Kontrollexperimenten ist bei chronisch äthanolgefütterten Tieren die Zellteilungsrate in der Rektumschleimhaut selektiv neben einer Expansion des proliferativen Anteils der Schleimhaut gesteigert. Folge der erhöhten Zellregeneration, die auch beim alkoholabhängigen Menschen nachgewiesen wurde, ist eine erhöhte Empfindlichkeit der rektalen Schleimhaut gegenüber chemischen Karzinogenen, vergleichbar der bei den Tumoren im Mund-Rachenraum. Neueste Untersuchungen unterstützen die Hypothese, daß der toxische Metabolit des Äthanols, das Acetaldehyd, an der Krebsentstehung beteiligt ist. Es konnte nachgewiesen werden, daß die Acetaldehydkonzentration in der Schleimhaut gut mit der Zahl der fäkalen Bakterien (= erhöhte bakterielle Produktion) und mit der Zellteilungsrate der Darmmukosa korreliert. Erhöhte Acetaldehydwerte konnten in Kulturen von enteralen Bakterien schon bei Alkoholkonzentrationen von 0,5 bis 2,0 Promille nachgewiesen werden, Werte, die auch bei sozialem Alkoholkonsum gesehen werden.
In den letzten Monaten wurde in der Presse die Frage diskutiert, ob mäßiger, chronischer Alkoholkonsum protektiv auf die Gesundheit des Menschen wirken kann. In verschiedenen epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen werden, daß ein leichter bis mäßiger regelmäßiger Alkoholkonsum (10 bis 70 Gramm Äthanol pro Tag) das relative Risiko einer koronaren Herzerkrankung um bis zu 45 Prozent reduzieren kann. Diese Beobachtung wurde auch als das „french paradox“ oder „european paradox“ bezeichnet, da vor allem bei der stark Rotwein trinkenden französischen Bevölkerung eine sehr niedrige Inzidenz der koronaren Herzerkrankung beobachtet wird, obwohl hinsichtlich des Fettkonsums, des Serumcholesterinspiegels, Blutdrucks und Nikotinkonsums keine epidemiologischen Unterschiede zu anderen Nationalitäten bestehen. Dieses Paradox wird speziell für Frankreich mit dem dortigen hohen Weinkonsum assoziert.
Die Frage, ob diätetische Faktoren oder der Alkoholkonsum verantwortlich sind für das „french paradox“, wurde in einer Analyse hinsichtlich der Korrelation zwischen Alkoholkonsum, Diät und Mortalitätsrate anhand der Daten von 21 Ländern für den Zeitraum von 1965 bis 1988 untersucht. Dabei zeigte sich, daß der Weinkonsum die höchste inverse Korrelation hinsichtlich der Inzidenz der koronaren Herzerkrankung hatte. Es bestand allerdings keine Korrelation mehr hinsichtlich des Weinkonsums und der Gesamtmortalitätsrate der Bevölkerung. Bier und Spirituosen zeigten nur eine geringe inverse Korrelation, wobei der leicht protektive Effekt von Bier und Spirituosen in anderen Studien nicht bestätigt werden konnte.
Im Rahmen der sogenannten „Framinghamstudie“ wurde die durch koronare Herzkrankheit bedingte Mortalität über 24 Jahre beobachtet. Es zeigte sich, daß leichter bis mäßiger Alkoholkonsum eine Senkung des koronaren Risikos bewirkte, wobei die Mortalität von Nichtrauchern unter der von Rauchern lag. Die niedrigste Mortalität konnte bei einem Alkoholkonsum von 100 bis 500 Gramm pro Woche gesehen werden. Eine Vielzahl weiterer prospektiver Untersuchungen unterstützen diese Ergebnisse, welche unabhängig vom Geschlecht und zusätzlichen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhtem Blutcholesterinspiegel und Nikotinabusus sind.
Zwangsläufig stellt sich die Frage, weshalb leichter bis mäßiger Alkoholkonsum und vor allem Rotwein Herzkreislauf-Erkrankungen entgegenwirkt? Hinsichtlich des Alkoholkonsums sind mehrere Mechanismen an der protektiven Wirkung beteiligt, auf die aus Verständnisgründen nur stichpunktartig eingegangen werden soll. Alkohol reduziert sowohl die Thrombozytenaggregation als auch den Fibrinogenplasmaspiegel und erhöht den „High-Density-Lipoprotein“ (HDL)-Serumspiegel und die fibrinolytische Aktivität; Mechanismen, die sämtlich kardioprotektiv wirken. Darüber hinaus senkt Alkohol den Lipoprotein(a)-Blutspiegel, einen weiteren Risikofaktor.
Hinsichtlich des Rotweinkonsums gibt es Hinweise, daß den phenolischen Inhaltsstoffen, vor allem dem Transresveratrol und Quercetin, die besonders konzentriert im Rotwein enthalten sind, eine besondere Rolle bei dieser kardioprotektiven Wirkung zukommt. Auch hier seien nur stichpunktartig die protektiven Mechanismen erwähnt. Die phenolischen Inhaltsstoffe des Weins beeinflussen den Arachidonstoffwechsel, sie stimulieren die Prostaglandinsynthese bei gleichzeitiger Hemmung der Thromboxansynthese. Phenole hemmen sowohl die durch Thrombin als auch durch Adenosindiphosphat (ADP) induzierte Thrombozytenaggregation. Sie senken die Sekretion an Apolipoprotein B und besitzen eine antioxidative Wirkung. Die phenolischen Inhaltsstoffe des Weins bewirken darüber hinaus eine Blutdrucksenkung über eine durch Stickstoffmonoxid (NO) vermittelte Gefäßerweiterung.
Phenole im Rotwein schützen vor Herzinfarkt
Der Alkoholgehalt des Weins und seine phenolischen Substanzen senken additiv das Risiko, an einem koronaren Herzleiden zu erkranken, wobei der hauptprotektive Effekt des (Rot)weins durch seine phenolischen Inhaltsstoffe hervorgerufen wird. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, daß vor allem Rotwein für das „french paradox“ verantwortlich ist, da die Konzentration an Phenolen im Rotwein besonders hoch ist.
In in-vivo Untersuchungen am Menschen konnte der spezifische anti-atherogenische Effekt des Rotweins daran nachgewiesen werden, daß Rotwein im Vergleich zum reinen Alkohol das „Low-Density-Lipoprotein“ (LDL)-Cholesterol und die Lipoprotein(a)-Konzentration im Serum senkt und zu einer erhöhten Membranfluidität führt.
Zusammenfassend zeigen die vorliegenden Ergebnisse, daß ein geringer bis mäßiger Rotweinkonsum das Risiko an einer kardiovaskulären Erkrankung senkt. Es muß aber dringend vor der Euphorie gewarnt werden, daß dadurch die Gesamtmortalität einer Bevölkerung überzeugend gesenkt werden kann. Dies könnte in einem kleinen, bisher aber nicht abzuschätzenden Umfang möglich sein. Sicher ist dagegen, daß der tägliche Konsum alkoholischer Getränke wie drei bis fünf Gläser Rotwein – entsprechend einer Mindestmenge von täglich 30 bis 50 Gramm Äthanol und mehr – ein großes Risiko birgt, eine der bekannten Folgeerkrankungen des chronischen Alkoholkonsums zu erleiden. Vor dem Hintergrund der gravierenden sozialmedizinischen Folgen eines chronischen Alkoholkonsums muß dringend davor gewarnt werden, den Alkoholkonsum zu verharmlosen und als „Prophylaxe“ einer kardiovaskulären Erkrankung zu propagieren.
Autoren:
Prof. Dr. Manfred V. Singer und Dr. Stephan Teyssen
IV.
Medizinische Klinik (Schwerpunkt Gastroenterologie), Fakultät für
Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg,
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