Siegel der Universität Heidelberg
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Der strahlenfreie Blick in den Körper

Die Verfahren zur Darstellung des Gehirns sind in den letzten Jahren immer besser geworden. Mit der dynamischen und funktionellen Magnetresonanztomographie zeichnet sich nun auch die Möglichkeit ab, die Durchblutung im Gehirn bildhaft und zugleich quantitativ darzustellen, und so zum Beispiel die Folgen eines akuten Schlaganfalls sofort zu diagnostizieren. Auch geistige Leistungen schlagen sich als eng begrenzte Veränderungen der Durchblutung im Bild nieder. Untersuchungen zur motorischen, sensiblen, kognitiven und emotionalen Hirnfunktion werden künftig in Heidelberg möglich sein. Neben modernen Computer- und Kernspintomographen, Angiographie- Einheiten und leistungsfähigen Rechnern, ist die Entwicklung spezieller Software dafür nötig, deren Entwicklung in der Abteilung Klinische Neuroradiologie der Neurologischen Universitätsklinik maßgeblich vorangetrieben wird. Klaus Sartor berichtet über die vielfältigen Möglichkeiten der Neuroradiologie.

Die Neuroradiologie verdankt ihren Ursprung erfindungsreichen Neurologen, Psychiatern und Neurochirurgen. Bereits 1896, kaum ein Jahr nach Röntgens Entdeckung, erfolgte die erste Veröffentlichung über die diagnostische Anwendung dieser "neuen Art von Strahlen" von Wladimir von Bechterew. Der Neurologe Arthur Schüller, heute oft als Vater der Neuroradiologie apostrophiert, verfaßte 1912 in Wien die erste einschlägige Monographie Röntgen-Diagnostik der Erkrankungen des Kopfes. Weitere Meilensteine in der Evolution des Fachs waren, nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 30er Jahre, die Kontrastdarstellungen von Gehirn und Rückenmark. Hier ragen zwei Forscherpersönlichkeiten heraus: Walter Dandy, der große amerikanische Neurochirurg, und Egas Moniz, der berühmte portugiesische Neurologe - und zeitweilige Außenminister. Dandy wird das heute überholte Konzept der Füllung der Hirnkammern und Hirnaußenräume mit Luft als Kontrastmittel zugeschrieben. Moniz entwickelte die heute noch übliche Kontrastfüllung der Blutgefäße des Gehirns mit jodhaltigen Substanzen, die zerebrale Angiographie, die durch verbesserte Methodik inzwischen risikoarm geworden ist; er wurde 1949 mit dem Nobelpreis geehrt - allerdings für die falsche Leistung, nämlich die Einführung eines psychochirurgischen Eingriffs, der später berüchtigten Leukotomie.

Viele der modernen radiodiagnostischen oder bildgebenden Verfahren wurden zuerst für den neuroradiologischen Einsatz entwickelt, ehe sie ihren Platz in der übrigen Diagnostik fanden. Zu den wichtigsten Beispielen gehören: die Subtraktion, ein Verfahren, mit dem anfangs fotografisch, heute rechnergestützt, digital störende Knochen- und andere Gewebeüberlagerungen in Angiogrammen und sonstigen kontrastverstärkten Röntgenaufnahmen eliminiert werden. Die Tomographie, ein Röntgen-Verfahren, mit dem sich quasi- selektive definierte Körperschichten unter "Verwischung" angrenzender Gewebebereiche darstellen lassen. Außerdem die Computertomographie, das erste rechnergestützte Verfahren, das selektiv Körperschichten detailliert wiedergibt und ohne Kontrastmittelgabe auch knochenumschlossenes Weichteilgewebe abbildet. Sowie das fortgeschrittenste Verfahren, die Magnetresonanztomographie, die rechnergestützt Körperschichten mit einzigartiger Flexibilität in der Wahl der Schichtebenen darstellt, ohne Strahlenbelastung für den Patienten und mit dem bislang höchsten Weichteilkontrast.

Jahrzehntelang wurde die Neuroradiologie von den gleichen Ärzten betrieben, die die Patienten mit neurologischen oder neuropsychiatrischen Erkrankungen behandelten, von Psychiatern, Neurologen und Neurochirurgen. In den 50er und 60er Jahren begannen sich zunehmend auch Radiologen für diese Tätigkeit zu interessieren, besonders in Skandinavien und den USA. Die erste Blütezeit der Neuroradiologie, die sich allmählich zum eigenständigen Spezialfach entwickelte, war gekennzeichnet von Verfeinerung der Untersuchungsmethoden, Objektivierung der Befundinterpretation durch Vergleich mit der Neuropathologie und erste Versuche, die verschiedenen Verfahren zur Analyse physiologischer Vorgänge heranzuziehen. Heute, infolge einer beispiellosen technischen und methodischen Entwicklung, ist die Neuroradiologie in den westlichen Industrieländern eine anerkannte organorientierte Subspezialität, ein sogenannter Schwerpunkt, der diagnostischen Radiologie. Als solche spielt sie zwar eine primär diagnostische Rolle, doch nimmt ihre Bedeutung auch in der Therapie rapide zu, nämlich in Form minimal-invasiver Eingriffe bei einigen Gefäß- und Tumorkrankheiten des zentralen Nervensystems, als interventionelle Neuroradiologie.

Die Computertomographie, das CT, ist nach wie vor das Standardverfahren der Neuroradiologie. Dabei dringt ein Fächerbündel von Röntgenstrahlen aus wechselnden Richtungen quer durch die zu untersuchende Körperpartie, zum Beispiel den Kopf, während der Patient schrittweise in einer Röhre vorgeschoben wird. Ein bogen- oder kranzförmiges System hochempfindlicher Detektoren registriert elektronisch die Schwächung der Strahlungsintensität durch Knochen oder Gewebe. Aus den Meßdaten errechnet ein Computer in Sekundenschnelle die örtlichen Absorptionswerte und wandelt sie in Graustufen oder Falschfarben um. Die auf dem Bildschirm sichtbaren Schichtaufnahmen können auch dauerhaft gespeichert und nach Befundung und Besprechung in der radiologisch-klinischen Konferenz archiviert werden.

Ungefähr 20 Jahre nach den bahnbrechenden Entdeckungen von Allen McLeod Cormack und Godfrey Newbold Hounsfield, die gemeinsam für ihre Arbeiten über die theoretischen Grundlagen der Computertomographie 1979 den Nobelpreis für Medizin erhielten, hatte die sogenannte planare Form des CT mit ihrem stereotypen Wechsel von Schichtaufnahme und Patientenvorschub technisch wie methodisch ein Plateau erreicht. Die Spiraltechnik führte zu einer Renaissance der neuroradiologischen Computertomographie. Dabei werden Kopf oder Körper des Patienten nicht mehr Schicht für Schicht abgetastet, sondern spiralig "geschnitten", weil sich Abtasteinheit und Patientenliege kontinuierlich simultan bewegen. Statt Daten von Einzelschichten, erhält man nun Daten eines ganzen Körpervolumens, die vom Grafikrechner in Schichtaufnahmen beliebiger Dicke und Ebene eingeteilt und nach Digital- Analogwandlung als Bild auf dem Monitor ausgegeben werden können. Das neue Abtastverfahren ist zudem außerordentlich schnell und eignet sich daher zur Darstellung der Hirngefäße nach intravenöser Kontrastmittelgabe und zum Studium dynamischer Vorgänge. Die Art der Datenerfassung ermöglicht auch, Oberflächen von gesunden und kranken Organen bis ins Detail abzubilden. Sie erlaubt außerdem die dreidimensionale Darstellung auch sehr kleiner, tief im Körperinneren gelegener Strukturen; überlagernde Außenstrukturen erscheinen wenn nötig transparent.

Für diese Berechnungen ist allerdings eine vom CT-Betrieb unabhängige Workstation notwendig, die speziell für die Nachverarbeitung digitaler Bilder ausgelegt ist. Einen solchen Computer benötigt man erst recht, um neue Anwendungsmöglichkeiten der CT-Spiraltechnik zu finden und auf ihren Nutzen zu prüfen, also für die klinische Forschung. Leider hat der Umgang mit modernen, graphikfähigen Workstations seine Tücken, weshalb nur Anwendern mit einem gerüttelt Maß an Hacker-Mentalität Erfolg winkt. Dank verständnisvoller Unterstützung seitens des Klinikums, erfolgreicher Drittmitteleinwerbung und einer fruchtbaren Kooperation mit der Firma "PICKER International" bietet die Abteilung Klinische Neuroradiologie computerbegeisterten Ärztinnen und Ärzten die technischen Voraussetzungen, einschließlich eines regelrechten Imaging-Labors mit mehreren Workstations und zahlreichen Zusatzgeräten, das im Rahmen interdisziplinärer Forschungsprojekte von anderen Abteilungen mitgenutzt wird. Eine Medizinphysikerin, ein Diplominformatiker, ein Programmierer und eine Schar engagierter Ärztinnen, Ärzte und Doktoranden arbeiten gegenwärtig zum Beispiel daran, die invasive Angiographie, bei der ein Katheter über eine Arterie bis in die Halsschlagader vorgeschoben wird, durch die risikoärmere CT-Angiographie zu ersetzen oder doch wesentlich zu ergänzen. Bereits jetzt steht fest, daß das Kontrastmittel, das intravenös verabreicht wird, ganz rasch, sozusagen en bloc, gegeben werden muß, was nur mit Hilfe eines automatischen Injektors gelingt; entscheidend ist dabei das Timing von Injektion und Beginn der Aufnahme.

Die CT-Angiographie ist sinnvoll, wenn angiographisch bereits größere Aussackungen der Hirnbasis-Arterien nachgewiesen sind, sogenannte Aneurysmen und ähnlich gefährliche Gefäßanomalien, die ihre Träger bedrohen, weil sie platzen können. Hier liefert die 3-D-Darstellung wichtige Zusatzinformation, denn der Neurochirurg oder der interventionelle Neuroradiologe kann sich den kranken Gefäßabschnitt aus allen Richtungen ansehen und so den therapeutischen Eingriff besser planen. Ob sich die CT- Angiographie auch eignet, um kleinere Aneurysmen nachzuweisen oder zumindest in unklaren Fällen die zu Blutungen neigenden auszuschließen, muß sich noch zeigen; ab fünf Millimetern Durchmesser scheint der Aneurysma-Nachweis verläßlich zu sein. In der Entwicklung befinden sich auch Verfahren, um Angiome und Aneurysmen künftig ohne Operation zu behandeln. Wir verwenden zum permanenten Verschluß von Gefäßanomalien bioverträgliche Flüssigkeiten, die in den krankhaft veränderten Blutgefäßen aushärten, oder winzige Kunststoffpartikel, die im zentralen Gefäßnetz arteriovenöser Anomalien hängenbleiben. Außerdem können wir mit Kunststoffballons größere Gefäße blockieren und als Zufluß ausschalten sowie mit elektrolytisch ablösbaren Platinspiralen gefährliche Gefäßaussackungen füllen und so als mögliche Blutungsquelle unschädlich machen.

In einem weiteren Projekt versuchen wir gemeinsam mit den Chirurgen, Kopfoperationen mit Hilfe von 3-D-Datensätzen zu optimieren. Auf dem Grafikbildschirm kann der Arzt die genauen räumlichen Verhältnisse von Knochen und Weichteilen oder zum Beispiel die Beziehung zwischen einem Hirntumor und wichtigen Nachbarstrukturen ansehen und sogar den Ablauf der Schädeleröffnung sowie künftig auch anderer chirurgischer Eingriffe am Gesichts- oder Hirnschädel simulieren. Außerdem werden die normale und pathologische Kopfanatomie quantifiziert, also gekrümmte Strecken, wellige Flächen und unregelmäßig geformte Volumina gemessen - kein triviales Unterfangen. 3-D-Datensätze sind bereits Grundlage der computerunterstützten Navigation bei Kopfoperationen, an deren Weiterentwicklung im Universitätsklinikum Heidelberg die Neuroradiologie maßgeblich beteiligt ist.

Wir nutzen die Möglichkeiten der dreidimensionalen Computertomographie ebenfalls, um einem morphologisch besonders kniffligen Teil der Schädelbasis näher zu kommen, dem Mittel- und Innenohr. Dabei versuchen wir, dem Operationsmikroskop Konkurrenz zu machen, indem wir immer kleinere Substrukturen des Mittel- und Innenohrs räumlich darstellen, so daß der Arzt sie von allen Seiten betrachten, ja geradezu umwandern kann. Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen das Innere des Schläfenbeins weit detailreicher, als das bislang möglich war. Diese nun vor der Operation verfügbare Information dürfte die Chirurgen bei ihren Eingriffen vor manch unliebsamer Überraschung bewahren. Mit Erfolg haben wir auch schon die genaue Lage gehörverbessernder Implantate in der Schnecke des Innenohrs bestimmt.

Fast ebenso alt wie die Computertomographie ist die Magnetresonanztomographie, MRT. Doch sie hat erst ein Jahrzehnt später, Anfang der 80er Jahre, Eingang in die klinische Medizin gefunden. Das Verfahren basiert auf dem Phänomen der kernmagnetischen Resonanz, für dessen Entdeckung die Physiker Felix Bloch und Edward Mills Purcell 1952 den Nobelpreis für Physik erhielten. Die in großer Menge vor allem im Gewebewasser enthaltenen Wasserstoffkerne richten sich in einem von außen angelegten starken Magnetfeld parallel oder antiparallel zum Feld aus, wie Eisenspäne. Sobald das äußere Magnetfeld verschwindet, kehren sie in ihre ursprüngliche Position zurück. Dabei senden sie meßbare elektromagnetische Signale aus. Aus den von der Feldstärke abhängigen Resonanzsignalen kann auf deren Entstehungsort geschlossen werden. Mit Hilfe eines Rechners lassen sich die aus verschiedenen Aufnahmepositionen erfaßten Daten zu einem zwei- oder dreidimensionalen Bild der Körperschicht zusammensetzen.

Die Kernspintomographie kommt ohne Strahlenbelastung aus und hat noch weitere Vorteile gegenüber der Computertomographie: Da sie Unterschiede im Gewebezustand weitaus genauer erfaßt und hochempfindlich für Bewegungen ist, eignet sie sich sowohl zum Studium der örtlichen Durchblutung in Arterien, Venen und Kapillaren als auch von Flüssigkeitsverschiebungen innerhalb der Zellverbände, das heißt zur Perfusions- und Diffusionsmessung. Durch Knochen hervorgerufene Meßfehler entfallen, da Knochen kaum bewegliche Protonen haben und von der MRT "ignoriert" werden - die Darstellung des Schädels bleibt daher auch weiterhin eine Domäne des Computertomogramms.

Mit den Möglichkeiten der Perfusions- und Diffusionsmessung, der MR-Angiographie und -Spektroskopie ist die Magnetresonanztomographie für Funktionsuntersuchungen am Gehirn geradezu ideal, zumal sie, anders als nuklearmedizinische Verfahren wie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), beliebig oft wiederholt werden kann.

Da die Schlaganfallforschung einen Schwerpunkt in der Neurologischen Klinik bildet, lag es nah, diese häufige Erkrankung, die oft das Leben und immer die Gehirnfunktion bedroht, zum Gegenstand MR-basierter Untersuchungen zu machen. Wir fragten uns zunächst im Hinblick auf den Schlaganfall durch Ischämie - durch plötzliche Unterbrechung der Blutzufuhr -, welche Bedeutung Messungen der Perfusion und Diffusion im betroffenen Hirngewebe zukommt: Könnte man vorhersagen, welcher Gewebsbereich vollständig untergeht, also zum eigentlichen Hirninfarkt wird, und welcher sich wieder erholt? Um diese Frage zu beantworten, mußten wir zunächst eine geeignete Methodik entwickeln und durch Vergleich mit etablierten Meßverfahren validieren und anschließend das Verfahren für die Untersuchung von Menschen modifizieren. Die Forschung geschieht im Rahmen eines seit 1993 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts, bei dem wir das größte Teilprojekt bearbeiten.

Leider läßt sich ein Schlagfanfall nicht am Computer simulieren, man braucht dazu ein geeignetes Tiermodell. Wir verwenden ein bekanntes, von uns weiterentwickeltes Modell der "fokalen Ischämie" bei der Ratte, deren Hirngefäße den menschlichen ähneln. Während wir die Probleme der Untersuchungsmethodik bereits gelöst haben, ist die Entwicklung der Meßmethodik bis hin zu sogenannten Parameterbildern, also der visuellen Umsetzung von Meßwerten, noch in vollem Gange. Die MR-Methodik wird mit Verfahren der Physiologie - voran der Autoradiographie mit radioaktivem Jodantipyrin - im Physiologischen Institut validiert. Mit experimentellen MR- Geräten, die äußerst schnelle Formen der Bildaufnahme zulassen und demnächst auch klinisch verfügbar sind, erbrachten unsere Verlaufsmessungen schon aufschlußreiche Ergebnisse: Tatsächlich scheinen vor allem die Diffusionswerte in Gestalt des sogenannten apparent diffusion coefficient, ADC, schon früh in der Infarktentwicklung eine Unterscheidung zwischen dem irreversibel geschädigten Hirngewebe im Infarktkern und dem umliegenden, potentiell rettbaren Gewebe, der Penumbra, zu ermöglichen. Schon wenige Minuten nach dem experimentellen Gefäßverschluß verringert sich die Bewegung der Protonen im ischämischen Gewebe meßbar und auf ADC-Parameterbildern auch unmittelbar erkennbar; Ursache dürften Membranstörungen der Hirnzellen sein. Wo die Schwelle zwischen Untergang und Überleben des ischämischen Gewebes genau liegt, und welches Zeitfenster zur Behandlung des Schlaganfalls bleibt, bedarf weiterer Untersuchungen; besonders kritisch sind offenbar die ersten beiden Stunden.

MR-Perfusionsmessungen mit speziellen Kontrastmitteln zeigen ebenfalls äußerst empfindlich ischämie-bedingte Veränderungen der zerebralen Mikrozirkulation an. Aber auch hier müssen wir noch präzisieren, welche Schwelle die Durchblutung nicht unterschreiten darf, damit sich das Hirngewebe nach Normalisierung der Durchblutung infolge spontaner oder medikamentöser Gefäßöffnung wieder erholen kann. Gelingt es uns, im Tiermodell diese kritische Schwelle und auch die zeitlichen Faktoren verläßlich und reproduzierbar zu bestimmen, haben wir zusammen mit der Diffusionsmessung ein Instrument, mit dem wir die Wirksamkeit aktiver Schlaganfallsbehandlung prüfen können. Dem Transfer dieser experimentell gewonnenen Erkenntnisse in die klinische Praxis steht prinzipiell nichts entgegen, wenn ein moderner MR-Tomograph vorhanden ist.

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Kernspintomographie sind volumetrische Untersuchungen, die neuerdings Bedeutung in der Erforschung einiger psychiatrischer Krankheiten und neuropsychologischer Funktionsstörungen erlangt haben. So treten bei Schizophrenie, Morbus Alzheimer und bestimmten Formen der Schreib-LeseSchwäche meßbare Veränderungen an der Hirnrinde und tiefer liegenden Hirnstrukturen auf, wie den Hirnkammern, den Basalganglien, dem Thalamus und dem Balken. Um sie als potentielle anatomische Marker zu nutzen, müssen diese Strukturen rechnerisch von den Daten anderer Hirnstrukturen getrennt und mit den entsprechenden Strukturen der gegenseitigen Hirnhälfte oder dem Gehirn geeigneter Normalpersonen verglichen werden. Die Neuroradiologie ist an einer DFG-geförderten Studie der Psychiatrischen Kliniken der Universitäten Heidelberg und Jena beteiligt, bei der Zwillinge untersucht werden, von denen jeweils einer an Schizophrenie erkrankt ist.

In einem weiteren Forschungsprojekt nutzen wir die Kernspintomographie, um zu erforschen, welche Bedeutung die tumorinduzierte Wassereinlagerung ins Gewebe für die Rezidiventstehung bösartiger Hirntumoren hat. Dabei verbinden wir verschiedene bildgebende MR-Methoden einschließlich der sogenannten Magnetization-Transfer-Technik mit Messungen der Diffusion. Auch hier bedienen wir uns eines Tiermodells, bei dem ebenfalls Ratten verwendet werden.

Auf therapeutischem Gebiet verfügt die Neuroradiologie über gefäßeröffnende und -verschließende Verfahren. Von den gefäßverschließenden werden manche schon routinemäßig eingesetzt, wie die präoperative Devaskularisation, die "Trockenlegung" gefäßreicher Tumoren der Hirnhäute, der Schädelbasis und des Gesichts. Noch in der Entwicklung befindet sich die erwähnte nichtoperative Behandlung von Angiomen. Die Wiedereröffnung einer verstopften Arterie zur Behandlung eines akuten Schlaganfalls erfolgt durch Applikation verschiedener thrombolytischer Substanzen über einen Mikrokatheter direkt in oder an den Blutpfropf oder Thromboembolus im Schädelinneren. Dank des zerebrovaskulären Schwerpunkts der Neurologischen Universitätsklinik verfügen wir inzwischen über eine der weltweit größten und aussagekräftigsten Datenbanken. Wesentlich für zukünftige Therapieempfehlungen ist die sorgfältige statistische Auswertung der Daten von inzwischen über 150 thrombolytisch behandelten Patienten.

In Zukunft werden wir in Heidelberg mit Hilfe der MR auch die höheren kortikalen Funktionen des Gehirns studieren können. Bei der sogenannten funktionellen Kernspintomographie, fMR, nutzt man Änderungen der Sauerstoffsättigung des Blutes, wie sie bei motorischen, sensiblen oder kognitiven Hirnaktivitäten auftreten, für die Untersuchung. Da sauerstoffreiches Blut andere magnetische Eigenschaften hat als sauerstoffarmes, entsteht in aktivierten und dadurch stärker durchbluteten Hirnarealen ein anderes Gewebesignal als in nichtaktiven. Mit Kontrastmitteln kann dieser Effekt noch verstärkt werden. Auf diese Weise läßt sich beipielsweise zeigen, ob ein Hirntumor wichtige, bei der Operation zu schonende anatomische Strukturen aus ihrer normalen Lage verdrängt hat. Zusammen mit Mitarbeitern des Deutschen Krebsforschungszentrums führen wir solche Untersuchungen derzeit am dortigen Hochfeld-MR-Gerät durch. Der fMR-Forschung sind auch zahllose andere Aspekte der pathologischen oder normalen Hirnfunktion zugänglich. Vor allem die klinische Neuropsychologie, die Psychiatrie, die Neurologie und die Neurochirurgie dürften von der neuartigen Untersuchungsmethodik profitieren und Entwicklungsanstöße bekommen, besonders wenn sie mit der Magnetenzephalographie gekoppelt werden kann, die die Magnetfelder von Hirnströmen mißt und so auf die Quelle elektrischer Aktivität rückschließen läßt. Diese einzigartige Möglichkeit wird in naher Zukunft in der Kopfklinik der Universität Heidelberg zur Verfügung stehen.

Autor:
Prof. Dr. Klaus Sartor
Klinische Neuroradiologie, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 75 65

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