Kurzberichte junger Forscher
Schmerzfreie Kariesbehandlung
Wie lange dauert eine Pikosekunde? Eine Pikosekunde verhält sich zu einer Sekunde etwa so, wie die Dicke dieses Blattes Papier zum Umfang unserer Erdkugel. Oder in Zahlen ausgedrückt: 1 Pikosekunde = 0,000 000 000 001 Sekunden. Seit einigen Jahren untersucht unsere Arbeitsgruppe am Institut für Angewandte Physik Wechselwirkungsprozesse zwischen Laserlicht und Materie, vor allem zwischen ultrakurzen Lichtpulsen und biologischem Gewebe. Der Begriff „Wechselwirkung“ beinhaltet bereits, daß eine gegenseitige Aktion und Reaktion zwischen Licht und Materie stattfindet. Licht kann durch das Vorhandensein von Materie absorbiert, gestreut, reflektiert oder gebrochen werden. Materie kann durch die Einwirkung von Licht erwärmt, ionisiert oder – in Gegenwart von sogenannten „Photosensitizern“ – photochemisch verändert werden.
Die letzten drei Prozesse spielen in der modernen Lasermedizin eine sehr entscheidende Rolle: Den wichtigsten Effekt der thermischen Wechselwirkung stellt die Gewebekoagulation dar, welche unter anderem bei Netzhautablösungen und speziellen Tumorerkrankungen zum Einsatz kommt. Ionisierende Prozesse finden zunehmende Bedeutung in der „minimal-invasiven Medizin“, deren Ziel es ist, chirurgische Eingriffe so winzig und so schonend wie möglich vorzunehmen. Zum Beispiel kann durch Laserbehandlung beim Grünen Star, durch das „Einbrennen“ von zusätzlichen Abflußkanälen der Augeninnendruck ohne mechanisch-chirurgische Eingriffe effektiv gesenkt werden.
Photochemische Wechselwirkungen liegen der sogenannten photodynamischen Therapie zugrunde. Hierbei werden dem Gewebe Katalysatoren in Form von Photosensitizern zugefügt, welche bei Einstrahlung von Licht mit einer bestimmten Wellenlänge wohldefinierte Reaktionen – wie zum Beispiel den Zelltod – auslösen können. Bei einer entsprechenden Anreicherung dieser Photosensitizer im Tumorgewebe läßt sich letzteres gezielt zerstören.
Mit extrem kurzen Lichtpulsen – wie den eingangs erwähnten Pikosekunden – kann man Gewebe abtragen, ohne daß es thermisch geschädigt wird. Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber manchen konventionellen Therapieverfahren zum Beispiel in der Karies-Behandlung, eine interessante Anwendung, die wir seit kurzem in unserem Institut untersuchen. Der beim Zahnarzt verspürte Schmerz resultiert zum einen aus den Vibrationen des Bohrers und zum anderen aus der durch die Reibung induzierten Temperaturerhöhung in der Zahnpulpa, wo sich die Schmerzrezeptoren befinden. Viele Lasertypen würden aufgrund ihrer zu langen Pulsdauer und der damit verbundenen Wärmeentwicklung ein ähnliches Schmerzgefühl hervorrufen. Fokussiert man dagegen Pikosekunden-Laserpulse mit hinreichender Energie auf die Zahnoberfläche, bildet sich dort ein lokales Mikroplasma aus, welches ebenfalls Hartsubstanz vom Zahn ablösen kann, allerdings ohne die Temperatur signifikant zu erhöhen. Bei einer entsprechenden Abrasterung lassen sich mit dem Laserstrahl sehr präzise Hohlräume schaffen, die unter dem Elektronenmikroskop betrachtet durchaus vergleichbar oder gar qualitativ besser sind als bei einer mechanischen Turbine. Die Wände der Höhlungen zeigen eine glasartig versiegelte Struktur, die erneute Kariesbildung erschwert. Der Zahn selbst weist nach der Laserbehandlung keine Defekte auf. Das belegen Mikroskopbilder, bei denen dünne Zahnschliffe in polarisiertem Licht aufgenommen wurden.
Ob und unter welchen Bedingungen der Lasereinsatz für eine klinische Anwendung wie in der Zahnheilkunde möglich erscheint, ist heute leider oft von finanziellen Randbedingungen abhängig, selbst wenn der Laser die Therapie qualitativ gegenüber konventionellen Methoden verbessert. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist die Kosten-Nutzen-Analyse des zu verwendenden Systems. Ein technisch sehr aufwendiges Gerät könnte leicht den Rahmen des finanziell Vertretbaren sprengen und wäre somit für den alltäglichen Praxiseinsatz ungeeignet. Ein Pikosekundenlaser verursacht etwa die zwei- bis dreifachen Anschaffungskosten einer herkömmlichen Zahnarztbohrstation. Ob diese Mehrkosten von den Krankenkassen bezahlt werden können und sollten, ist mehr als fraglich.
Letztendlich wird jedoch die Qualität der Behandlung über den Einsatz eines neuen medizinischen Geräts entscheiden. Und hierzu zählt nicht nur die Qualität der Zahnbohrlöcher an sich – sie ist nur eine notwendige Bedingung –, hier müssen auch die Begleitumstände einer Operation mit einbezogen werden. Und: Wer würde denn nicht die weitgehend schmerzfreie Laserbehandlung einer konventionellen Behandlung mit Betäubungsspritze vorziehen, die möglicherweise Komplikationen, sicherlich aber über mehrere Stunden hinweg ein unangenehmes Gefühl verursacht.
Neueste Untersuchungen haben zudem ergeben, daß eine spektroskopische Analyse des bläulichen Plasmafunkens des Lasers Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der jeweiligen Zahnregion erlaubt. Damit könnte in naher Zukunft eine rechnergesteuerte Echtzeitkontrolle erfolgen, die dem behandelnden Zahnarzt mitteilt, wann die Karies vollständig beseitigt ist. Mit diesem Verfahren wäre im Sinne der minimal-invasiven Medizin eine deutliche Minimierung der abzutragenden Volumina denkbar, wodurch Mehrfachbehandlungen an demselben Zahn möglich werden, ohne daß gleich eine Zahnkrone oder Brücke erforderlich wird. Dieser weitere Pluspunkt könnte darüber entscheiden, ob der Laser eines Tages vielleicht doch Einzug in die Zahnarztpraxis halten wird.
Dr. Markolf Niemz, Institut für Angewandte Physik, erhielt 1995 für seine Forschung den Karl-Freudenberg-Preis der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
Gesetze in Natur und Menschenwelt
Die Natur als eine gesetzmäßige Ordnung zu beschreiben, ist keine Selbstverständlichkeit. Es handelt sich hierbei vielmehr um ein Spezifikum unserer modernen westlichen Naturauffassung. Zu anderen Zeiten, etwa in der Antike, oder in anderen Kulturen, etwa in China, spielte der Gesetzesbegriff eine sehr viel geringere Rolle in den Theorien der Ordnung der Natur als heute in Europa. Die Wurzeln für die Vorstellung, daß die Natur durch Gesetze beherrscht wird, sind wohl letztlich religiöser oder theologischer Art; die Natur als Schöpfung Gottes wird von ihrem Schöpfer mit Gesetzen geordnet oder Er erläßt über die von ihm geschaffenen Individuen Gesetze, denen sie gehorchen müssen. Vor allem Newton hat diese Vorstellung in der modernen Naturphilosophie zu der lange Zeit verbindlichen gemacht.
Das entsprechende Bild im Bereich des praktisch-politischen Denkens ist der Herrscher, der über sein Reich ein Gesetz erläßt, dem die Untertanen zu gehorchen haben. Hier ist besonders die Staatstheorie von Thomas Hobbes prägend gewesen. Diese Vorstellung des auferlegten Gesetzes ist jedoch sowohl in der theoretischen wie in der praktischen Theorie sehr früh schon in Frage gestellt worden, unter anderem von Spinoza. Kann die Natur und die Menschenwelt als eine soziale, politische und rechtliche Ordnung nicht auch aus sich heraus Gesetzmäßigkeiten entwickeln? Bedarf es wirklich externer Kreativität und Gewalt, um menschliche oder nicht-menschliche Individuen in eine Ordnung von relativer Stabilität zu bringen? Gibt es Unterschiede zwischen der Art und Weise, wie Gesetze, die von außen über einen Individuenbereich erlassen werden, zu beschreiben sind im Verhältnis zu denen, die sich immanent entwickeln?
Diesen Fragen widmet sich ein Forschungsprojekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Gerhard-Hess-Programms am Philosophischen Seminar seit 1995 gefördert wird. Es sollen die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit in der neueren Natur-, Sozial- und Rechtsphilosophie erforscht werden. Dabei sollen erstens sowohl die Entwicklungen in der Metaphysik der Natur wie auch in der Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften unseres Jahrhunderts Berücksichtigung finden. Diesem Aufgabenbereich widme ich mich, während Maria-Sibylla Lotter die Rolle auferlegter und immanenter Ordnungsprinzipien und die mit ihnen verbundenen Individuumsbegriffe in der Sozialphilosophie und der Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften untersucht. Dabei sollen sowohl die ersten Theorien der institutionell gerade etablierten Soziologie von Guyau, Durkheim und Simmel untersucht werden wie auch neuere Theorieansätze von Luhmann und Dummont. Peter König bearbeitet den rechtsphilosophischen Teil des Projekts. Er widmet sich vor allem dem Verhältnis von Faktizität und Normativität der Rechtsgesetze. Dabei werden auch die Konsequenzen für den Begriff der Person betrachtet. Denn Personen im Sinne des Rechts werden durch Rechtssysteme und die ihnen immanenten Gesetzesvorstellungen konstituiert. Sie stellen dann aber eine quasi natürliche Tatsache dar, sofern wir menschliche Personen natürlicherweise als mit bestimmten Rechten ausgestattet begreifen.
Alle Projektteilnehmer greifen in ihren Rekonstruktionen einerseits auf Gedankengänge der klassischen Metaphysik zurück und versuchen andererseits, metaphysische Überlegungen in ihrer Relevanz für die neueren Entwicklungen in den theoretischen und praktischen Wissenschaften zu überprüfen. Für Peter König spielt dabei die Metaphysik der Aufklärung (Leibniz, Wolff, Kant) eine zentrale Rolle. Die Arbeit von Lotter und mir konzentriert sich in diesem Punkt auf Peirce und Whitehead.
Die interdisziplinäre Untersuchung der verschiedenen Ordnungs- und Gesetzesbegriffe in diesen drei Bereichen soll schließlich zur Formulierung der Prinzipien von Gesetzmäßigkeit führen, die implizit heute sowohl unsere Naturauffassung wie auch unser Verständnis der sozialen und rechtlichen Welt beherrschen. Dadurch soll auch geklärt werden, welche Individuumsbegriffe unseren heutigen Natur-, Gesellschafts- und Rechtsvorstellungen zugrunde liegen. Inwiefern verstehen wir die soziale und rechtliche Ordnung der Menschenwelt als eine natürliche und dem entsprechend Menschen als natürliche Individuen? Inwiefern denken wir die Natur als ein sozial verfaßtes System, in dem es Notwendigkeit und Zwang gibt? Die Trennung von theoretischer und praktischer Philosophie macht es schwer, diese ehemals zusammenhängenden Problemstellungen heute noch zu verfolgen. Ziel des Projekts ist es daher, die heute verschütteten Implikationen unseres Naturverständnisses für unser soziales und rechtliches Denken und die möglichen Rückwirkungen der gegenwärtigen Sozial- und Rechtsphilosophie auf unseren Begriff der Natur wieder ans Licht zu befördern.
Dr. Michael Hampe
Philosophisches
Seminar, Gerhard-Hess-Programm der DFG