Meinungen
Europäische Forschungsförderung – quo vadis?
Mehr Forschungsförderung auf europäischer Ebene ist meines Erachtens dringend notwendig. Wir stehen im internationalen Wettbewerb mit Nationen, die ihre Forschungsmittel in weitaus größerem Rahmen kompetitiv plazieren. Dies hat Vorteile. Man überlege nur einmal, in den USA würde die Forschung auf Ebene der Bundesstaaten finanziert – ohne Quervernetzung bezüglich der Inhalte und Leistungsniveaus und nach uneinheitlichen Kriterien. Dies bedeutete redundante Mehrfachförderung und die Unterstützung zweitklassiger Arbeiten. Der Einfluß weniger Personen auf die Mittelvergabe würde deutlich größer sein; politische Kräfte würden die Freiheit der Forschung einschränken. Große Vorhaben von eminenter Bedeutung (Beispiel Aids-Forschung) müßten einen Flaschenhals interesse- und proporzgesteuerter Gremien überwinden. Zeitliche Verzögerungen und permanente Kämpfe um Zielrichtungen wären die Folge. Keine Frage: Die Effizienz der Forschung in den USA würde massiv leiden. Niemand käme auf den Gedanken, daß etwa die Umstrukturierung des amerikanischen nationalen Gesundheitsforschungsinstituts (NIH) als landesübergreifende Förderinstitution in viele kleine bundesstaatliche Gesundheitsforschungsinstitute eine gesunde Alternative zum derzeitigen Zustand böte. Man würde den, der so etwas anstrebt, schlichtweg für inkompetent erklären – und dies mit Recht.
Zurück zu Europa. Befinden wir uns hier nicht in einem solchen Zustand? Betrachtet man in der Bundesrepublik Deutschland das Verhältnis der EU-Forschungsmittel zu den nationalen Quellen (DFG, Bund, Länder, große Stiftungen), so wird klar, daß EU-Gelder derzeit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das ist der quantitative Aspekt. Aber leider gibt es auch Kritik hinsichtlich der Qualität der EU-Förderung. Übereinstimmend stellten die von mir dazu Befragten fest, daß bei der Einwerbung von Mitteln seitens der EU der Aufwand in keinem angemessenen Verhältnis zum Effekt steht: Die Begutachungsverfahren sind zu lang; die Förderungsdauer von Forschungsprojekten sei in der Regel zu kurz; Programmschwerpunkte wechselten häufig und ohne nachvollziehbare Gründe; es gebe so gut wie keine Flexibilität beim Einsatz der Mittel. Darüber hinaus seien die Begutachungsverfahren unberechenbar und der Anteil des Sachverständigenurteils am Entscheidungsprozeß zu gering.
Angesichts beklagenswerter Verhältnisse bezüglich der Drittmittelsituation bei der EU fällt die Bereitschaft, einen deutlich größeren Anteil der nationalen Forschungsmittel europäisch zu plazieren, derzeit schwer. Dazu benötigen wir zunächst eine schnellere, sachorientiertere und politisch unabhängigere europäische Organisation, in der übernationale Fachgremien Entscheidungen treffen, die für die Administration verbindlich sind – und die überzeugende Konzepte verfolgt, welche über den reinen Vernunftaspekt hinaus für wissenschaftliches Arbeiten attraktiver sind als das, was wir derzeit auf nationaler Ebene haben.
Dazu möchte ich drei Vorschläge machen:
– Längere Bewilligungszeiträume
Ein ansprechender Aspekt wären längere Bewilligungszeiträume, etwa fünf
Jahre (in den USA werden "Grants" in der Regel für fünf Jahre, im Falle
etablierter Wissenschaftler sogar für zehn Jahre bewilligt).
Hierzulande verlangt man selbst von internationalen Größen, daß sie –
wie jeder am Anfang seiner Laufbahn stehende Postdoktorand – alle zwei
bis drei Jahre einen neuen Antrag stellen. Dieser wird mit großer
Wahrscheinlichkeit auch bewilligt. Ist das aber dem Forschen auf hohem
Niveau zuträglich? Man muß hier neben dem Aufwand für die
Antragstellung auch den der Begutachtung berücksichtigen, in dem wir
mittlerweile geradezu ersticken.
– Flexible Mittelbewirtschaftung
Wünschenswert wäre eine hohe Flexibilität im Einsatz zugewendeter
Gelder. Warum ist man so restriktiv bezüglich der gegenseitigen
Deckungsfähigkeit von Personal-, Sach- und Investitionsmitteln? Man
könnte es doch dem Forscher überlassen, wie er in seiner jeweiligen
Situation mit Drittmitteln umgeht. Er ist ja schließlich für den
Gesamterfolg eines Projektes alleine verantwortlich und müßte daher
auch die Möglichkeit haben, auf Veränderungen seiner Situation während
einer Förderperiode rasch und angemessen zu reagieren.
– Personenorientierte Förderung
Schließlich möchte ich für eine mehr personenorientierte Förderung
plädieren (inklusive Gehalt), vor allem für qualifizierte junge
Wissenschaftler. Sie sollten sich mit "ihrem" Geld den für sie
geeignetsten Platz auswählen können. Dies würde die Unabhängigkeit
junger Wissenschaftler und ihre Entwicklung zu verantwortungs-
bewußten, leistungsorientierten und selbständigen Persönlichkeiten
fördern. Der Leistungsdruck auf den einzelnen wäre höher – aber ist
dies nicht ein realistisches, notwendiges und die Forschungseffizienz
begünstigendes Moment? Eine Konsequenz dieses Konzeptes wäre auch die
erwünschte Steigerung des Wettbewerbs unter den forschenden
Institutionen. Sie müßten sich stärker als bisher um Wissenschaftler
bemühen, indem sie beispielsweise erstklassige Umfeldbedingungen
anbieten. Qualifizierte Wissenschaftler produzieren
Ergebnisse/Publikationen, melden nützliche Patente an, gewinnen Preise,
fördern den Nachwuchs und tragen damit zur Ausstrahlung,
Anziehungskraft, Qualität und dauerhaften Identität der jeweiligen
Institution bei. Nicht zu vergessen, daß hierin auch ein beträchtlicher
wirtschaftlicher Vorteil läge, einmal für die Institution selbst, aber
auch für deren Umfeld. Die Ansiedlung innovativer Unternehmen, zum
Beispiel auf den Gebieten Mikroelektronik und Biotechnologie, steht in
engem Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Qualität in einer Region.
Wissenschaft, die bereits auf internationaler Ebene geschieht und eine
einheitliche Sprache spricht, bietet beste Vorausetzungen, auch ihre
Mittel überregional einzusetzen. Hier gilt die Devise: größer =
objektiver = sach-orientierter = leistungsbezogener = besser.
Autor:
Prof. Dr. Stefan Meuer
Institut für Immunologie, Im Neuenheimer Feld 305, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 40 00