Dreidimensionale Navigation bei der Operation
In der Klinik fuer Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten der Universitaet Heidelberg arbeiten zur Zeit vier Aerzte und fuenf Doktoranden unter Leitung von Joachim Muehling an der dreidimensionalen Navigation durch unuebersichtliches Operationsgebiet. Die Entwicklung eines computergestuetzten Lotsen fuer den Operateur wurde bisher ueberwiegend von der Industrie finanziell unterstuetzt, nun sind Forschungsmittel bei der DFG beantragt.
Operative Eingriffe erfordern eingehende Kenntnisse der Anatomie. Vor allem im Schaedelbereich liegen wichtige Strukturen eng beieinander, wodurch an den Operateur besondere Anforderungen waehrend der Praeparation gestellt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Tumoren oder Anomalien die Anatomie veraendern koennen. Nur durch die vorsichtige schichtweise Praeparation und ein langsames Herantasten an den Befund lassen sich in diesen Faellen Verletzungen wichtiger Hirnstrukturen vermeiden. Mit Hilfe bildgebender Verfahren koennen krankhafte Veraenderungen vor einer Operation naeher eruiert werden. Dazu zaehlen vor allem konventionelle Roentgenaufnahmen. Sie sind jedoch schwierig zu analysieren, da sich die anatomischen Strukturen ueberlagern, und sie geben zudem nur ein zweidimensionales Bild wieder. Um eine raeumliche Darstellung zu bekommen, muessen Roentgenaufnahmen aus verschiedenen Ebenen angefertigt werden. Diese Technik vermittelt selbst erfahrenen Roentgenologen nur ein relativ ungenaues Bild.
Die Computertomographie verbessert die Diagnostik deutlich. Mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung gelingt es, sehr duenne Schichtbilder bestimmter Koerperregionen zu errechnen und mit Hilfe verschiedener Graustufen darzustellen. Auch hierbei erhaelt der Arzt ein zweidimensionales Bild, das heisst die Darstellung einzelner flaechenhafter Schichten des betreffenden Koerperabschnitts, er kann sich jedoch durch gedankliches Zusammensetzen verschiedener Einzelschichten ein genaueres plastisches Bild machen als mit herkoemmlichen Roentgenaufnahmen. Zusaetzlich entfallen hier stoerende Ueberprojektionen. In juengster Zeit ermoeglichte die Entwicklung leistungsfaehiger Rechner, die Schichtbilder rein rechnerisch zu einem plastischen Bild zusammenzusetzen. Das "3-D-Computertomogramm" kann aus jedem Betrachtungswinkel dargestellt werden. Die Plastizitaet der Abbildungen wird noch durch rechnerisch erzeugte Licht-Schatten-Effekte verbessert. Das Bild erscheint kontrastreicher. Sogar Einblicke ins Schaedelinnere sind moeglich. Dazu werden wiederum rein rechnerisch bestimmte Knochensegmente, beispielsweise der Schaedeldeckel, entfernt.
Mit der dreidimensionalen Computertomographie, die ohne zusaetzliche Strahlenbelastung, basierend auf den einmal erfassten Daten, verschiedene Einblicke in den Schaedel und Ansichten der knoechernen Strukturen erlaubt, ist ein entscheidender Schritt zur Optimierung der praeoperativen Diagnostik gelungen. Vor einem operativen Eingriff kann sich der Arzt nun ein genaues plastisches Bild von der topographisch-anatomischen Situation des knoechernen Schaedels verschaffen.
Der intraoperative Einsatz bildgebender Verfahren war bisher allerdings nur in beschraenktem Mass moeglich. So stand bislang nur ein konventionelles Roentgengeraet zur Verfuegung, um sich waehrend der Operation zu orientieren, der sogenannte C-Bogen. Damit koennen kurze Momentaufnahmen vom Operationsgebiet gemacht werden. Dies ist jedoch sehr aufwendig und wegen der Roentgenstrahlung belastend fuer Patient und Operateur und verzoegert den operativen Eingriff. Um einen mehrdimensionalen Eindruck zu erhalten, muessen Bilder aus verschiedenen Ebenen geschossen werden, was eine weitere Strahlenbelastung fuer den Patienten bedeutet.
Es ist deshalb naheliegend, das plastische bildgebende Verfahren der 3-D-Computertomographie fuer den Einsatz bei Operationen nutzen zu wollen. Dies ist durch die Entwicklung eines kanadischen Software-Hauses seit einem Jahr moeglich. Dem Verfahren liegt folgendes Prinzip zu Grunde: Vor der Operation werden CT-Aufnahmen des Patientenschaedels angefertigt, wobei an verschiedenen kaum verschieblichen Hautstellen Markierungspunkte aufgeklebt wurden, die bis zur Operation verbleiben. Um eine hohe Genauigkeit zu erzielen, werden Schichtaufnahmen in zwei Millimeter Abstaenden erstellt und die Bilddaten auf ein zweites Rechnersystem im Operationssaal transferiert, sodass dort dreidimensionale Bilder des Schaedels auf dem Monitor generiert werden koennen. Die Markierungspunkte stellen sich darin als kleine warzenfoermige Hauterhebungen dar. Anhand derer lassen sich die Bilder auf dem Monitor mit dem Kopf des Patienten, der in einer speziellen Haltevorrichtung unbeweglich fixiert ist, synchronisieren. Dazu dient ein mechanischer Arm, der ueber sechs Gelenke in allen Dimensionen frei beweglich ist. Er ist am Operationstisch fixiert und am Ende mit einem Stift versehen. Faehrt man die Markierungspunkte mit dem Navigationsarm an und klickt sie an, wird die aktuelle Position des Patientenkopfs in eine genau definierte Beziehung zum Navigationssystem gebracht, sodass die Lage des Instruments am Patienten identisch auf dem Bildschirm abgebildet wird. Der Computer errechnet anhand der Winkel im Bereich der Gelenke die Lage der Spitze des Navigationsarms und spiegelt sie als Achsen in die 3-D-Abbildung des Schaedels auf dem Monitor. Die hohe Rechnerleistung ermoeglicht es, Lageveraenderungen des Navigationsarms annaehernd in Echtzeit darzustellen.
Bewegt man den Navigationsarm, so wird seine Spitze in Lageziehung zum Schaedel dreidimensional als gruene Achse dargestellt. Als zusaetzliche Orientierungshilfe sind auf dem Monitor Schnittbilder von der Spitze des Instruments in der X-, Y- und Z-Achse zu sehen. Systempruefungen haben ergeben, dass die Navigationsgenauigkeit bislang anderthalb bis zwei Millimeter erreicht. Die Einsatzmoeglichkeiten des Navigationssystems sind vielfaeltig. Es hat sich vor allem bei schwierigen anatomischen Verhaeltnissen bewaehrt. Zum Beispiel bei einem Patienten, dem ein Fremdkoerper im Oberkieferbereich Schmerzen verursachte. Mit Hilfe des Navigationssystems liess sich der Fremdkoerper leicht orten und mit einem weissen Fadenkreuz markieren. Ueber eine kleine Inzision wurde er direkt angefahren und entfernt. Der Eingriff konnte damit sehr schonend und mit geringstem Zeitaufwand durchgefuehrt werden. Ohne die raeumliche Orientierungshilfe gestaltet sich die Suche eines derart kleinen Fremdkoerpers wie die beruehmte Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Eine Neuerung stellt das von unserer Arbeitsgruppe entwickelte Planungsmodul dar, das vor allem bei Patienten mit Kieferanomalien zum Einsatz kommt. Um ein zufriedenstellendes aesthetisches Ergebnis zu erreichen, muessen bei diesen Patienten die Kieferknochen operativ verlagert werden. Mit dem in Heidelberg neuentwickelten Modul ist es moeglich, die Knochenverlagerung vorher in 3-D-Bildern zu simulieren. Zur besseren Anschaulichkeit markieren wir dafuer die einzelnen Knochenbezirke in unterschiedlichen Farben. Ist die optimale Verschiebedistanz auf dem Rechnerbild festgelegt, koennen die ermittelten Werte mit Hilfe des Navigationssystems exakt auf den Kiefer des Patienten uebertragen werden. Dadurch wird eine optimale Qualitaet der Eingriffe gesichert. Als weiteres Indikationsgebiet sind die zahnaerztlichen Implantate zu nennen. Anhand der CT-Daten kann die optimale Position der Implantate mit Ruecksicht auf das Knochenangebot vor der Operation bestimmt und anschliessend wiederum exakt auf den Mund des Patienten uebertragen werden.
Da sich der relativ unhandliche Navigationsarm als nachteilig erwiesen hat, entwickelt unsere Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit der Industrie jetzt ein freibewegliches Navigationsinstrument, das auf dem Prinzip der Satellitennavigation beruht. Anhand der Distanz zweier kleiner Sender und Empfaenger kann die Lage des Navigationsinstruments im Raum bestimmt und am Monitor dargestellt werden.
Zusammenfassend laesst sich sagen, dass das operative Navigationssystem unzaehlige neue Indikationsgebiete eroeffnet. Es hilft, die Sicherheit und Qualitaet der operativen Eingriffe zu verbessern sowie das Vertrauensverhaeltnis zwischen Arzt und Patient durch plastische Aufklaerung zu staerken und letztendlich die Behandlungskosten zu senken. Ferner ist daran gedacht, das System durch Techniken der virtuellen Realitaet zur Ausbildung von Chirurgen und Studenten einzusetzen. Trotzdem kann der Einsatz dieser Geraete das aerztliche Denken und Handeln nicht ersetzen. Es hat vielmehr das Ziel, unser Operationsspektrum zum Nutzen der Patienten zu erweitern.
Autoren:
Prof. Dr. Dr. Joachim Muehling, Dr. Dr. Stefan Hassfeld
Klinik und Poliklinik fuer Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Im
Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 73 00