Blick ins kalte Universum
Der Astronomie steht heute eine Reihe neuer Instrumente zur Verfügung, die der aktuellen Erforschung des Universums ihren Stempel aufdrücken. Einerseits Satelliten und Weltraumteleskope, die unbehindert von der irdischen Lufthülle kosmisches Röntgen-, Ultraviolett- und Infrarotlicht oberhalb der Atmosphäre erfassen, andererseits erdgebundene optische Teleskope der neuen Generation mit Öffnungen bis zu zehn Metern. Das Max-Planck-Institut für Astronomie ist sowohl vom Boden aus wie auch im Weltraum aktiv. Die Sternwarte auf dem Calar Alto in Andalusien, eine Außenstelle des Heidelberger Instituts, ist die größte Anlage dieser Art auf dem europäischen Festland. Das neueste extraterrestrische Engagement resultiert aus der Beteiligung an dem europäischen Infrarotsatelliten ISO. Hans Elsässer vom Max-Planck-Institut für Astronomie beschreibt, wie man mit „neuen Methoden Antworten auf alte Fragen“ bekommt.
Am 17. November letzten Jahres startete der europäische Astronomiesatellit ISO an der Spitze einer Ariane-4-Rakete in seine Umlaufbahn. ISO steht für „Infrared Space Observatory“, ein unbemanntes Observatorium, mit dem außerhalb der Erdatmosphäre die infrarote Strahlung kosmischer Objekte registriert werden soll. Alle Körper, ob in unserer Umgebung oder im Weltall, leuchten ihrer Temperatur entsprechend im für uns unsichtbaren Infrarot. Deshalb auch die Bezeichnung Wärmestrahlung. Astronomisch interessant sind vor allem kalte Quellen, die den üblichen Methoden verborgen bleiben und nur anhand ihrer längerwelligen Infrarotstrahlung zu fassen sind. Eine Infrarot-Sternwarte wie ISO öffnet also den Blick ins kalte Universum.
Der Satellit ist ungewöhnlich aufwendig und komplex. Herzstück ist ein Spiegelteleskop von 60 Zentimetern Durchmesser. Die von ihm aufgesammelte Strahlung wird von vier nachgeordneten, mit hochempfindlichen Infrarotdetektoren ausgestatteten Meßgeräten verarbeitet. Das Besondere ist nun, daß das Teleskop mit allem Drum und Dran in einer Art vier Meter hohen Thermosflasche, genauer: einem hohlwandigen Kühlschrank, steckt und nur durch eine enge Öffnung oben ins Weltall schauen kann. Das Innere des Satelliten wird so in extremer Kälte gehalten, während sein Äußeres immerhin ähnlich warm ist wie unsere Umgebung. Keinerlei vom Satelliten selbst stammende Störstrahlung kann dadurch das Teleskop blenden; dieses sieht außer dem kleinen Himmelsausschnitt nur kalte Innenwände. Außerdem müssen sich die Infrarotdetektoren auf tiefer Temperatur befinden, um ausreichend empfindlich zu sein. Als Kühlmittel sind in den Hohlwänden 2 300 Liter flüssiges Helium mit einer Temperatur von 1,8 Grad über dem absoluten Nullpunkt untergebracht; das entspricht -271 Grad Celsius. Davon dampfen ständig winzige Mengen in den Weltraum ab, halten dadurch einerseits die Kühlflüssigkeit auf konstanter Temperatur, begrenzen aber andererseits die Dauer der Mission. Nach den bisher gemessenen Verlustraten dürfte der Heliumvorrat in etwa 24 Monaten verbraucht und dann das Ende von ISO gekommen sein.
Es versteht sich von selbst, daß hier modernste Technologie nicht nur eingesetzt, sondern auch neu entwickelt werden mußte. Mit der Realisierung ist 1981 begonnen worden. Am Bau des Satelliten waren deutsche Firmen maßgeblich beteiligt. Die wissenschaftliche Instrumentierung lag in den Händen einer Reihe europäischer Forschungsinstitute. Zuverlässiges Funktionieren in extremer Kälte bei minimalem Leistungsaufwand im Milliwattbereich, um den Wärmehaushalt nicht zu belasten, hießen die harten Forderungen.
Für das Instrument zur Messung von Strahlungsflüssen bei einer Vielzahl von Wellenlängen, bis hin zum kurzwelligen Radiobereich, war das Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie mit Prof. Dietrich Lemke als Projektleiter verantwortlich. In Zusammenarbeit mit der Industrie ging es um die verbesserte Fertigung von Sensoren, kleinen Silizium- und Germaniumkristallen, die gezielt mit Fremdatomen „verunreinigt“ werden, und die elektronische Verarbeitung ihrer schwachen Signale. Für die Bewegung von optischen Komponenten wurden am Institut inzwischen patentierte reibungsfreie Antriebe entwickelt. Mit diesem Gerät erreicht man eine Empfindlichkeit, die alles Bisherige weit übertrifft. ISO könnte die Strahlung eines 3 000 Kilometer entfernten Schneeballs aufspüren und dessen Temperatur bestimmen.
Die ersten Wochen nach dem erfolgreichen Start wurden dazu benutzt, alle Funktionen des Satelliten in Betrieb zu nehmen und zu testen. Zur großen Erleichterung der Beteiligten läuft bisher alles wie erhofft. Jetzt werden die ersten Beobachtungsprogramme abgearbeitet. Auf die astronomischen Ziele komme ich noch zurück.
Während ISO das Feld zwischen dem Sichtbaren und den Radiowellen „beackert“, ist der Röntgenbereich am unteren Ende des elektromagnetischen Spektrums nicht minder aufschlußreich. Hier kommen ganz andere Seiten des kosmischen Geschehens zum Vorschein. Röntgenlicht entsteht in extrem heißen Gasen bei Temperaturen von Millionen und Milliarden Grad und ist ein Indiz für Prozesse hoher Energieumsetzung. Es hat aber noch größere Schwierigkeiten, die Erdatmosphäre zu durchqueren als das Infrarotlicht und bleibt bereits in Höhen zwischen 50 und 100 Kilometern vollständig stecken. Daher kann es nur von Raketen oder Satelliten aus erreicht werden.
Unser Wissen über das Röntgenuniversum ist in den letzten Jahren durch den Röntgensatelliten ROSAT erheblich erweitert worden. Dieses überwiegend deutsche Projekt steht unter der wissenschaftlichen Leitung von Joachim Trümper vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. Dort sind auch die experimentellen Grundlagen und das Konzept erarbeitet worden. ROSAT fliegt seit 1990, ist nach wie vor aktiv und um ein Vielfaches leistungsfähiger als seine Vorgänger. Röntgenlicht aufzusammeln und in einem Bild zu konzentrieren, verlangt wegen der kurzen Wellenlänge Methoden eigener Art. Lösungen dafür sind erst in neuerer Zeit gefunden worden. Die heute auch auf ROSAT eingesetzten Teleskope gehen auf den Kieler Physiker Hans Wolter zurück und nützen die Spiegelung an gekrümmten Flächen bei streifendem Einfall aus. Als Detektoren werden Meßgeräte eingesetzt, die aus der Kernphysik bekannt sind.
Eines der wichtigsten Ziele von ROSAT war, zum ersten Mal mit einem abbildenden Röntgenteleskop den Himmel abzusuchen. Dabei konnten 100 mal schwächere Quellen erfaßt werden als bei früheren Missionen. Entsprechend reich ist die Ausbeute, wie folgende Zahlen belegen: Die vorher umfangreichste Himmelsdurchmusterung eines amerikanischen Satelliten erbrachte 840 Quellen, die Gesamtzahl der von ROSAT registrierten und neuentdeckten liegt bei 60 000. Neben einer großen Zahl normaler Sterne der Milchstraße, die wie die Sonne relativ schwach strahlen, sind viele exotische, nur im Röntgenlicht sichtbare Objekte gefunden worden. Bei diesen Neutronensternen, den hochverdichteten Endprodukten der Sternentwicklung, ist die Masse eines normalen Sterns in einer Kugel von etwa 20 Kilometern Durchmesser konzentriert! Nicht weniger spektakulär sind die Überreste von 150 Supernovaausbrüchen an Stellen, wo vor Tausenden von Jahren sterbende Sterne explodierten und ausgedehnte, Millionen Grad heiße Gaswolken hinterließen. So konnte auch der Rest der letzten mit bloßem Auge sichtbaren Supernova, die durch Keplers Beobachtung im Jahre 1604 berühmt wurde, identifiziert werden. Kepler hat über ein Jahr lang die Helligkeitsentwicklung dieses „neuen Sterns“ – wie er ihn nannte – verfolgt und seine Position genau bestimmt. Die Hälfte der ROSAT-Quellen sind weit entfernte Galaxien, große Sternsysteme, die sich aber von den viel häufigeren Normalgalaxien, wie dem Milchstraßensystem, durch die stark überhöhte Energieabstrahlung ihrer Zentren unterscheiden. Man spricht deshalb von aktiven Galaxien und aktiven galaktischen Kernen. Derzeit ist ROSAT mit vielerlei Detailuntersuchungen der verschiedensten Quellen beschäftigt, unter Mitwirkung einer großen Zahl von Gastbeobachtern.
Die anhaltende Virulenz der Astronomie ist ohne Frage das Resultat der methodischen Erschließung des Strahlungsspektrums in voller Breite, vom Röntgen- und Gammabereich bis zu den längsten Radiowellen. Und alle diese Arten von Strahlung werden uns aus dem Kosmos zugeworfen, wie man heute weiß. Vorher war die Himmelskunde ausschließlich auf das sichtbare Licht und Beobachtungen vom Erdboden aus angewiesen. Dieser optische Spektralbereich hat indessen keineswegs an Bedeutung verloren, wie nicht zuletzt das Hubble-Weltraum-Teleskop demonstriert.
Am Boden ist für große Teleskope vor allem das Luftflimmern lästig. Auch kühle Nächte sind davon nicht frei. Die Folge ist ein Verlust an Bildschärfe, schwache Objekte heben sich nicht mehr deutlich vom Hintergrund ab und sind schließlich nicht mehr zu erkennen. Die Luftunruhe begrenzt so die Reichweite der Beobachtungen. Für das Projekt eines großen Teleskops im Weltraum sprachen jedoch noch andere gewichtige Gründe. Damit läßt sich nämlich auch ultraviolettes Licht erreichen, für dessen kurzwelligen Teil die Atmosphäre trotz des wachsenden Ozonlochs nach wie vor völlig undurchlässig ist.
Das weitgehend unter NASA-Regie entstandene Hubble-Weltraum-Teleskop hat eine pannenreiche Geschichte. Das voluminöse Instrument mit einem Hauptspiegel von 2,4 Metern Durchmesser wiegt mehr als 12 Tonnen. Nach schmerzhaften Verzögerungen war es 1986 startbereit, wegen der Challenger-Katastrophe und ihrer Folgen für das amerikanische Raumfahrtprogramm konnte es aber erst im April 1990 von Bord einer Raumfähre in 600 Kilometern Höhe ausgesetzt werden. Dann stellte sich allerdings ein schrecklicher Herstellungsfehler der Teleskopoptik heraus, der die Qualität der Beobachtungen stark beeinträchtigte, bis nach zweieinhalb Jahren eine abenteuerliche Reparaturmission unternommen wurde. Dazu war die Raumfähre Endeavour dem freifliegenden Teleskop auf den Leib gerückt. Mehrmals mußten dann Astronauten die Raumfähre verlassen und die mitgebrachte Korrekturoptik einsetzen. Seither funktioniert das Teleskop perfekt und liefert immer wieder in unseren Medien sensationell aufgemachte Bilder.
Die im Raum operierenden Observatorien spielen heute bei der Erforschung des Universums eine prägende Rolle, es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, die bodengebundenen Methoden seien dadurch bedeutungslos geworden. Im Gegenteil: Durch den Bau potenter Sternwarten ist die Stärke der erdgebundenen Astronomie in letzter Zeit weltweit beträchtlich gesteigert worden. Zwei Faktoren sind dafür maßgebend: Bodenhaftung kostet nur einen kleinen Bruchteil der Weltraumprojekte, diese nehmen sich deshalb in aller Regel nur solche Aufgaben vor, die vom Boden aus nicht zu lösen sind. Dafür sorgen kritische Programmkomitees. Darüber hinaus ist man im Raum, mindestens vorerst, in den Abmessungen beschränkt. Das Hubble-Teleskop war ursprünglich merklich größer geplant, mußte sich aber dann dem Zwang der Transportvehikel beugen. Erdgebunden kann dem Drang nach größeren strahlungssammelnden Flächen, sprich leistungsstärkeren Beobachtungsgeräten, eher nachgegeben werden.
Der Aufbau der Calar Alto-Sternwarte in Südspanien, einer Außenstelle des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Astronomie, mit Teleskopen bis zu 3,5 Metern Öffnung, hat der ganzen deutschen Astronomie starken Auftrieb verliehen und sie wieder an die Front der Forschung zurückgebracht. Auch andernorts gibt es Instrumente dieser Größenklasse. Mit neuen Technologiekonzepten wird jetzt eine weitere Steigerung auf acht bis zehn Meter angestrebt. Die Europäische Südsternwarte in Chile hat vier Acht-Meter-Teleskope im Bau, auf Hawaii ist vor kurzem das amerikanische Zehn-Meter-Keck-Teleskop in Betrieb gegangen. Die radioastronomischen Geräte mit ihren zum Teil enormen Dimensionen – eines der größten ist das Teleskop des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie mit einem Durchmesser von 100 Metern – sind noch stärker erdverhaftet, obwohl auch sie im Raum störungsfreier arbeiten könnten. Zusammenfassend kann man sagen: Ebenso wie die neu erschlossenen Spektralbereiche der Beobachtungen im Sichtbaren bedürfen, wenn ein umfassendes Bild der kosmischen Phänomene gewonnen werden soll, ergänzen sich auch die außerirdischen und erdverhafteten Aktivitäten mit ihren Vor- und Nachteilen gegenseitig.
Das Motto „Neue Methoden für alte Fragen“ charakterisiert die derzeitige Situation der Astronomie nur unvollständig. Ist es doch ein Wesenszug der Forschung, mit dem Einsatz neuer Methoden auch neue Fragestellungen zu öffnen. Gerade die Astronomie ist reich an Beispielen dieser Art. Es ist aber auch wahr, daß tiefgreifende Fragen von Bedeutung selbst über die Fachgrenzen hinaus in immer wieder anderer Gestalt die Zeiten überdauern. In diesem Sinne sei von „alten Problemen“ die Rede, denen mit neuen Methoden neue Lichter aufgesetzt werden können. Ein solches großes Thema fragt nach dem Ursprung der Sterne. Wann und wie sind sie entstanden? Ist die Herkunft der Sonne und der sie umkreisenden Planeten, einschließlich der Erde, zu verstehen? Diese Fragen beschäftigen die Menschheit, seit sie über die Natur nachdenkt, unser eigenes Woher ist davon berührt.
Heute weiß man, daß die meisten Sterne, wie unsere Sonne, Milliarden Jahre alt sind; es gibt aber auch keinen Zweifel daran, daß im Milchstraßensystem, in unserer näheren kosmischen Umgebung, ständig neue Sterne entstehen. Das geschieht durch Zusammenballung von interstellarer Materie, dem im Raum zwischen den vorhandenen Sternen dünn verteilten Medium aus Gasatomen, Molekülen und Staubteilchen. Es gibt Hunderte von Sternentstehungsnestern längs des Milchstraßenbandes. Dort, wo selbst mit bloßem Auge die dunklen lichtverschluckenden Wolken dieses Mediums zu sehen sind, trifft man mit großer Wahrscheinlichkeit auf junge oder gerade entstehende Sterne. Ihre Existenz beginnt im extrem Kalten, die Temperatur der interstellaren Materie liegt dicht am absoluten Nullpunkt. Diese Einsichten sind nicht zuletzt Infrarotmessungen vom Boden aus durch die wenigen, auch nicht ganz sauberen atmosphärischen Fenster dieses Spektralbereichs zu verdanken.
Für ISO wird die Sternentstehung und ihre Begleiterscheinungen ein Schwerpunkt der Aktivitäten sein. Interstellare Wolken stürzen unter der Wirkung ihrer eigenen Schwerkraft in sich zusammen. In aller Regel spielt Rotation mit, so daß es schließlich zur Ausformung einer flachen, sich drehenden Scheibe mit zentraler Verdickung kommt, dem zukünftigen Stern. Es gibt bereits eine Reihe von Beobachtungshinweisen auf dieses Frühstadium. ISO wird besonders diese diskusartigen Strukturen aufs Korn nehmen, vermutlich die Vorläufer von Planetensystemen. Genaueres über deren Häufigkeit und Eigenschaften, wie Ausdehnung, Masse und dergleichen, auch über ihre weitere Entwicklung, zu erfahren, steht jetzt an. Da sie im extremen Infrarot leuchten, ist ISO dafür besonders geeignet.
Die Sonne und ihr Planetensystem werden sich vor zirka fünf Milliarden Jahren in diesem Zustand befunden haben. Ein Relikt dieser Zeit ist allem Anschein nach die den äußersten Rand unseres Systems markierende Kometenwolke, bestehend aus Abertausenden lockergebauter staubverschmutzter Schneebälle. Hin und wieder verirrt sich einer davon in unsere Nähe und wird dann unter dem Einfluß des Sonnenlichtes zum Schweifstern. Über diese Wolke aus kaltem Urmaterial ist wenig bekannt, durch ISO werden wir sicher Neues erfahren. Die Planeten anderer Sterne werden hingegen mit ISO nicht direkt zu sehen sein. Ihre Infrarotstrahlung wäre zwar intensiv genug, das relativ kleine Teleskop reicht aber nicht aus, um einen planetaren Lichtpunkt vom Zentralstern zu trennen. Wir werden also vorerst weiterhin auf die indirekten Nachweise vertrauen müssen, die gerade in jüngster Zeit solche Furore machen.
Es sei noch eine andere Thematik angesprochen, wo wir wieder nebeneinander alten und neuen Fragen begegnen. Die Galaxien, die großen Sternsysteme, ähnlich dem Milchstraßensystem in der Regel Milliarden von Sternen umfassend, bevölkern den Kosmos bis in die größten überblickbaren Distanzen. Bei neueren Himmelsdurchmusterungen sind weit über 100 Millionen registriert worden. In einem Himmelsfeld von der Größe der Mondscheibe stößt man auf mehrere Tausend. Mit bloßem Auge können wir gerade eine – den rund zwei Millionen Lichtjahre entfernten Spiralnebel im Sternbild Andromeda – als kleinen, blaß schimmernden Fleck erkennen.
Sie sind nicht gleichmäßig im Raum verteilt, sondern stehen in kleinen Gruppen oder auch großen Haufen mit Tausenden von Mitgliedern zusammen. So gehört auch unsere Milchstraße gemeinsam mit der Andromedagalaxie und weiteren 30 kleineren Systemen zu der sogenannten Lokalen Gruppe, die ihrerseits an einem reichen Haufen mit seinem 70 Millionen Lichtjahre entfernten Kern im Sternbild Jungfrau hängt. Innerhalb dieser Konzentrationen schwirren die Galaxien, einem Mückenschwarm ähnlich, ungeordnet durcheinander um den gemeinsamen Haufenschwerpunkt. Typische Geschwindigkeiten reichen, je nach Größe der Gruppierung, von 100 bis 1000 Kilometern pro Sekunde. Sie sind an den Linienverschiebungen im Spektrum der Galaxien zu erkennen.
Die einzelnen Systeme werden durch die von allen übrigen gemeinsam ausgehende Schwereanziehung im Verband gehalten. Die gravitative Gesamtmasse der Gruppierung steht also im Gleichgewicht zu der Bewegungsenergie des Einzelmitglieds, andernfalls würde der Haufen in sich zusammenstürzen oder auseinanderfliegen. Aus den beobachteten Geschwindigkeiten kann deshalb auf die im Haufen vereinigte Materiemenge geschlossen werden. Andererseits kennt man die Anzahl der einzelnen Galaxien und ihre ungefähren Massen, durch Aufsummieren läßt sich also auf einem zweiten Weg die Masse des ganzen Haufens ableiten.
Überraschenderweise weichen die beiden Resultate stark voneinander ab. In den derzeit gut untersuchten Fällen ist die aus der Schwereanziehung folgende Haufenmasse weit größer als die aus der Galaxienzahl bestimmte, um das 10- bis 100fache. Es muß also eine große Menge gravitierender Materie geben, die bei der Galaxienbilanz unberücksichtigt bleibt.
Ein Teil des Problems ist durch den Röntgensatelliten ROSAT gelöst worden. Er hat festgestellt, daß die Galaxienhaufen in riesige 10 bis 100 Millionen Grad heiße Gaswolken eingebettet sind. Dieses Gas ist bei nahen Begegnungen und auch Zusammenstößen der durcheinanderfliegenden Galaxien aus diesen herausgefegt und aufgeheizt worden, bleibt aber in den Haufen gravitativ gefangen. Weiteres fällt von außen ein. Insgesamt enthalten diese Wolken ein Mehrfaches der in den Galaxien konzentrierten Masse. Trotzdem ist aber die Diskrepanz zu der Schwerkraftmasse nicht beseitigt; es fehlt immer noch der größere Teil.
Das könnte an den Galaxien liegen. Schon seit längerem gibt es Hinweise, daß sie von ausgedehnten Halos dunkler, unsichtbarer Materie umgeben sind. Diese bleiben unberücksichtigt, wenn man die Galaxienmasse aus der Helligkeit, sprich der Summe ihres Sternenlichts, ermittelt. Es ist also zu vermuten, daß die Galaxien in Wirklichkeit viel größer sind und weit mehr Materie enthalten als bisher angenommen. Um welche Art von Materie es sich dabei handelt, ist bis heute völlig unklar. Vielleicht sind es unzählige kalte, jupiterähnliche Körper von weniger als einem Zehntel Sonnenmasse, die nicht ausreicht, die energieerzeugenden Kernprozesse in ihrem Innern zu zünden. Es wären sozusagen verhinderte Sterne. Ob es diese „braunen Zwerge“ wirklich gibt, ist bisher nicht restlos geklärt. Auf den ISO-Satelliten wartet hier eine wichtige Aufgabe. Er wird versuchen, die vermuteten Galaxienhalos im fernen Infrarot zu beobachten.
Ganz andere Argumente plädieren hingegen für exotische Elementarteilchen, Überbleibsel des Urknalls, die selbst den Hochenergiephysikern bisher unbekannt sind. Die dunkle Materie ist heute eines der brennendsten astronomischen Probleme – mit frustrierenden Aspekten. Es signalisiert möglicherweise, daß der überwiegende materielle Gehalt des Universums sich unserem Zugriff entzieht. Die leuchtende Materie, in welcher Form auch immer sie in den verschiedenen Spektralbereichen aufscheint, wäre dann nur der sichtbare Zuckerguß auf einem direkt nicht faßbaren Kuchen. Das Problem hat aber noch eine ganz andere Dimension, und hier berühren wir eine alte Frage der Kosmologie, nämlich die nach der mittleren Materiedichte im Weltall. Man weiß bis heute nicht, ob das Universum sich auf Dauer ausdehnt, ob die allseitige Expansion des Raums in ferner Zukunft zum Stillstand kommt oder gar in Kontraktion umschlagen wird. Die vorhandene Materie wirkt durch ihre Schwerkraft auf das großräumige Auseinandertreiben als Bremse, die um so stärker greift, je mehr Masse das Weltall umschließt. Ein hoher Anteil dunkler Materie wäre ein wichtiger Bilanzposten, und deshalb sind die Massenbestimmungen an Galaxienhaufen von so grundsätzlicher Bedeutung.
Nun zeichnet sich neuerdings ein ganz anderer Weg ab, darüber Auskunft zu erhalten. Die Galaxienhaufen wirken nämlich als Gravitationslinsen, damit ist gemeint, daß das Licht von Quellen des Hintergrunds im Schwerefeld eines Haufens abgelenkt wird, um so stärker je dichter die Strahlen am Haufenzentrum vorbeilaufen und je mehr Masse dort konzentriert ist. Durch eine solche Linse im Vordergrund wird das Bild einer weiter entfernten Galaxie verzerrt, es erscheint verkrümmt oder als langgestreckter Bogen, manchmal auch als geschlossener Ring um das ablenkende Zentrum, wenn Hintergrundsgalaxie, Linse und Beobachter genau auf einer Linie liegen. Solche Strukturen sind zuerst bei Beobachtungen vom Boden aus aufgefallen, seit kurzem gibt es jedoch Aufnahmen mit dem Hubble-Weltraum-Teleskop, die das Phänomen in nicht zu übertreffender Deutlichkeit und Schärfe zeigen. Die Bogenkrümmung beziehungsweise der Ringdurchmesser hängen vor allem von der Masse der Gravitationslinse, sprich des beugenden Galaxienhaufens, ab. Diese ist bisher in einigen wenigen Fällen ermittelt worden, mit der Tendenz, die früher erwähnten hohen Werte zu bestätigen. Das reicht aber noch nicht, um die mittlere kosmische Materiedichte zuverlässig angeben zu können, insbesondere nicht, ob diese den kritischen Wert erreicht, der das schließliche Anhalten der universellen Expansion erwarten läßt.Die Astronomie ist eine teure Wissenschaft geworden. Man kann gewiß darüber streiten, ob es sich lohnt, in einen Infrarotsatelliten eine Milliarde Mark zu investieren oder für das Hubble-Weltraum-Teleskop, einschließlich der nötigen Rettungsaktionen, mehrere Milliarden Dollar auszugeben. Das sind alles andere als Peanuts. In Relation zu den gesamten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, die in Deutschland nicht mehr als 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, bei fallender Tendenz, sind diese Summen allerdings weniger erschreckend. Natürlich ist das Interesse an der Astronomie nicht der alleinige Motor für solche Projekte. Hier sind Organisationen am Werk, im Fall von ISO die europäische Raumfahrtagentur ESA und die DARA, ihr deutsches Pendant, die sich auch für die einschlägige Industrie mit ihren Tausenden von Arbeitsplätzen verantwortlich fühlen. Bei uns werden heute ständig technologische Innovationen zur Sicherung des Standorts Deutschland beschworen. Vielleicht ist deutlich geworden, daß die astronomischen Projekte ihr Scherflein dazu beitragen. Weniger durch den derzeit gebetsmühlenhaft geforderten Technologietransfer von der Wissenschaft zur Wirtschaft, sondern vielmehr durch Aufgabenstellungen an die Industrie, die in Neuland führen. Leider wird diese Rolle der Forschung, nämlich für ihre Bedürfnisse und Träume von der Technik extreme Lösungen einzufordern und so neue Entwicklungen anzustoßen, in der öffentlichen Diskussion immer wieder übersehen.
Die Astronomen betrachten es indessen nicht als ihre Aufgabe, neue Produkte zu entwickeln, freuen sich jedoch, wenn durch sie Neues angeregt wird und wirtschaftliche Erfolge zeitigt. Ihnen geht es vielmehr um Erkenntnisgewinn, sie wollen das Universum besser verstehen lernen und so menschliches Wissen erweitern. Auch für Astronomen gilt, was der Präsident des MIT, eines der renommierten amerikanischen Forschungszentren, kürzlich in seinem Jahresbericht so formuliert hat: Die Suche nach dem Unbekannten birgt den größten Lohn für die Gesellschaft.
Autor:
Prof. Dr. Hans Elsässer, Max-Planck-Institut für Astronomie, Königstuhl 17, 69117 Heidelberg,
Telefon (06221) 52 82 01