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Interdisziplinaere Studie des Erwachsenenalters

Um die Bedingungen fuer Gesundheit und Zufriedenheit im Alter zu ergruenden, hat Ursula Lehr die "Interdisziplinaere Studie des Erwachsenenalters" ins Leben gerufen. An der auf 20 Jahre angelegten Untersuchung beteiligen sich mehrere Universitaeten in ganz Deutschland. Unter Federfuehrung des Instituts fuer Gerontologie forschen in Heidelberg selbst drei Wissenschaftler mit ihren Arbeitsgruppen. Finanziert wird die Studie zu gleichen Teilen vom ehemaligen Bundesministerium fuer Familie und Senioren und dem baden-wuerttembergischen Landesministerium fuer Wissenschaft und Forschung. Fuer die vorgesehene Laufzeit bis zum Jahr 2013 stehen pro Jahr 1,3 Millionen Mark zur Verfuegung.

Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen ein immer hoeheres Lebensalter erreichen, erscheint es notwendig, die moeglichen Voraussetzungen fuer ein sogenanntes "healthy aging", ein "gesundes Altwerden", zu erforschen - und dann, wo moeglich, praktische Konsequenzen zu ziehen. Denn ein "gesundes, zufriedenes Alter", eine hohe Lebensqualitaet im Alter, ist sowohl fuer den Aelterwerdenden wichtig als auch fuer seine Familie, seine Kinder, fuer die juengere Generation und fuer die Gesellschaft.

Die Interdisziplinaere Langzeitstudie des Erwachsenenalters, ILSE, soll den Verlauf von Alternsprozessen im koerperlichen, seelisch-geistigen und sozialen Bereich bei Maennern und Frauen der Geburtsjahrgaenge 1930/32 und 1950/52 ueber einen Zeitraum von 20 Jahren verfolgen. Im einzelnen ergeben sich folgende Fragestellungen: Welche koerperlichen Veraenderungen sind im Laufe dieser Zeit festzustellen, welche Veraenderungen und Konstanten der Erlebens- und Verhaltensweisen, der geistigen Faehigkeiten und Persoenlichkeitsvariablen sind gegeben, und welche Veraenderungen und Konstanten der sozialen Beziehungen lassen sich feststellen? Was sind die moeglichen Gruende fuer diese Veraenderungen, wie werden sie erlebt und wie setzt man sich damit auseinander?

Wir fragen sodann, ob es Wechselbeziehungen zwischen bestimmten Veraenderungen im koerperlichen Bereich einerseits und im psychischen Bereich andererseits gibt, und welcher Art sie sind. Lassen sich bestimmte Zusammenhaenge zwischen der bisherigen Entwicklung, der gegenwaertigen Lebenssituation und der Zukunftsperspektive mit dem Alterszustand zum jeweiligen Messzeitpunkt und dem Verlauf von Alternsprozessen zwischen den vorgesehenen sieben Messungen feststellen? Des weiteren interessiert uns, ob sich bei der Analyse der gesamten Lebensspanne Korrelate oder gar Determinanten einer Langlebigkeit bei psycho-physischem Wohlbefinden aufzeigen lassen. Oder umgekehrt, lassen sich "Risikofaktoren" im weitesten Sinne - ueber jene "klassischen" des Bluthochdrucks, Cholesterinspiegels, Uebergewichts, falsche Ernaehrung, mangelnde Bewegung hinausgehend - auch im psychisch-sozialen Bereich aufzeigen, die sich negativ auf den Prozess des Alterns auswirken und zu vorzeitigem Abbau und Einschraenkungen fuehren?

Diese Forschungen sind zweifellos im Bereich der Grundlagenforschung anzusiedeln, haben jedoch hohe praktische Relevanz. Eine Disziplin allein kann die Frage nach den Voraussetzungen fuer ein "gesundes, zufriedenes Altern" - gemaess der WHO- Definition von Gesundheit als "psycho-physischem und psycho-sozialem Wohlbefinden" und darueber hinaus durch die Feststellung, dass Gesundheit auch heisst, sich mit Einschraenkungen und Behinderungen adaequat auseinanderzusetzen - nicht allein beantworten. Hier muessen Mediziner verschiedenster Fachrichtungen, Geriater, Internisten, Neurologen, Psychiater, Psychologen, Soziologen und auch Sportwissenschaftler zusammenarbeiten.

Bisherige Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Alternsprozesse nicht nur durch biologische Veraenderungen beeinflusst werden. Auch psychische und soziale Faktoren praegen das Altern nachhaltig sowie oekologische Gegebenheiten - die Wohnumwelt im engeren und weiteren Sinne - und vor allem epochale Faktoren, also zeitgeschichtliche Gegebenheiten wie Erlebnisse von Krieg und Nachkriegszeit, Flucht, Wohnungsnot, Hungersnot, Waehrungsreform oder Arbeitslosigkeit oder auch der "Mauerbau" mit seinen Konsequenzen im Hinblick auf eine Einschraenkung des Lebensraumes. Deshalb ist die Interdisziplinaere Langzeitstudie darauf ausgelegt, Kohorten der Jahrgaenge 1930/32 mit den 1950/52 Geborenen zu vergleichen, die eine vergleichsweise problemlose Jugend hatten - zum Beispiel in den Jahren1965- 1970 weit weniger Berufsfindungsschwierigkeiten als die 30er Kohorte zwischen 1945-1950.

Zum anderen aber ist hier der Ost-West-Vergleich besonders interessant: An der Universitaet Leipzig wird daher eine mit dem Heidelberger Forscherteam genau abgestimmte Paralleluntersuchung durchgefuehrt. Die Kohorte der in den 30er Jahren Geborenen verbrachte ihre Kindheit und Jugend in vergleichbaren Umwelten im Deutschen Reich, die naechsten 40 Jahre ihres Lebens jedoch in sehr unterschiedlichen Umwelten der BRD und der DDR und seit vier Jahren wieder in einem Prozess der Annaeherung und Angleichung der aeusseren Bedingungen. Die Studienteilnehmer des Jahrgangs von 1950 wuchsen in Leipzig und Heidelberg in in vielohlbefinden; erstens durch einen Vergleich der Kohorten von 1930 und 1950, welche aeusserst unterschiedliche Entwicklungsbedingungen hatten und sehr verschiedenartigen Belastungen in verschiedenen Abschnitten ihrer Lebensentwicklung ausgesetzt waren. Zweitens durch einen Vergleich von Personen in den alten und den neuen Bundeslaendern. Sowie drittens in einem interdisziplinaeren Ansatz, in dem verschiedene medizinische Disziplinen, Psychologie, Soziologie und Sportwissenschaft miteinander kooperieren. Viertens durch einen longitudinalen Ansatz, um die Entwicklungsdynamik ueber die naechsten 20 Jahre begleitend erfassen zu koennen und moegliche Einflussfaktoren zu identifizieren. Und fuenftens durch einen multizentrischen Ansatz, in dem Personen aus den industriellen Ballungszentren Heidelberg-Mannheim-Ludwigshafen einerseits und Leipzig und Umgebung andererseits erfasst werden. Kleinere Ergaenzungsstudien zu Teilfragestellungen sind an den Universitaeten Bonn, Erlangen, Nuernberg und Rostock angesiedelt. Insgesamt sollen in den Hauptzentren Heidelberg und Leipzig je 500 Maenner und Frauen untersucht werden, in Bonn und Erlangen-Nuernberg je 140, in Rostock 104, sodass die Stichprobe insgesamt 1380 Personen erfasst. Alle fuenf Zentren haben ein interdisziplinaeres Forscherteam, welches sich regelmaessig trifft und das methodische Vorgehen genau aufeinander abstimmt. In Heidelberg sind die Arbeitsgruppen von Guenther Schlierf, Hermann Rieder und Ursula Lehr beteiligt, Projektleiterin ist Elisabeth Minnemann.

Folgende Methoden gelangen zum Einsatz: in der psychologischen Untersuchung die Exploration und die biographische Methode, ergaenzt durch Intelligenz-, Leistungs- und Persoenlichkeitstests. Fuer die sportwissenschaftliche Untersuchung wird ein Interview zum Sport- und Bewegungsverhalten gefuehrt sowie anhand einer Testbatterie die motorische Leistungsfaehigkeit ermittelt. Die medizinische Untersuchung umfasst Anamnese, koerperliche Untersuchung, Funktionsdiagnostik, Laborparameter sowie ein geriatrisches Assessment. Die Untersuchung dauert zwei Tage.

Das Projekt, das ein Startprojekt des hoffentlich bald zu gruendenden Deutschen Zentrums fuer Alternsforschung sein soll, wird zu je 50 Prozent vom Bund und dem Land Baden-Wuerttemberg finanziert. Fuer den ersten Untersuchungsdurchgang beider Kohorten - von 1994 bis April 1996 - sind 4,2 Millionen Mark bewilligt. Die ersten 150 Personen der 30er Kohorte hier in Heidelberg sind bereits psychologisch, medizinisch und sportwissenschaftlich untersucht. In Leipzig wurden bisher 130 Untersuchungen durchgefuehrt, in Bonn 70, in Erlangen-Nuernberg 70 und in Rostock 50. Erste Ergebnisse der Studie sollen beim naechsten "Tag der Forschung" vorgestellt werden.

Autoren:
Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Lehr, Dr. des. Elisabeth Minnemann
Institut fuer Gerontologie, Bergheimer Str. 20, 69115 Heidelberg,
Telefon (06221) 56 81 81

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