Aus der Stiftung Universität Heidelberg
Ruprecht-Karls-Preis 1998
Der Mensch entwickelt immer wieder neue Formen und Methoden, um die Welt zu verstehen, zu erfahren und zu nutzen. Er macht sich Bilder von seiner Welt, begreift sie in einer Sprache, organisiert ein Wirtschaftssystem zur Nutzung der Erde, nutzt die Gesetzmäßigkeiten der Natur und entwickelt eine Kultur des Helfens. Das sind die Themenbereiche, denen sich die Preisträger des Ruprecht-Karls-Preises 1998 zugewandt haben.
Dr. Angelika Berlejung stellt sich in ihrer Arbeit "Die Theologie der Bilder – Das Kultbild in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik" die Aufgabe, einerseits das Kultbild im alten Orient (Mesopotamien) für das erste Jahrtausend vor Christus darzustellen, zu analysieren und zu bewerten, andererseits die Bilderfeindlichkeit des Alten Testaments zu erklären und zu verstehen. Das Verhältnis von Bild und Gottheit scheint in beiden Kulturen ein grundlegend anderes: Auf der einen Seite eine Blüte von Handwerk, Herstellungs- und Renovierungsstil, Ritualen, Förderung durch Priester und Könige, andererseits – im Alten Testament – Zweifel an der Legitimität und Bedeutung von Gottesbildern im Kultus, der darauf zurückgeführt wird, daß die geistliche Weisung zum Anfertigen von Kultbildern fehle, diese deshalb nichtig seien.
Die Arbeit, die von Prof. Dr. Manfred Weippert betreut worden ist, wird von den Gutachtern als "großer Wurf" gewürdigt, der schon bald zum Standardwerk, ja zum Klassiker avancieren werde.
Die zweite Erlebensform ist die Sprache: Dr. Jochen Andreas Bär widmet sich in seiner Dissertation "Universalpoesie und Grammatischer Kosmopolitismus" den deutschen Frühromantikern, also der Phase europäischer Geistesgeschichte, in der die sprachliche Verfaßtheit nicht nur des Denkens, sondern darüber hinaus der menschlichen Existenz begriffen wird. "Universalpoesie" bezeichnet die Überzeugung, daß jede sprachliche Äußerung poetisch sei oder zumindest sein solle. "Grammatischer Kosmopolitismus" erinnert an die Idee eines intellektuellen Weltbürgertums durch Kenntnis fremder Sprachen, nach Auffassung der Frühromantiker damit zugleich Kenntnis fremder Denkarten oder Weltansichten. Diese beiden Grundgedanken werden anhand von 20 Autoren in der Zeit um 1800 entfaltet, entwickelt und belegt. Die Arbeit erreicht einen besonderen Höhepunkt in einem 180seitigen Wörterbuch-Anhang, in dem Begriffe wie Ironie, Poesie, Nation, klassisch und romantisch dargestellt, in Einzelwortmonographien verstanden und erklärt werden.
Ich sage in der Nüchternheit der wissenschaftlichen Begutachtung: Das Werk, linguistisch in der Methode, literaturwissenschaftlich im Gegenstand und Stil, fasziniert in der Kraft des Verstehens und Begreifens, in der Übersicht und Weite der Sprach-, Denk- und Stilkenntnisse, in der Diktion der Einzelwortmonographien, sie nimmt die thematische Weite seines Doktorvaters, des Linguisten Prof. Dr. Oskar Reichmann, auf.
Die dritte Arbeit handelt von der Kulturleistung der sozialen Marktwirtschaft. Die Dissertation von Dr. Olaf Hottinger "Eigeninteresse und individuelles Nutzenkalkül in der Theorie der Gesellschaft und Ökonomie" belegt die gestaltende Kraft philosophischen Denkens und eines bestimmten Menschenbildes für die Staats- und Gesellschaftsordnung, hier insbesondere das Wirtschaftssystem. Olaf Hottinger wählt sich drei Klassiker, Adam Smith, Jeramy Bentham und John Stuart Mill, um deren marktwirtschaftliche Theorien in einem gesellschaftstheoretischen und ethischen Kontext einzubinden und damit einen Beitrag zur gegenwärtigen – nicht erst seit Verleihung des diesjährigen Nobelpreises aktuellen – Debatte um die Wirtschaftsethik zu leisten.
Wir brauchen heute, nachdem der Sozialismus gescheitert ist und das Wirtschaftswesen sich in einer fast grenzenlos gewordenen und technisch nahezu beliebig erschließbaren Welt auch in unbekanntem Terrain bewähren muß, normative Maßstäbe, um die soziale Marktwirtschaft in ihren Grundprinzipien zu verdeutlichen und vielleicht auch neu zu justieren. Hier bietet die Arbeit Hottingers Grundlegendes, wenn sie am Beispiel dreier die moderne Ökonomik vorbereitender und bestimmender Lehren zeigt, daß zwischen dem Spezialisierungsgrad menschlicher Arbeitsteilung und dem Verlust des Gemeinsinns ein Zusammenhang besteht, daß jede Tendenz zur Individualisierung aufgefangen werden muß von Mechanismen, die Bindungen herstellen, daß das notwendige Plädoyer für die Selbstbestimmung des Menschen durch eine ethisch fundierte Aufgabenlehre des Staates kompensiert werden muß, daß jede Entscheidung für eine Wertfreiheit selbst a priori ein Werturteil darstellt.
Die Arbeit wurde von den beiden Gutachtern, dem betreuenden Doktorvater Prof. Dr. Malte Faber und dem Rektor Prof. Dr. Jürgen Siebke, als ein wesentlicher Beitrag zu den Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften gewürdigt, der sich durch hohe Originalität, gelungene Interdisziplinarität und eine überzeugende Gedankenführung auszeichnet.
Während in dieser wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit wirklichkeitsprägende Ideen analysiert und weitergebildet werden, handelt die strafrechtswissenschaftliche Arbeit von Dr. Daniel Weisert "Der Hilfeleistungsbegriff bei der Begünstigung" von der schon aus dem römischen Recht geläufigen Kategorie des Helfens, die aber bis in die Gegenwart noch nicht die Verläßlichkeit eines präzisen, Rechtsverbindlichkeiten überbringenden Tatbestands gewonnen hat.
Hilfe ist eine menschliche Tugend; wer helfen kann, ist fähig zur Freiheit und zur mitmenschlichen Begegnung. Wenn die Hilfe allerdings einer Straftat gilt, gerät der Helfende in den Sog des Unrechts und damit der Strafwürdigkeit. Daniel Weisert unternimmt es, diesen Tatbestand der Hilfe in seiner vielfältigen Bedeutung im Strafrecht zu klären. Der Tatbestand der Begünstigung, der Beihilfe, der unterlassenen Hilfeleistung, der Nachtathilfe in Form der Hehlerei, der Unterscheidung von Verwirklichungsstadien – Vorbereitung, Versuch, Vollendung – und verschiedener Beteiligungsformen (Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe) – werden in einem einheitlichen Tatbestand der "Interessenförderung", der Hilfe aus der Interessenlage des Empfängers zusammengefaßt. Dadurch gerät die Vielfalt der Einzeltatbestände in einen Sinnzusammenhang; es wird ein globales Einheitsdelikt entwickelt, das dann näher zu umgrenzen ist.
Der Autor greift damit – wie sein Doktorvater, Prof. Dr. Wilfried Küper, zu Recht hervorhebt – über seine eigentliche Themenstellung hinaus und leistet einen besonders verdienstvollen Beitrag, um eine Flut der Strafbarkeitserweiterung in der Mitte eines Kerntatbestandes zu zentrieren und damit einzudämmen.
Die beiden naturwissenschaftlichen Arbeiten suchen die Gesetzmäßigkeit der biologischen Existenz des Menschen aufzuspüren und zu verstehen. Dr. Kai Sohn hat über die "Molekulare Charakterisierung und funktionelle Analyse eines Coatomerbindenden Transmembranproteins der COPI-Transportvesikel" gearbeitet. In diesem Werk, das von den Fachleuten als Durchbruch auf dem Gebiet der molekularen Zellbiologie gefeiert wird, geht es um Transportmittel, die von Frachtproteinen unabhängig sind. Die wissenschaftliche Substanz dieses Vorhabens mag in einem vereinfachenden Vergleich erläutert werden:
Stellen Sie sich vor, heute abend trinkt der Doktorvater, Prof. Dr. Felix Wieland, zusammen mit Kai Sohn ein Glas Wein, um auf diesen schönen Erfolg anzustoßen. Beide machen sich bewußt, was diesem guten Schluck vorausgeht: Trauben werden geerntet und in der Kellerei zu Wein verarbeitet, der Wein sodann in einem Faß gelagert, in Flaschen abgefüllt, zum Verbraucher transportiert, dort geöffnet und zum Konsum angeboten. In ähnlicher Weise müssen wir uns den Ablauf in einer Zelle eines Lebewesens vorstellen. Statt Wein werden beispielsweise Hormone am Ort ihrer Produktion zum Versand verpackt, die Produktionsstätte nennt man "Golgi-Apparat", auch hier ist eine Verpackung notwendig, um einen sicheren Transport zum Verbraucher zu gewährleisten.
Der Verpackungsvorgang unterscheidet sich jedoch erheblich vom Abfüllen in Flaschen. Hier handelt es sich eher um ein Faß, das eine Ausstülpung bildet, die sich – mit Wein gefüllt – abschnürt und sodann als kleines Fäßchen verschickt wird. Das nennt man "Vesikel". In solchen Vesikeln werden vielerlei Substanzen in einer Zelle transportiert. Diesen Mechanismus der Vesikelbildung zu verstehen, ist nun das Anliegen von Kai Sohn. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das von ihm identifizierte und charakterisierte Membranprotein P 23.
Zu dem Umtrunk mit Dr. Sohn könnte man zugleich Dr. Mikael Simons wegen seiner thematisch nicht fern liegenden Arbeit einladen. Mikael Simons hat geschrieben über "Molekulare Mechanismen der Alzheimer Krankheit: Transport und Prozessierung des Amyloid Precursor Proteins (APP) in primären Hippocampus Neuronen". Wir kennen bereits aus einer früheren Preisverleihung die Arbeitsgruppe um seinen Doktorvater Prof. Dr. Konrad Beyreuther, die sich der Erforschung der Alzheimer Krankheit widmet. Nun hat Dr. Simons eine weitere preiswürdige Arbeit vorgelegt, die uns bewußt macht, daß die molekular-medizinische Erforschung der Alzheimer-Krankheit wesentliche Fortschritte macht. Wir dürfen deshalb diese wissenschaftlichen Arbeiten mit der Hoffnung begleiten, daß die gegenwärtige Ohnmacht gegenüber der Alzheimer Krankheit wissenschaftlichen Erkenntnissen und daraus folgend vorbeugenden und therapeutischen Ansätzen weichen wird.