Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
um medizinische Grundlagen- und angewandte Forschung enger zu verknüpfen, fördert der Bundesminister für Forschung und Technologie ab 1994 etwa acht "Modellzentren für Interdisziplinäre Klinische Forschung". Sie werden zur Zeit im Wettbewerb der deutschen Hochschulkliniken ausgewählt. Die Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg legt hierfür ein attraktives Konzept vor. In dem Projekt sollen die molekularen Ursachen neurologischer Erkrankungen aufgespürt werden. Die Fakultät verfolgt mit dem Konzept einen grundsätzlich anderen Ansatz als bei der traditionellen äthiologischen - also von einem bestimmten Krankheitsbild ausgehenden - Erforschung genetischer Aspekte von Nervenkrankheiten. Hier sollen genau definierte Änderungen des genetischen Codes in Nervenzellen erst in einem nächsten Schritt neurologischen Symptomen zugeordnet werden - das Stichwort heißt Gen-knock out. Was die Voraussetzungen für ein so anspruchsvolles Forschungsprojekt angeht, sind die beteiligten Institutionen aus Heidelberg/Mannheim besonders geeignet. Wissenschaftlich herausragende Leistungen, ausgewiesen durch öffentlich geförderte Projekte, finden sich hier vor allem auf dem Gebiet der Erforschung von zellulären und molekularen Mechanismen neurologischer Erkrankungen. Ich denke zum Beispiel an die Sonderforschungsbereiche "Indikatoren und Risikomodelle für Entstehung und Verlauf psychischer Störungen", "Molekularbiologie neuraler Mechanismen und Interaktionen", "Molekulare Mechanismen intrazellulärer Transportprozesse" und den Forschungsschwerpunkt des Landes unter dem Titel "Molekulare Zellbiologie". Nicht zuletzt spielen die Forschergruppen "Plastizität und Genexpression im Nervensystem unter pathologischen Bedingungen" und "Fokale Hirnischämie und Reperfusion" eine wichtige Rolle. Eine Besonderheit des Mannheimer Konzepts: mit dem Aufbau einer "Knock out-Bank" sind 18 interdisziplinäre Kooperationsprojekte vorgesehen. Mannheimer Kliniker und Theoretiker, Heidelberger Grundlagenforscher in den Fakultäten für Biologie, Naturwissensch aftliche Medizin und des Deutschen Krebsforschungszentrums - sie bilden gemeinsam eine breite Basis. Und dann ist geplant, von Beginn an die Integration interdisziplinärer Gruppen in das Zentrum zu fördern. Untergebracht werden soll das neue Forschungszen trum im Mannheimer Klinikum. Neu- und Umbaumaßnahmen im Altklinikum dort stellen sicher, daß es über angemessene Räumlichkeiten verfügen wird. Die unmittelbare Nachbarschaft zu den Kliniken garantiert eine optimale Zusammenarbeit zwischen Theoretikern und Klinikern. Durch die doppelte Trägerschaft des Klinikums Mannheim, bei dem die Stadt für die Patientenversorgung und das Land für Forschung und Lehre zuständig ist, läßt sich die Effizienz der klinischen Forschung weiter steigern: ein Teil von bisher gem einsam an die Krankenversorgung und Forschung gebundenen Mitteln soll direkt in das Zentrum fließen. Als Medizinerin, die im Rektorat für die medizinischen Fakultäten zuständig ist, fasziniert mich der grundsätzlich neuartige Ansatz der Mannheimer "Knock out-Bank".
Schlüsselfunktion kommt dem Untersuchungsweg zu, vom experimentellen Gen-Defekt und dem Fo rtfall des jeweiligen Genprodukts über die Symptomatik bis zu dem Punkt, an dem die Krankheit identifiziert wird. Er steht im Gegensatz zur klassischen Methode der "Reversen Genetik", deren Weg umgekehrt vom pathophysiologischen Phänomen der Krankheit zum defekten Genort vorstößt. Der klassische Ansatz besitzt zwar den Vorteil, daß der Forscher die zu untersuchende Krankheit selbst bestimmt. Sein entscheidender Nachteil jedoch: der Erkenntnisfortschritt verläuft langsamer als im Fall des Mannheimer Konzepts - durch die umständliche Suche nach dem krankheitsauslösenden Gendefekt. Ein federführender Antragsteller brachte das grundlegende Motto auf den Punkt: "Für jedes neurologische Symptom lohnt es sich, das verantwortliche Genprodukt zu identifizieren." Wir im Rektorat sind zuversichtlich, daß das Konzept auch den Bundesminister überzeugt. Es ist breit genug angelegt, im Laufe der Zeit auch andere Kliniken zu integrieren.
Christine Heym,
Prorektorin