Zentrum für Biochemie
Mit dem neugegründeten „Biochemie-Zentrum Heidelberg“ verbessert die Universität Heidelberg ihr Lehrangebot für die Studierenden, die im Hauptfach Naturwissenschaften belegt haben, und bietet günstige Voraussetzungen für interdisziplinäre Forschungsvorhaben. Sechs Lehrstühle für Biochemie werden aus verschiedenen Fakultäten heraus besetzt werden, um ein möglichst umfassendes Lehrangebot für alle beteiligten Fächer zu ermöglichen, für Biologie, Chemie und Medizin. Gerade in Zeiten knapper Finanzmittel ist eine personelle und räumliche Zentrenbildung ein zukunftsweisender Weg, um Strukturen zu schaffen, die es erlauben, die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen und Qualitätsstandards in Forschung und Lehre zu setzen.
Gut 10 000 Studenten studieren an der Universität Heidelberg im Hauptfach Medizin und Naturwissenschaften. Für sie alle ist biochemisches Wissen wichtig. Doch bislang wurden die Grundkenntnisse von jeder Fakultät getrennt vermittelt. Den Empfehlungen einer Expertenkommission mit externen Wissenschaftlern folgend, hat sich die Universität nun entschlossen, die Kapazitäten der verschiedenen Fakultäten in einem Biochemie-Zentrum zu vereinen. In einer Situtation, in der mehrere Lehrstühle in der Biochemie hätten neu besetzt werden müssen, hatte das Rektorat das Expertengremium um sein Votum gebeten und dann diesen zukunftsweisenden Weg konzeptioneller Neuorientierung von Forschung und Lehre eingeschlagen.
Die Biochemie an der Universität Heidelberg verfüge über ausgezeichnete Voraussetzungen, um im nationalen wie internationalen Wettbewerb konkurrieren zu können, so das Urteil des Gremiums, und auch das Heidelberger Umfeld aus Industrie und öffentlichen Forschungseinrichtungen biete stimulierende Möglichkeiten für die Forschung. Diese günstigen Voraussetzungen könnten jedoch noch effektiver genutzt werden, wenn die Organisationsstrukturen an der Universität dahingehend verändert würden, die vorhandenen Ressourcen zusammenzufassen.
Der internationale Vergleich zeigt, daß sich auf diese Weise innovative Forschung und interdisziplinäre Ausbildung am besten verwirklichen lassen. Fakultätsübergreifend werden künftig Lehrveranstaltungen des Grundstudiums für Mediziner, Biologen und Chemiker angeboten. Zusätzlich gibt es ein spezifisches Lehrangebot für die einzelnen Studiengänge. Nachwuchskräfte aller drei Fachrichtungen werden als Doktoranden und Postdocs in die Forschungsaktivitäten eingebunden, die auch die medizinrelevanten Bereiche der Biochemie umfassen und in Kooperation mit den klinischen Disziplinen erfolgen sollen. Dadurch entsteht eine größere Transparenz und Breite in der Ausbildung. Bisher konnten Chemiker zum Beispiel nicht ohne weiteres an den biochemischen Instituten der Medizinischen Fakultät promovieren. Welch zentrale Rolle der Biochemie sowohl in der modernen Biologie als auch in der Ausbildung von Dipom-Chemikern zukommt, schlägt sich in Änderungen der Ausbildungsordungen nieder, die zum Beispiel vorsehen, Biochemie-Vorlesungen und Praktika in den Studiengang Chemie zu integrieren und die Wahl von Biochemie als viertem Fach im Sinne der Diplomprüfungsordnung zu ermöglichen und in der Biologie Biochemie als obligatorisches Unterrichtsfach im Grundstudium einzurichten.
Organisatorisch wird das Zentrum den Schwerpunkt Molekulare Zellbiologie stärken, in enger Abstimmung mit dem Zentrum für Molekulare Biologie, das sich primär der Molekularen Genetik und der Molekularbiologie widmet. Das ZMBH diente auch als Vorbild für die Gestaltung des Biochemie-Zentrums. Dieses wird im Endstadium etwa dreiviertel der Größe des ZMBH erreichen und über rund 70 Stellen verfügen, neben den sechs Lehrstühlen über drei C3-Professuren, 26 Stellen im Wissenschaftlichen und 29 im Technischen Dienst.
Angesiedelt wird das Biochemie-Zentrum im Neuenheimer Feld 328, auf 5 500 Quadratmetern Nutzfläche in dem Gebäude, das derzeit die Biochemie I und II beherbergt. Die Institute für Biochemie I und II aus der Medizinischen Fakultät und das Institut für Biologische Chemie aus der Fakultät für Biologie werden aufgelöst und bringen ihre Professuren und Ausstattungen in das neue Zentrum ein. Aus der Fakultät für Chemie kommen zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls zwei Professuren einschließlich Ausstattung hinzu. Ein weiterer Lehrstuhl wird aus der Medizin besetzt. Der Aufbau soll stufenweise erfolgen und wird zunächst ohne Baumaßnahmen auskommen, abgesehen von der Sanierung des Gebäudes parallel zum Aufbau der Strukturen. Begonnen wird 1997 mit den beiden Professuren für Biochemie. Im Jahr 1998 geht dann der Lehrstuhl aus der Biologischen Chemie im Rahmen einer Neubesetzung in das Zentrum über. Während im ZMBH vier Nachwuchsgruppen aktiv sind, die vom Land gefördert werden, sollen es im Biochemie-Zentrum sechs Gruppen werden, an jedem Lehrstuhl eine. Deren Finanzierung ist jedoch noch nicht in allen Punkten geklärt.
Zwar steht das Ministerium für Wissenschaft und Forschung der strukturellen Erneuerung grundsätzlich positiv gegenüber und hat auch finanzielle Unterstützung der Umstrukturierungsmaßnahme in Aussicht gestellt – soweit es die Finanzlage erlaubt –, doch eine feste Finanzzusage hat die Universität bislang nicht erhalten können. Dennoch hat sich die Universität entschlossen, trotz der angespannten Haushaltslage mit der Zentrumsbildung zu beginnen. Obwohl die ohnehin kaum noch vorhandenen Spielräume durch die Erhöhung der Wiederbesetzungssperre für vakante Stellen von sechs Monaten auf ein Jahr zusätzlich geschmälert werden. Doch die durch die zu besetzenden Lehrstühle für eine Neuorientierung günstige Situation wollte man nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Am neugegründeten Biochemie-Zentrum werden sechs Lehrstühle für Biochemie hinsichtlich der finanziellen, personellen und gerätemäßigen Ressourcen zusammengefaßt. Sie sind den Fakultäten für Biologie, Chemie und Medizin zugeordnet und werden auch aus diesen Fächern heraus besetzt. Langfristig sollen 10 bis 12 unabhängige Forschergruppen am Zentrum aktiv sein, davon sechs Gruppen mit Nachwuchswissenschaftlern. Angesiedelt um eine zentrale Serviceeinheit werden sich ihre Arbeiten thematisch und methodisch ergänzen. Neben den Impulsen für interdisziplinäre Forschungsansätze hat dies auch ökonomische Vorteile: Räume, Geräte und Personal können besser genutzt, die Infrastruktur muß nicht mehrfach vorhanden sein.
Forschungschwerpunkte sind derzeit für die Biologie die Biogenese von zellulären Strukturen und Organellen und der interzelluläre Transport, in der Medizin die Erforschung der Signalübertragung in der Zelle. Im Fach Chemie steht die Strukturanalyse von Biomolekülen im Zentrum. Vor allem die Röntgenstrukturanalyse und die Kernresonanzspektroskopie sollen ausgebaut werden. Des weiteren wird in der Biochemie ein Schwerpunkt „Steuerung und Regelung biologischer Prozesse“ geschaffen werden.
Claudia Wassmann