Alte Viren, neue Krankheitsbilder
In letzter Zeit werden wir durch die Medien vermehrt mit Berichten über den erneuten Ausbruch von Cholera, Pest, hämorrhagischem Fieber und Infektionen mit Hanta- und Ebolaviren konfrontiert. Allein in den letzten zwei Jahren traten in Afrika 344 Ebola-Infektionen auf. Selbst in hochzivilisierten Industrieländern machen Virusinfektionen Schlagzeilen, wie das durch Hantaviren verursachte Lungenversagen in den USA seit Beginn der 90er Jahre. Ein Grund dafür ist, daß Viren ihr Erbgut verändern. Auch in Deutschland sind wir vor Virus-Epidemien nicht gefeit, Tiertransporte und Reisende können gefährliche Virusvarianten ins Land bringen. Gholamreza Darai, Virologe am Hygiene-Institut, deckt auf, was sich hinter den Schreckensmeldungen verbirgt.
Die erste Frage, die wir uns stellen, ist: Was sind das für Seuchen und woher kommen sie? Mancher mag denken, sie seien Erzeugnisse aus den Labors skrupelloser Wissenschaftler oder gar militärischen Ursprungs. Dabei bleibt die sogenannte genetische Variabilität der Erreger verborgen, die zusammen mit den ökosoziologischen und gesellschaftlichen Veränderungen dazu führt, daß im Grunde alte Erreger neue Krankheitsbilder hervorrufen. Wir sollten uns vergegenwärtigen, daß der Evolutionsprozeß – und damit auch die Evolution von Bakterien und Viren – gegenwärtig fortschreitet.
Die Entwicklung und Anwendung von Penicillin im Zweiten Weltkrieg und die flächendeckenden Impfungen gegen Infektionskrankheiten haben dazu geführt, daß kurz nach dem Krieg der Eindruck entstand, daß Infektionskrankheiten wie Pest, Cholera oder Pocken für alle Zeiten besiegt sein würden. Dieses trügerische Bild führte zu einer Fehleinschätzung der real existierenden Gefahren durch Infektionserreger mikrobiellen und viralen Ursprungs, so daß auch in manchen Universitätskliniken die Infektionsabteilungen Ende der 70er Jahre reduziert oder geschlossen wurden. Die weltweite Immunisierung gegen Pocken (Variola) durch die Weltgesundheitsorganisation und die darauf folgende Ausrottung dieses Virus nährte die Hoffnung, daß weitere virale Infektionskrankheiten in gleicher Weise dauerhaft bekämpft werden könnten.
Das spontane Aufteten des Humanen Immundefizienzvirus (HIV) als ätiologischem Agens der erworbenen Immunschwäche (AIDS) und die plötzliche Erscheinung eines hochpathogenen Hantavirus mit über 50 Prozent Letalität in den Vereinigten Staaten zu Beginn der 90er Jahre sowie das Wiederauftreten der Infektionen mit klinisch schwer beherrschbaren hämorrhagischen Fiebern durch Filoviren, zum Beispiel Ebolaviren in den letzten Jahren, belehrten uns eines besseren. Gesundheitspolitisch gesehen sind Virusinfektionen nach wie vor ein großes Problem im öffentlichen Gesundheitswesen. Abgesehen von Viruserkrankungen, die durch Arthropoden (Insekten) und Nagetiere übertragen werden, sterben jährlich weltweit über 20 Millionen Menschen an Virusinfektionen, davon 1,5 Millionen Kinder an Masern und etwa zwei Millionen Menschen an Hepatitis-B-Virusinfektionen.
Die Evolution schreitet fort – Viren verändern sich
Ein ganz eigenes Problem stellen dabei plötzlich auftretende Viruserkrankungen dar, die unter dem Begriff „emerging and re-emerging viruses“ eingruppiert werden, wie Hantaviren, Marburg- und Ebolavirus oder seit Mitte der 70er Jahre die HIV-Infektionen. Ohne Zweifel kommt dabei der starken genetischen Veränderbarkeit und dem daraus entspringenden großen Evolutionspotential vieler Viren eine besondere Bedeutung zu. Hohe Mutationsraten und die Fähigkeit zur Rekombination haben sicher wesentlich zur Vielzahl der heute bekannten Virusarten beigetragen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Anpassung des Erregers an einen neuen Wirt. Hierzu gehören unter anderem Virus-Zell-Wechselwirkungen auf den verschiedenen Stufen des Vermehrungszyklus, der Organtropismus sowie die virale Verteidigungsstrategie gegen Abwehrmechanismen des Wirts. Im folgenden werden wir die Aufmerksamkeit der Leser nur auf zwei Vertreter der „emerging viruses“ richten, auf Hantaviren und Filoviren, die hämorrhagisches Fieber verursachen. Kleinere Ausbrüche mit einer hohen Letalität werden zur Zeit aus Argentinien (Hantaviren) und aus Zentral- und Südafrika (Ebolavirus) gemeldet.
Ein in Ostasien und dem euroasiatischen Raum der früheren Sowjetunion sowie in Skandinavien schon seit Jahrzehnten bekanntes schweres hämorrhagisches Fieber mit Nierenversagen wird durch ein „Bunyavirus“, das Hantavirus, hervorgerufen. Die Hantaviren werden taxonomisch als „Genus Hantavirus“ in die Familie „Bunyaviridae“ eingeordnet. Sie besitzen wie die übrigen Mitglieder dieser Virusfamilie ein Negativ-Einzelstrang-RNA-Genom, welches aus drei Segmenten besteht. Das L-Segment kodiert für die virale Polymerase, das M-Segment für zwei virusspezifische Glykoproteine und das S-Segment kodiert für das virale Nukleokapsid-Strukturprotein.
Die Infektion wird vor allem durch Nager übertragen. Seroepidemiologische Studien an Menschen, Feldnagern, urbanen Ratten und Laborratten zeigen, daß die Hantaviren eine über die ganze Welt verbreitete Erregergruppe darstellen. Die Übertragung erfolgt durch Speichel, Urin und Fäces von infizierten Nagern. Risikogruppen in der Bevölkerung sind in erster Linie Personen, die sich viel im Freien aufhalten wie Angehörige der Streitkräfte, Waldarbeiter, Förster und Jäger, Feldarbeiter, Camper, Golfspieler, aber auch Labortierpfleger und Kanalarbeiter. Mensch-zu- Mensch-Übertragungen sind nicht bekannt. In unterschiedlichen geographischen Regionen wurden zahlreiche Hantavirusstämme isoliert, zwischen ihnen besteht durch Mutation und Rearrangement der RNA-Genome eine beträchtliche Antigen-Variabilität.
Hantavirus-Infektionen
Die Infektion mit den verschiedenen Virusvarianten schlägt sich vor allem in klinischen Verläufen unterschiedlichen Schweregrads nieder. So verläuft die in Europa durch Puumalaviren verursachte Nierenentzündung, „Nephropathia epidemica“, in der Regel milder als das in Asien, den Balkanländern, aber auch in Mitteleuropa durch „Hantaan“ ausgelöste Nierenversagen – mit einer Letalitätsrate zwischen fünf und 20 Prozent. Die durch Hantaviren hervorgerufenen Erkrankungen werden allgemein unter dem Begriff „hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom“ (HFRS) zusammengefaßt. Nach einer Inkubationszeit von fünf bis 35 Tagen beginnen die klinischen Manifestationen des HFRS meist abrupt mit hohem Fieber, das über drei bis vier Tage anhält. Unspezifische Allgemeinsymptome wie Schüttelfrost, Lichtscheue, Rötung des Rachens (Pharynxerythem), Husten und Augenbindehautentzündung (Konjunktivitis) stehen zunächst im Vordergrund. Nach drei bis sechs Tagen haben die meisten Patienten ausgeprägte Schmerzen im Lendenbereich (Lumbalgien), die auch auf einer Seite begrenzt auftreten und urologische Schmerzursachen vortäuschen können. Gelegentlich treten Schmerzen im Bauchbereich, Übelkeit und Erbrechen auf. Bereits während der Fieberphase beginnt der Anstieg der Nierenwerte. Etwa vier bis zehn Tage nach Fieberbeginn erreichen sie ihr Maximum, während die unspezifischen Allgemeinsymptome bereits wieder abgeklungen sind. Im Vordergrund der Symptomatik steht jetzt die Nierenmanifestation. Typisch ist eine verminderte Harnausscheidung (Oligurie), die sich bis zur dialysepflichtigen Niereninsuffizienz entwickeln kann. Der beim schweren HFRS im Anschluß an die Fieberphase meist auftretende Blutdruckabfall oder Schock fehlt in der Regel bei der Infektion durch den Serotyp Puumala. Eine Vermehrung der Harnmenge (Polyurie) ist Vorzeichen der Genesung. In Ländern mit schlechter medizinischer Infrastruktur, vor allem ohne ausreichende Dialyseeinrichtungen, führt die Hantavirus-induzierte Niereninsuffizienz häufig zum Tod der Patienten.
Zu Beginn der 50er Jahre, während des Koreakriegs 1951 -1953, erkrankten über 3000 amerikanische und koreanische Soldaten am Ufer des Hantaanflusses, nahe dem 38sten Breitengrad, der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea, an Nierenversagen, generalisierten Hämorrhagien und Schock. Die Letalität betrug 10-15 Prozent. Dieses Ereignis sowie dessen weitere Erforschung blieben zuerst unaufgeklärt, verhüllt durch das militärische Geheimhaltungsprinzip. Ein Vierteljahrhundert später, 1978, gelang es endlich Ho Wang Lee, die wahre Natur des Mysteriums zu enthüllen und das kausale Agens des koreanischen-hämorrhagischen Fiebers experimentell nachzuweisen. Er isolierte das Hantaan-Virus aus Lungengewebe der Brandmaus. Die Adaptation des Virus an einen speziellen Klon von Affennierenzellkulturen schuf die Voraussetzungen für die Charakterisierung des Hantaan-Virus. Es wurde dem neugeschaffenen Genus Hantavirus in der Familie Bunyaviridae zugeordnet.
Tabelle1: Die wichtigsten „emerging“ und „re-emerging“ viralen Infektionen(Virus-Familie) | (Natürliches Reservoire) | |
Hantavirus (Bunyaviridae) | Hämorrhagisches Fieber mit Renalem, bzw. Pulmonalem Syndrom | Weltweit: Asien, Europa, Nord- und Südamerika (Mäuse und Ratten; Nager) |
Marburg- und Ebola-Virus (Filoviridae) | Hämorrhagisches Fieber | Zentralafrika, Europa, Philippinen, USA, Südafrika (Affen?, Fledermäuse?) |
Lassa Virus (Arenaviridae) | Hämorrhagisches Fieber | Westafrika (Nager) |
Rift Valley Virus (Arboviridae) | Hämorrhagisches Fieber | Afrika (Moskitos) |
Hepatitis-C und GB-Virus (Flaviviridae) | Hepatitis, Leberzirrhose, Hepatozelluläres Karzinom | Weltweit (Affen?) |
Hepatitis E Virus (Caliciviridae) | Hepatitis | Asien, Indien (Meeresfrüchte, Fische?) |
Norwalkvirus (Caliciviridae) | Gastroenteritis | Weltweit: Amerika, Europa, Japan (?) |
Influenza Virus (Orthomyxoviridae) | Influenza | Weltweit (Geflügel und Schwein) |
Junin- und Machupo-Virus (Arenaviridae) | Hämorrhagisches Fieber | Argentinien, Bolivien (Nager) |
Gelbfieber Virus (Flaviviridae) | Fieber, Gelbsucht | Afrika, Südamerika (Moskito) |
Dengue Virus (Flaviviridae) | Hämorrhagisches Fieber | Asien, Afrika, Südamerika, Karibik (Moskito) |
HIV (Retroviridae) | AIDS | Weltweit (?) |
Hantaan | Nierenversagen; Hämorrhagisches Fieber mit Renalem Syndrom (HFRS) | Brandmaus (Apodemus agrarius) | Aisen, Balkan, Mitteleuropa |
Seoul | HFRS | Wanderratte (Rattus noervegicus | weltweit, urban |
Belgrad | HFRS | Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollus | Jugoslawien |
Puumala | Nierenversagen; Nephropathia Epidemica (NE) | Rötelmaus (Clethrionomys glareolus) | Europa |
Prospect Hill | Keine, Bluthochdruck? | Weißfußmaus (Microtus pennsylvanicus) | USA |
Four Corner | Lungenversagen; Hantavirus Pulmonary Syndrome (HPS) | Hirschmaus (Peromyscus maniculatus) | USA |
Der Serotyp „Puumala-Virus“ ist der Erreger der auch als „Nephropathia Epidemica“ bezeichneten, meist milder verlaufenden HFRS-Variante, die zwar auch zu Nierenversagen führen kann, aber dennoch mit einer geringeren Letalität verbunden ist. Aus epidemiologischen Studien geht hervor, daß auch die in Nordeuropa bereits Anfang des Jahrhunderts beschriebene „Nephropathia epidemica“ durch Hantaviren hervorgerufen wurde. Während des Zweiten Weltkriegs waren Tausende deutscher Soldaten in Finnland daran erkrankt. Historische Fallberichte machen es wahrscheinlich, daß es sich auch bei der im Ersten Weltkrieg beschriebenen „Feldnephritis“ (auch Kriegsnephritis) um eine Hantavirusinfektion gehandelt hat. Die ersten serologischen Untersuchungen in Europa deuten darauf hin, daß die Allgemeinbevölkerung zu einem beachtlichen Teil mit dem Virus in Kontakt kommt und daher Antikörper gegen Hantaviren aufweist.
Hantaviren sind weltweit verbreitet
Nach der Entdeckung der Hantaviren im Jahre 1978 wurde auch in den Vereinigten Staaten nach diesem Erreger extensiv gesucht und zwei Hantavirus-Serotypen identifiziert, „Prospect-Hill“- und „Leaky“-Virus bei Nagern. Spätere Untersuchungen zeigten, daß diese Viren bei Menschen keine für Hantaviren bekannten Krankheitsbilder hervorrufen. Ende der 80er Jahre vermutete man, daß das „Prospect-Hill-Virus“ als Ursache für manche chronischen Bluthochdruckerkrankungen verantwortlich sein kann. Es herrschte in Fachkreisen die Meinung, in den Vereinigten Staaten von Amerika existierten keine für den Menschen pathogenen Hantaviren. Damit stand die Erforschung der Virusgruppe nicht mehr im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses in den USA, und es gab auch keine Fördermittel mehr.
Kurz danach richtete sich das öffentliche Interesse in den USA auf eine Reihe von rätselhaften Erkrankungen, die 1993 in ländlichen Gebieten des Vierländerecks von Colorado, New Mexico, Utah, Arizona zuerst bei Navajo-Indianern auftraten. 94 Patienten waren zuerst an hohem Fieber, Schüttelfrost und Gelenkbeschwerden erkrankt. Im weiteren Krankheitsverlauf kamen akut unterschiedlich schwer verlaufende Wasseransammlungen in der Lunge (Ödeme) verbunden mit Kreislaufkrisen bis zum Schock hinzu. Die Mortalität der Erkrankung betrug über 50 Prozent. Verschiedene Universitäten und andere Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens leiteten Sofortmaßnahmen ein und versuchten, das verursachende Agens zu isolieren, was trotz kompetenter Studien zuerst scheiterte. Die Untersuchungen der Centers of Disease Control (CDC, Atlanta) schloß nur mögliche, bisher in den USA bekannte Mikroorganismen aus, die zu ähnlichen Krankheitsbildern führen, was die Wissenschaftler zu der Hypothese führte, man habe es hier mit einem neuen Erreger zu tun.
Die US-amerikanische Regierung stellte der CDC zur Aufklärung der Erkrankung sofort zehn Millionen Dollar zur Verfügung. Daraufhin starteten weitere umfassende Studien und Nachforschungen in verschiedenen Labors des Landes. Die Symptomatik der Patienten führte mehr und mehr zu der Überzeugung, es handele sich hier womöglich um eine Hantavirusinfektion, wobei es nicht ganz in das Bild paßte, daß lediglich ein Lungenödem und nicht wie sonst Nierenversagen auftrat. Schließlich fand man heraus, daß es sich tatsächlich um eine Hantavirusinfektion, verursacht durch eine neue Hantavirusvariante, handelte.
Das Virus hieß nach dem Ort des Auftretens zunächst „Four-Corner-Virus“. In der folgenden Zeit wurde es auch in anderen Regionen des Landes nachgewiesen und als „Convict-Creek“-, „Muerto-Canyon“-, „Black-Creek-Channel“-, „Lousiana“- und „Missouri“-Virus bezeichnet. Später folgte die genaue genetische Charakterisierung der Viren; aufgrund ihrer Identität faßte man sie unter dem Begriff „Virus-Sin-Nombre“ (Virus ohne Namen) zusammen. Die Hirschmaus wurde als hauptsächlicher Überträger identifiziert. Die immunhistochemischen Untersuchungen zeigten eine hohe Konzentration der Hantavirusantigene in Lungengefäßen, was die Pathophysiologie der neu hinzugekommenen Lungenbeteiligung erklärte. Die darauffolgenden molekulargenetischen Untersuchungen des viralen Genoms zeigten, daß überraschenderweise eine enge Verwandtschaft zwischen dem „Sin-Nombre-Virus“ und dem europäischen „Puumala-Virus“ besteht.
Erfolglose Erregersuche
Arbeiten aus einem unserer Forschungsprojekte haben wesentlich zur schnellen Identifizierung der neuen Virusvariante beigetragen. Zwischen 1987 und 1995 gelang es uns in einem Forschungsverbundprojekt, gefördert durch das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT), den Erreger der europäischen „Nephropathia Epidemica“, das „Puumala-Virus“, genetisch zu charakterisieren und in Zusammenarbeit mit der Firma Progen Biotechnik GmbH als Industriepartner einen Test zur Erkennung von Hantavirusinfektionen zu entwickeln. An dem Forschungsverbund waren außer dem Autor auch E.K.F. Bautz, Molekulare Genetik, Universität Heidelberg, L. Zöller, Ernst Rodenwaldt-Institut, Koblenz, und D. Krüger, Charité, Humboldt-Universität, Berlin, beteiligt. Hier wurde zum ersten Mal die sogenannte Polymerase-Kettenreaktion-Technologie zur Identifizierung und genetischen Charakterisierung des hantaviralen RNA-Genoms angewendet. Die in dem Projekt erhobenen genetischen Daten und die Entwicklung von neuen Technologien, um RNA-Viren zu erkennen, waren die Basis für die schnelle Identifizierung des „Sin-Nombre-Virus“ als Erreger des hantaviralen Lungenversagens durch die amerikanischen Kollegen.
Dieses Beispiel demonstriert, daß genetische Veränderungen bei alten, bekannten Erregern zur Entstehung neuer oder schwererer Krankheitsbilder führen können. Wie befürchtet und in Expertenkreisen nicht anders erwartet, hat die Erkrankung inzwischen von Nordamerika auf den südamerikanischen Subkontinent übergegriffen. Seit Oktober 1996 wird vom Auftreten von hämorrhagischem Fieber mit pulmonalem Syndrom in Argentinien (El Bolson, Rio Negro-Provinz) berichtet. Es handelt sich hierbei um eine Hantavirusinfektion, die wahrscheinlich durch eine neue Virusvariante verursacht wird. Inzwischen sind 17 gesicherte Erkrankungen gemeldet worden, von denen bisher neun tödlich verliefen (Letalität 53 Prozent, Stand: 13. Dezember 1996).
Bis 1967 hatten wir von der Existenz einer Gruppe von hochpathogenen Viren, die verheerende Hämorrhagien bei Menschen hervorrufen und später als sogenannte Filoviren bekannt wurden, keine Kenntnis. 1996 wurde das Marburgvirus als erstes Filovirus bei einem Ausbruch von hämorrhagischem Fieber isoliert, von dem etwa 30 Patienten in Deutschland und Jugoslawien betroffen waren. Aus Uganda importierte grüne Meerkatzen wurden als Infektionsquelle identifiziert. Auch 1975, 1980 und 1987 sind in Süd- und Ostafrika Marburgvirus-Infektionen aufgetreten.
Taxonomisch sind Marburgvirus und Ebolavirus Mitglieder der Familie „Filoviridae“. Infektionen mit ihnen zählen zu den gefährlichsten übertragbaren Erkrankungen beim Menschen. Sie gehören deshalb auch zu den wenigen bekannten Viren, die nur in einem Hochsicherheitslabor der höchsten Gefahrenstufe 4 gezüchtet werden können. Die Viruspartikel sind fadenförmig, im Vergleich zu anderen Viren sehr lang – bis zu 14 Mikrometer – und besitzen eine Lipidhülle, die das Nukleokapsid umgibt. Das Virusgenom besteht aus unsegmentierter, linearer, einzelsträngiger RNS mit negativer Polarität und gehört daher zur Gruppe „Mononegavirales“. Es kodiert für virale Proteine wie RNS-Polymerase, das Hauptnukleokapsidprotein und das Oberflächenglykoprotein.
Mit Heidelberger Hilfe Virus identifiziert
Ebolavirus-Infektionen beobachtete man zum ersten Mal 1976 im Sudan und in Zaire, wo es auch in den darauffolgenden Jahren zu weiteren Ausbrüchen kam. Eine für den Menschen wahrscheinlich nicht pathogene Form (“Ebola-Reston“) wurde 1989 in den USA bei Primaten entdeckt, die von den Philippinen stammten. Die Marburg- und Ebolaviren rufen beim Menschen schweres hämorrhagisches Fieber hervor, das in bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Die klinischen Symptome sind bei beiden Viren ähnlich. Nach einer Inkubationszeit von drei bis 16 Tagen bricht die Krankheit plötzlich mit Fieber, Kopfschmerz, Schüttelfrost, Übelkeit und Muskelschmerzen aus. Hinzu kommen Schwindel, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall. Die Infektion breitet sich über den gesamten Organismus aus, wobei Leber, Niere, Milz und Lunge besonders stark befallen sind. Bei der Mehrzahl der Patienten treten nach fünf bis sieben Tagen schwere hämorrhagische Erscheinungsbilder mit multiplen Blutungen auf. Am häufigsten betroffen sind der Magen-Darmtrakt, die Lunge und das Zahnfleisch. Schwere Schockzustände sind Vorboten des Todes, der im allgemeinen nach sieben bis 16 Tagen eintritt.
Ebola-und Marburgvirus kommen in Afrika endemisch vor. Durch Affenexport können die Viren in andere Länder gelangen. Bei den afrikanischen Ebolavirusausbrüchen wurde die Infektion in der Regel vom zuerst Erkrankten auf die nächsten Angehörigen übertragen. Nach der Einlieferung infizierter Patienten in ein Krankenhaus breitete sich die Krankheit dort meist massiv durch kontaminierte ärztliche Instrumente und direkten Blut- und Sekretkontakt aus. Filovirusinfektionen sind Anthropozoonosen, die Übertragung findet von Mensch zu Mensch, aber auch vom Tier auf den Menschen statt. Das natürliche Reservoir dieser Viren ist unbekannt, obwohl in Einzelfällen die Übertragung von Primaten (Grüne Meerkatzen, Schimpansen) auf den Menschen nachgewiesen wurde. Als Infektionsquelle werden auch Fledermäuse kontrovers diskutiert und sogar Pflanzenviren – ein sehr ungewöhnlicher Gedanke.
Marburg- und Ebola- Virus-Infektionen
1996 sind Ebolavirusinfektionen in Gabun und zum ersten Mal auch in Südafrika aufgetreten. Die Übertragung geschah von Mensch zu Mensch durch einen Arzt aus Gabun, der Ende Oktober nach Johannesburg, Südafrika, reiste, um sich im dortigen Hospital behandeln zu lassen. Eine Krankenschwester infizierte sich bei der Reinigung seines Venenkatheters. Sie erlag der Infektion Ende November. In Gabun hatte der Arzt wahrscheinlich während der Inkubationszeit (drei bis 21 Tage) mit mit Ebolavirus-infizierten Patienten in Kontakt gestanden. Insgesamt wurden 350 Kontaktpersonen registriert und 280 von ihnen für drei Wochen unter Beobachtung gestellt. Es ließ sich jedoch keine Infektion nachweisen. Weiterhin stellte man in Gabun seit dem fünften Oktober 1996 über 27 akute Ebolafälle gesichert fest, von denen 70 Prozent letal verliefen (19 Todesfälle). Das Virus wurde isoliert und wird zur Zeit im Virologischen Institut der Universität Marburg genetisch analysiert. Allein in den letzen beiden Jahren traten 344 der seit 1976 festgestellten insgesamt 982 Ebolavirusinfektionen in Afrika auf. Die ökosozialen und ökobiologischen Umwälzungen der letzten Jahre auf diesem Kontinent könnten als eine der Ursachen der bedenklichen Entwicklung gesehen werden.
Das Risiko, an einer Hantavirusinfektion zu erkranken, kann nur durch Vermeidung der Exposition gegenüber den Nagerwirten gemindert werden. Wie bereits erörtert, deuten die serologischen Untersuchungen in Deutschland und Europa darauf hin, daß die Allgemeinbevölkerung zu einem beachtlichen Teil mit dem Virus in Kontakt kommt und daher Antikörper gegen Hantaviren aufweist. Hantavirusepidemien können auch in Europa auftreten. Im letzten Jahr erkrankten über 330 Personen, in der Mehrzahl Soldaten in Bosnien-Herzegowina im Gebiet von Tuzla, an Hantavirusinfektionen mit einer Letalität von drei bis sechs Prozent. Deshalb ist ein effizientes System zur Diagnostik und Prophylaxe der Hantaviren notwendig. Das setzt umfassende epidemiologische Untersuchungen voraus, um die Rahmenbedingungen für die Entwicklung eines Impfstoffs festzulegen. In Anbetracht der Problematik und in Hinblick auf die wissenschaftliche und gesundheitspolitische Relevanz der Hanta- und Filovireninfektionen wäre die Förderung eines speziellen Forschungsvorhabens erforderlich, um den Prototyp eines für die klinische Erprobung ausgereiften Impfstoffs herzustellen. Es sollte hier darauf hingewiesen werden, daß sich die pharmazeutische Industrie heutzutage aufgrund noch nicht im Detail kalkulierbarer finanzieller Risiken nicht in der Lage sieht, sich an einem solchen Vorhaben aktiv zu beteiligen.
Die Möglichkeit, daß hochpathogene Hantavirusvarianten und andere „emerging viruses“ in Europa und in Deutschland auftreten, erfordert zwingend, auf diese Gefahr und die daraus folgenden notwendigen Gegenmaßnahmen hinzuweisen. Eine besonders schwierige Hürde, die zur Zeit der Entwicklung eines umfassenden Impfschutzes gegen Hantavirusinfektionen im Weg steht, ist die Vielzahl der vorherrschenden Virusvarianten. Um diese Hürde zu nehmen, sind weitere umfangreiche Untersuchungen nötig, die nur im Rahmen eines Forschungsschwerpunktes realisierbar sind. Die konzeptionelle Strategie für das Design und die Entwicklung einer effizienten Vakzine erfordert gezielte Förderprogramme des Staates.
Filoviren können jederzeit durch den Import infizierter Tiere sowie durch Reisende aus Endemiegebieten nach Europa eingeschleppt werden. Hier haben der Aufbau von entsprechenden Aufnahmestationen und die Ausbildung von geeignetem Personal sowie die Ausstattung entsprechender Forschungslabors erste Priorität. Leider muß festgestellt werden, daß die notwendige Infrastruktur in Deutschland seit der Ausrottung der Pockenviren unzureichend ist. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
Autor:
Professor Dr. Gholamreza Darai
Hygiene-Institut, Abteilung
Virologie, Im Neuenheimer Feld 324, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221)
56 30 08