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Scheinbare Chancengleichheit

Die Chancengleichheit von Frauen und Männern hatte in der kommunistischen Ideologie einen besonders hohen Stellenwert. Soziale Ungleichheit sollte in der klassenlosen Gesellschaft nicht mehr vorkommen. Doch bislang geheimgehaltene Daten der Volkszählung im ehemals kommunistischen Ungarn bringen ans Tageslicht, daß es sehr wohl regionale und soziale Ungleichheiten der Frauenerwerbstätigkeit gab. Mit seinem raumwissenschaftlichen Ansatz schlachtet Peter Meusburger am Geographischen Institut eine heilige Kuh des Kommunismus.

Soziale Ungleichheit läßt sich in vielen Fällen auf den unterschiedlichen Zugang zu Macht, Wissen und Ressourcen zurückführen. In der sozialistischen Planwirtschaft waren Macht, qualifizierte Arbeitsplätze und Ressourcen-verteilende Institutionen extrem stark auf wenige Zentren konzentriert. In den mittleren und kleinen Städten und der ländlichen Peripherie fehlten Arbeitsplätze für Hochqualifizierte fast völlig, und die wenigen, die vorhanden waren, hatten fast keine autonomen Entscheidungsbefugnisse. Eine räumliche Konzentration von Wissen und Macht besteht zwar auch in der Marktwirtschaft, hier entscheidet jedoch nicht eine einzige Nomenklatura über den Zugang zu den Ressourcen. In beiden Systemen manifestieren sich soziale Ungleichheiten jedoch vor allem in der räumlichen Dimension. Deshalb vermag ein raumwissenschaftlicher Ansatz, welcher sich der räumlichen Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft beziehungsweise der räumlichen Varianz sozioökonomischer Indikatoren zuwendet, eine Reihe von sozialen Ungleichheiten zu erfassen und zu erklären, zu denen andere theoretische Ansätze der Sozialwissenschaften nur schwer Zugang finden. Die Vernachlässigung der räumlichen und zeitlichen Dimension hat maßgeblich dazu beigetragen, daß in der sozialwissenschaftlichen Forschung über die kommunistischen Länder gravierende Fehlschlüsse passiert sind und die Situation in diesen Ländern so falsch eingeschätzt wurde. Die Überbetonung der Methode der Umfrage - mit kleinen Stichproben - und die Vernachlässigung der von Großzählungen (Volkszählungen) erfaßten Daten hat besonders beim Thema der sozialen Ungleichheit eine Scheinwelt konstruiert, die mit der tatsächlichen Situation nur noch wenig zu tun hatte.

Das vorliegende Projekt konnte erstmals auf anonymisierte Individualdaten der Volkszählungen eines ehemals kommunistischen Landes zugreifen. Aufgrund dieser Datenquelle war es möglich, eine Reihe von sozialen Ungleichheiten vor und nach der politischen Wende zu analysieren. Die kommunistischen Systeme haben das Prinzip der Gleichheit vor allem über das Erwerbsleben definiert. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen galt beispielsweise dann als erfüllt, wenn Frauen in gleichem Maße erwerbstätig waren wie Männer. Die unterschiedliche Belastung von Frauen und Männern oder geschlechtsspezifische Lohnunterschiede wurden erst in der Endphase der sozialistischen Systeme zum Diskussionsthema einiger weniger Wissenschaftler. Da in der kommunistischen Ideologie die Chancengleichheit von Männern und Frauen im Erwerbsleben einen besonders hohen Stellenwert hatte, soll im folgenden die Frauenerwerbstätigkeit als ein Beispiel der im realen Sozialismus existierenden sozialen Ungleichheit analysiert werden. Noch mehr als im kapitalistischen System galt für Frauen im realen Sozialismus der Slogan place matters, das heißt, die Lebenssituation der Frauen, ihr Bildungsverhalten, ihre berufliche Laufbahn, ihre Verdienstmöglichkeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hingen weitgehend davon ab, in welcher Kategorie von Gemeinden und Regionen eine Frau wohnte. Wegen des niedrigen Motorisierungsgrads der Haushalte, der schlechten Versorgung peripherer Gebiete mit öffentlichen Verkehrsmitteln, des fehlenden Wohnungsmarkts und der betriebszentrierten Sozialpolitik haben die großen zentralperipheren Disparitäten des lokalen Angebots an Arbeitsplätzen und Infrastruktureinrichtungen (Schulen, Einrichtungen der Kinderbetreuung) die Lebenssituation, das Zeitbudget und die Erwerbschancen der Frauen noch viel stärker beeinflußt als in westlichen Gesellschaften, in denen räumliche Disparitäten des Arbeitsplatz- und Infrastrukturangebots aufgrund des höheren Motorisierungsgrads leichter überwunden werden konnten.

Im Jahre 1980 betrug die Erwerbstätigenquote der 15- bis 55jährigen Frauen in Budapest fast 80 Prozent, während sie in einigen peripheren Arbeitsamtsbezirken Nordost-Ungarns nur 45 bis 49 Prozent erreichte. Schaufenster und Hinterhof des sozialistischen Systems gehörten also zwei völlig unterschiedlichen Welten an. Zusätzlich zu diesen zum Teil historisch zu erklärenden, regionalen Unterschieden gab es geradezu eine modellhaft gesetzmäßige Abstufung der Frauenerwerbsquote nach der Hierarchie des Siedlungssystems. Diese Hierarchie kann anhand von unterschiedlichen Kennziffern erfaßt werden. Wir verwendeten für die Abstufung des Siedlungssystems aus verschiedenen Gründen die Größe der Gemeinde, wobei die Einwohnerzahl als Indikator für den Grad der Komplexität und Differenzierung des Arbeitsplatzangebots sowie der unterschiedlichen Verteilung der Entscheidungskompetenzen gilt.

Unsere Untersuchung zeigte, daß sich die Form der altersspezifischen Erwerbskurve sehr deutlich mit der Einwohnerzahl des Wohnorts änderte. Nicht nur die Erwerbstätigenquote der Frauen lag in den kleinen Gemeinden um 15 bis 25 Prozent niedriger als in Budapest, auch der Grad der Beschäftigung während der Kleinkinderphase variierte mit der Gemeindegröße. Die in kleinen Gemeinden oder ländlichen Gebieten wohnhaften Frauen hatten eine niedrigere Bildungsbeteiligung, sie haben durchschnittlich früher mit einer Erwerbstätigkeit begonnen, früher geheiratet, mehr Kinder bekommen und während der Kleinkinderphase (im Alter zwischen 20 und 30 Jahren) zu einem höheren Anteil die Erwerbstätigkeit unterbrochen als die in Budapest oder den anderen Großstädten wohnenden Frauen. In Gemeinden kleiner und mittlerer Größe war der Anteil der Frauen, die weder erwerbstätig waren noch Kindergeld oder eine Pension bezogen, also über keinerlei Einkommen verfügten oder in der Schattenwirtschaft tätig waren, je nach Altersgruppe drei- bis zehnmal so hoch wie in Budapest. Der ideologische Anspruch der kommunistischen Systeme, daß Männer und Frauen in gleichem Ausmaß erwerbstätig sind, wurde also nur in der Hauptstadtregion annähernd erreicht.

Ähnlich wie in marktwirtschaftlichen Systemen standen auch in den sozialistischen Staaten Niveau und Verlauf der Kurve der altersspezifischen Frauenerwerbstätigkeit in engem Zusammenhang mit dem Ausbildungsniveau und der Kinderzahl der Frauen. Vor allem der Beginn und die Dauer der Arbeitspause während der Kleinkinderphase hingen sehr stark vom Ausbildungsniveau ab. 22- bis 50jährige Hochschulabsolventinnen gingen im Jahre 1980 um 14 bis 26 Prozent häufiger einer bezahlten Arbeit nach als gleichaltrige Pflichtschulabsolventinnen und um 32 bis 44 Prozent häufiger als Frauen ohne abgeschlossene Schulbildung. Am Höhepunkt der Kleinkinderphase waren 84 Prozent der weiblichen Universitätsabsolventen, jedoch nur 52 Prozent der Absolventinnen einer Pflichtschule und nur 42 Prozent der Frauen ohne Schulabschluß erwerbstätig. Auch die Kinderzahl beeinflußte die Erwerbstätigkeit der Frauen, ähnlich wie in westlichen Gesellschaften. Im Jahre 1980 gingen 91,2 Prozent der 24jährigen ohne Kind und 55,8 Prozent derjenigen mit einem Kind einer Arbeit nach. Von den gleichaltrigen Frauen mit zwei Kindern arbeiteten 40,2 Prozent, bei drei und mehr Kindern sank die Erwerbsquote auf 36 Prozent.

Der Anteil der Frauen, die nach der Geburt eines Kindes ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen und dafür das Kinderpflegegeld beansprucht haben, ist ein besonders aussagekräftiger Indikator, um diverse Formen der sozialen und regionalen Ungleichheit zu erfassen. Erwartungsgemäß korrelierte auch dieser Indikator im Jahre 1980 noch sehr stark mit der Gemeindegröße des Wohnortes. Je kleiner und peripherer gelegen die Wohnorte waren, desto mehr Frauen unterbrachen in der Kleinkinderphase die Arbeit und bezogen Kinderpflegegeld. Während in Budapest am Höhepunkt der Kleinkinderphase, das heißt im Alter von 25 Jahren, nur 19,4 Prozent der Frauen Kinderpflegegeld erhielten, nahmen in der Gemeindegrößenklasse unter 501 Einwohnern über 40Prozent der Frauen das Kinderpflegegeld in Anspruch. Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, daß Frauen in ländlichen Gebieten trotz Aufgabe der Beschäftigung noch viele Möglichkeiten hatten, im Rahmen der Schattenwirtschaft in bedeutendem Maße zum Familieneinkommen beizutragen, etwa durch Bewirtschaftung des ein Hektar großen, privat nutzbaren Grundstücks. Deshalb konnten es sich Familien im ländlichen Raum eher leisten, nach der Geburt eines Kindes für eine bestimmte Zeit auf die Erwerbstätigkeit der Frau zu verzichten und dafür das geringe Kinderpflegegeld in Anspruch zu nehmen als Familien in Großstädten, wo zudem die Lebenshaltungskosten höher waren.

Wenn die Einstellung der jungen Mütter zur Erwerbstätigkeit, die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen im Erwerbsleben, das Ausmaß der Vollbeschäftigung sowie das quantitative und qualitative Niveau der Kinderbetreuung durch staatliche Institutionen und Betriebe den Aussagen der offiziellen Selbstdarstellung der kommunistischen Systeme entsprochen hätte, wäre es wohl nie zu diesen hohen schichtspezifischen und regionalen Unterschieden der Frauenerwerbstätigkeit gekommen.

Entgegen aller Prognosen hat die Einführung der Marktwirtschaft in Ungarn zumindest in der ersten Phase, bis 1995, noch nicht zu einer generellen Abnahme der Frauenerwerbstätigkeit geführt, sondern nur zu einer Akzentuierung nach Lebenszyklusphasen. Im Gegensatz zur Beschäftigung der Männer, die in allen Altersjahrgängen deutlich abgenommen hat, sind bei den Frauen die Erwerbstätigenquoten in zwei Altersabschnitten sogar noch angestiegen. Die Tatsache, daß der Systemwechsel von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zumindest in den ersten Jahren zu einer Abnahme von geschlechtsspezifischen Disparitäten der Erwerbstätigkeit führen könnte, ist für viele wohl die größte Überraschung, da das genaue Gegenteil prognostiziert wurde und viele andere soziale Disparitäten - etwa die Einkommensverteilung - nach dem Systemwechsel tatsächlich zugenommen haben. Dieses Beispiel zeigt aber auch, wie problematisch es ist, die Begriffe Gleichheit oder Ungleichheit unkritisch mit der Wertung positiv oder negativ zu versehen.

Die im Vergleich zu anderen sozialistischen Ländern relativ günstige Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit in Ungarn wird auch durch die Arbeitslosenquoten belegt. Seit der erstmaligen statistischen Erfassung der Arbeitslosigkeit im Jahre 1989 bis zum Sommer 1995 waren die Arbeitslosenquoten der ungarischen Männer jeweils höher als die der Frauen. Die Frauen haben den Transformationsprozeß vor allem aus zwei Gründen überraschend gut überstanden. Zum einen hat Ungarn als erstes sozialistisches Land mit der Liberalisierung der Wirtschaft und einer Öffnung nach außen begonnen. Weil es schon mehrere Jahre vor dem Systemwechsel halb-private wirtschaftliche Organisationsformen tolerierte, erhielt es hinsichtlich der Entwicklung des Dienstleistungssektors und der Erfahrungen mit der Marktwirtschaft einen Startvorsprung. Der Aufschwung der Dienstleistungen hatte schon zu Beginn der 80er Jahre die geschlechtsspezifische Segmentierung der Branchenzugehörigkeit von Männern und Frauen in einer Weise beeinflußt, die sich beim Übergang zur Marktwirtschaft als vorteilhaft für die Frauen erwies. Wenn man von einigen wenigen typischen Berufen für ungelernte weibliche Hilfskräfte absieht, waren die ungarischen Frauen schon vor Beginn des Transformationsprozesses vor allem in jenen Branchen des Dienstleistungssektors konzentriert, die in der Endphase des Sozialismus und nach der Einführung der Marktwirtschaft die stärkste Expansion erlebt haben. Im Gegensatz dazu waren Männer vor allem im Bergbau, in der Schwerindustrie und in anderen Berufen beschäftigt, die in den 80er Jahren und nach dem Systemwechsel die höchsten Arbeitsplatzverluste aufwiesen.

Zweitens betrug der Frauenanteil unter der ungarischen Nomenklatura insgesamt nur rund16 Prozent und auf den obersten Hierarchieebenen einiger Branchen sogar weniger als fünf Prozent, so daß hochqualifizierte Frauen beim Übergang zur Marktwirtschaft nicht sehr viel zu verlieren hatten. Tiefgreifende und überraschende Veränderungen der Frauenerwerbstätigkeit gab es vor allem bei den Universitätsabsolventinnen. Schon in der Endphase des kommunistischen Systems haben sie sich bei der Geburt eines Kindes in hohem Maße aus der Erwerbstätigkeit zurückgezogen. Im Jahr 1980 waren am Höhepunkt der Kleinkinderphase (mit 27 Jahren) noch 84 Prozent der Hochschulabsolventinnen erwerbstätig, im Jahr 1990 dagegen nur noch 67 Prozent. Während die Quote bei den Universitätsabsolventinnen also um 17 Prozent sank, nahm sie bei den Pflichtschulabsolventinnen nur um 0,6 Prozent ab. Dementsprechend hat sich die Zahl der Universitätsabsolventinnen, die Kinderpflegegeld erhalten haben, zwischen 1980 und 1990 mehr als verdoppelt - von 14,5 Prozent auf 30,6 Prozent. Diese Tendenz ist insofern überraschend, als die Erwerbstätigenquoten während der Kinderphase gerade auf jenen Qualifikationsebenen besonders stark abgenommen haben, in denen die Arbeitsmarktsituation für Frauen nach dem Systemwechsel relativ günstig beziehungsweise die Arbeitslosigkeit besonders niedrig war.

Für diese Entwicklung bieten sich folgende Erklärungen und Hypothesen an. Erstens war der Trend, während der Familienphase die Erwerbstätigkeit für einige Jahre aufzugeben und dafür Kinderpflegegeld zu beziehen in den ländlichen Gebieten Ungarns schon während der kommunistischen Zeit viel stärker ausgeprägt als in den Großstädten, so daß diese Art sozialen Wandels in ländlichen Gebieten auf eine geringere Nachfrage stieß. Eine zweite wichtige Ursache für die Verhaltensänderung von hochqualifizierten Frauen bestand darin, daß in den 80er Jahren das Kinderpflegegeld bei gleichzeitiger Verkürzung der Unterstützungsperiode erhöht worden ist. Dies hat nun auch höher qualifizierte Frauen in verstärktem Maße bewogen, das Kinderpflegegeld in Anspruch zu nehmen und ihre Kleinkinder länger zu betreuen. Außerdem hat sich der Anteil der bis 50jährigen Universitäts- und Hochschulabsolventinnen mit zwei oder drei Kindern zwischen 1980 und 1990 mehr als verdoppelt (Anstieg von 21,0 auf 46,6 Prozent). Nur der Anteil der Universitäts- und Hochschul-absolventinnen mit vier oder mehr Kindern ist in diesem Zeitraum gesunken.

Nicht zuletzt war in mehreren ehemals sozialistischen Ländern schon in der Endphase dieser Systeme ein deutlicher Wertewandel hinsichtlich der Einstellung zur Familie festzustellen. In anderen sozialistischen Ländern gab es schon in den 60er Jahren Hinweise darauf, daß hochqualifizierte Frauen eher bereit sind, in der Kleinkinderphase ihre Erwerbstätigkeit zu unterbrechen und ihre Kinder zu betreuen als niedrigqualifizierte Frauen. Den Frauen mit höherer Schulbildung sind vermutlich nicht nur die Mißstände in den staatlichen Institutionen der Kinderbetreuung und deren negative Folgen früher aufgefallen, sondern sie hatten auch eher die finanziellen Möglichkeiten, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Der überaus starke Rückgang der Erwerbstätigenquoten bei den Hochschul-absolventinnen deutet darauf hin, daß die Möglichkeit, sich eine "Kleinkinder- oder Familienphase" leisten zu können, auch in Ungarn schon zu einem Statussymbol geworden ist und in den höheren Sozialschichten eine Renaissance der Familienwerte begonnen hat.

Eine weitere überraschende Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse ungarischer Frauen besteht darin, daß die Zahl der Frauen, die ihre Arbeit nach einer Pause zur Kindererziehung wieder aufgenommen haben, zwischen 1980 und 1990 beträchtlich gestiegen ist, obwohl in dieser Zeit Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind. Im ersten Jahr nach dem Systemwechsel war ein weitaus höherer Anteil der 35- bis 50jährigen Frauen erwerbstätig als etwa im Jahre 1980. Lediglich die Zahl der in dieser Lebensphase erwerbstätigen Universitätsabsolventinnen hat sich nicht erhöht. Der ökonomische Zwang, in der Post-Kinder-Phase eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ist in den 80er Jahren für viele niedrigqualifizierte Frauen deshalb gestiegen, weil es für die Männer in diesem Zeitraum zunehmend schwieriger wurde, im Rahmen der Schattenwirtschaft eine zweite und dritte Erwerbsquelle zu finden. Außerdem waren Männer ab 1989 auch in höherem Maße arbeitslos als Frauen, und nicht zuletzt mußten nach der Wende auch die höheren Lebenshaltungskosten und der Rückzug vieler Pensionäre aus dem Erwerbsleben, der vor allem in den ländlichen Gebieten sehr groß war, aufgefangen werden. Da der Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in der postfamiliären Phase in den 80er Jahren und nach dem Systemwechsel vor allem durch eine ökonomische Notwendigkeit bedingt war, hat er in den ökonomischen Krisengebieten und in den agrarisch geprägten Regionen die höchsten Werte erreicht. In der Hauptstadtregion, welche von der Einführung der Marktwirtschaft zumindest in der ersten Phase am meisten profitiert hat und in der die Arbeitslosigkeit weitaus am geringsten war, hat die Frauenerwerbstätigkeit in dieser Altersgruppe sogar abgenommen.

Der Übergang zur Marktwirtschaft ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen, und es bleibt abzuwarten, ob sich in Ungarn die positive Entwicklung des Frauenanteils unter den Erwerbstätigen fortsetzen wird und ob der völlig unerwartete kurzfristige Rückzug aus dem Erwerbsleben während der Kleinkinderphase nur eine vorübergehende Reaktion gegen das kommunistische System ist und das Pendel in einigen Jahren wieder zurückschlagen wird.

Autor:
Prof. Dr. Peter Meusburger
Geographisches Institut, Im Neuenheimer Feld 348, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56- 45 73

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